Wenn der Brüsseler Handelskommissar Pascal Lamy am 27. März nach Peking kommt, erwartet ihn kein komfortables Geschäft. Zwar befinden sich die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen China und der EU laut Außenminister Shi Guangsheng »in der Endphase«. Aber lautstarker Optimismus ist Teil der chinesischen Verhandlungsstrategie. Das Scheitern der Gespräche Ende Februar ändert daran nichts. Haupthindernis einer Einigung war seinerzeit die europäische Forderung, ausländischen Gesellschaften künftig 51 Prozent der Anteile an chinesischen Mobilfunk- netzen einzuräumen. Ein in China ostentativ bejubeltes Abkommen mit den USA vom November, das allerdings der Kongress noch ratifizieren muss, sieht für diesen Sektor lediglich 49 Prozent Fremdbeteiligung vor. Für den Pekinger Vertreter der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ist diese Konzilianz »der Preis für die Bombardierung der chinesischen Botschaft Anfang Mai 1999 in Belgrad«. Derartige Konzessionen seien von der EU kaum zu erwarten.
China, das sich seit 14 Jahren um die WTO-Aufnahme bemüht, muss zuvor mit allen 135 Mitgliedsstaaten bilaterale Handelsabkommen abschließen. Gemessen an ihrer Wirtschaftskraft ist dabei die EU der weitaus wichtigste Partner, mit dem ein Arrangement zu finden ist. Mehr denn je hofft man in Peking auf Nachschub an ausländischem Kapital - chinesische Analysten prognostizieren bei einer WTO-Mitgliedschaft ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von mindestens einem Prozent. Premier Zhu Rongji versprach denn auch vor dem gerade beendeten IX. Nationalen Volkskongress, Limitierungen für Fremdinvestitionen, aber auch hinsichtlich des Technologietransfers, des Marktzugangs und vor allem des Aktienanteils in einigen Branchen spürbar zu lockern. Trotz aller Konkurrenz für die einheimische Industrie erhofft sich die Regierung von der WTO-Integration einen Wachstumsschub, um die für 2000 anvisierte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7,5 Prozent noch zu überbieten.
Strukturelles Hemmnis aller Dynamik bleiben marode Staatsunternehmen, die trotz niedriger Effizienz und hoher Überkapazitäten 70 Prozent aller in China vergebenen Kredite absorbieren - mit ihrem Anteil am BIP aber bei 40 Prozent verharren. Einer IWF-Studie zufolge hat sich der Staat erst aus 15 Prozent der bisher alimentierten 117.000 Unternehmen zurückgezogen. Die Angst, irreversible soziale Verwerfungen auszulösen, wird durch die bereits vorhandenen 80 - 100 Millionen Erwerbslosen geschürt. Ein schwer berechenbares Heer von Wanderarbeitern zieht bereits durch die Städte. Die schnelle Öffnung des Marktes gemäß WTO-Normen würde mit einem Schlag weitere 30 Millionen Stellen kosten.
Um für Abhilfe zu sorgen und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, soll nun besonders der rückständige Westen Chinas zügig erschlossen werden. Unter dem Motto »Den Westen wiederbeleben« wird ein gigantisches Investitionsprogramm aufgelegt, das während der nächsten 15 Jahre Tibet, Sichuan, Xinjiang, Gansu, Ningxia - insgesamt elf Provinzen und autonomen Gebieten - aufhelfen soll. Dort leben etwa 25 Prozent der 1,3 Milliarden Chinesen und 90 Prozent all derer, die sich in China unterhalb der Armutsgrenze durchschlagen müssen. Während 1998 im wohlhabenden Schanghai das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr bei 28.236 Yuan lag (6.200 DM), belief es sich in der Bauernprovinz Gansu lediglich auf 3.470 Yuan (770 DM).
Ein anders gelagertes »Struktur-Problem«, das nicht zuletzt auch das Investitionsklima für die Westgebiete beeinträchtigt, ist die nach wie vor grassierende Korruption. Nur ein Drittel aller für die Regionalentwicklung aufgebrachten staatlichen Mittel soll derzeit nach Angaben der Zeitung China Daily den geplanten Zweck wirklich erfüllen. Der Kampf gegen Vetternwirtschaft und Schmuggel ist insofern ein Gebot volkswirtschaftlicher Vernunft und politischer Glaubwürdigkeit. Die gerade aufgedeckten Unterschlagungen von mehr als 200 Staatsbediensteten in den Küstenprovinzen Fujian und Guangdong haben dazu geführt, das Ansehen der KP erheblich zu belasten. Premier Zhu versprach daher dem Volkskongress, kriminelle Beamte hart zu bestrafen. Zwei Tage darauf erfolgte die Hinrichtung des der Korruption überführten Hu Changqing, vormals Vizegouverneur von Jiangxi.
EU-Handelskommissar Pascal Lamy will auch unter diesem Gesichtspunkt bei den anstehenden WTO-Verhandlungen für den Wachstumsmarkt China zuverlässige rechtliche Rahmenbedingungen vereinbaren, die Risiken für europäische Unternehmen in Zukunft minimieren. So lässt sich demnächst vielleicht vermeiden, was Siemens und der Deutschen Telekom 1998 widerfuhr, als sie in China ein mobiles Telefonnetz installierten. Ein Jahr nach der Inbetriebnahme wurde festgestellt, dass in einem für Auslandskapital gesperrten Bereich investiert worden war. Dieser »Aufklärung« folgte die Auflösung des Vertrages, der auf Seiten Chinas immerhin von der Staatlichen Entwicklungs- und Planungskommission unterschrieben worden war. Ergebnis: Umgerechnet 200 Millionen DM Verlust - vom einheimischen Unternehmen, das die Anlage entschädigungslos übernahm, allerdings als peanuts bezeichnet.
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