Auf Chef-Visite

Kanzlerbesuch hinter den sieben Bergen Dass Schröder Sensibilität für den Osten hat, glaubt man ihm immer noch nicht

Das Datum ist mit Bedacht gewählt, denn auf Symbolik versteht er sich: Pünktlich zum 40. Jahrestag des Baus der Mauer bereist Gerhard Schröder die neuen Länder. Wenig allerdings wird die Tour mit Sommerfrische zu tun haben - der SPD weht scharfer Ostwind ins Gesicht.

Die Erfahrungen mit zehn Jahren Demokratie zeigen: Wird der Ostdeutsche tatsächlich mal gefragt - also an die Wahlurne gerufen - neigt er durchaus zu pragmatischen Entscheidungen. Anders als im Westen ist hier parteipolitisch gefärbte Milieubindung kaum ausgeprägt und die Spezies Wechselwähler verbreitet. »Die letzte Wahl wurde im Osten gewonnen - auch wenn das manche schon vergessen haben«, mahnt Iris Gleicke, aus Thüringen stammende Vizechefin der SPD-Regierungsfraktion. Nicht vergessen jedenfalls ist, dass die Sozis die vorletzte Bundestagswahl im Osten verloren. Die SPD-Zentrale schlug deshalb jetzt entsprechend Alarm. Nicht nur Wirtschaftslage und Arbeitsmarktdaten haben sich deutlich verschlechert, auch die Stimmung ist ausgesprochen mies. Lag die SPD bei ihrem Wahlsieg 1998 noch knapp sieben Prozent vor der Kohlpartei, holte die CDU unter Angela Merkel zuletzt enorm auf; jüngste Umfragen sehen Schwarz-Gelb sogar vorn.

Verwunderlich ist das nicht. Schröder, angetreten, um aus dem Osten dieser Republik eine »Chefsache« zu machen, hat auf der Habenseite reichlich wenig vorzuweisen. Ein kaum erfolgreiches Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit, einen unterschriebenen Solidarpakt II, die Planstelle »Staatsminister Ost« oder der Fanschal des 1. FC Energie Cottbus - nicht einmal solcherlei als Erfolg Reklamiertes strahlt Glanz aus. Schröders Staatsminister für den Osten - Rolf Schwanitz mit Namen - fristet allenfalls ein Schattendasein. Und des Kanzlers Statement im Abstiegskampf der Lausitzer Multikulti-Fußballer kam einer Bankrotterklärung der eigenen Politik gleich: »Wenn die in der Bundesliga bleiben, wäre das so wichtig für diese ökonomisch gebeutelte Region. Der Fußball bringt so viel Power«.

Schröder fehlt erkennbar die Sensibilität für die neuen Bundesländer. Erinnert sei an die Bundestagsdebatte, in der er von »Wir, im Westen« sprach. Erinnert sei auch an die kalte Schnoddrigkeit, mit der das Schröder/Blair-Papier die gerade im Osten geschätzten Komponenten klassischer sozialdemokratischer Politik denunzierte. Oder an die von Schröder angezettelte Faulenzerdebatte. Angesichts seines Wahlversprechens, die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen drücken zu wollen, angesichts der Tatsache, das den 1,8 Millionen arbeitssuchenden Ostdeutschen gerade einmal 75.000 offene Stellen gegenüberstehen, und angesichts der Ungeduld, endlich spürbar etwas von Schröders Taten registrieren zu können, würde es nicht wundern, wollte der Osten über diesen Kanzler resignieren. 60 Prozent der Ostdeutschen - das ergab eine Emnid-Umfrage im vorigen Jahr - finden, dass sich Schröder zu wenig für sie engagiert - Tendenz steigend.

Bei der Ursachenforschung ist man schnell bei Schröders Generation. Zwar verlief der Mauerstreifen nur 75 Kilometer von der heimischen Haustür, die DDR sei für ihn aber »weit weg« gewesen, gibt der 1944 geborene Kanzler unumwunden zu. Keine Freunde, keine Feinde, keine Verwandten - Schröder hatte nie emotionale Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands. Auf die Frage, was der Unterschied zwischen der seinen und der Generation seines Vorgängers sei, antwortet Schröder: »Wir sind europäisch sozialisiert«. Das erklärt, warum ihm die Toskana näher ist als Tangermünde.

Das war bei seinem Vorgänger anders: Während sich der junge Schröder Anfang der siebziger Jahre in der Auseinandersetzung zwischen Reformsozialisten, Stamokap-Anhängern und Revisionisten als »Anti-Revisionist« positionierte, befasste sich der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl als Leiter der Programmkommission seiner Partei mit der »Ostpolitik« - wie es damals hieß. Kohls Interesse für den anderen deutschen Staat - zweimal bereiste er die DDR - rührte auch daher, dass seine Frau in Leipzig aufgewachsen war. Mochte man von seiner Politik halten, was man wollte, Helmut Kohl war von Anfang an jemand, dem ein Teil der Ostdeutschen abkauften, dass er mit guten Absichten und hehren Plänen kam. Nun also fährt sein Nachfolger. »Der Bundeskanzler hat den Aufbau Ost zur Herzenssache gemacht«, sekundierte einst sein Staatminister Schwanitz. Man möchte es so gerne glauben.

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