Freihandel Donald Trump droht mit Strafzöllen und Handelskriegen. Das ist falsch. Aber Deglobalisierung wird auch unter progressiven Ökonomen diskutiert
Jeder gegen jeden? Warum Abschottung keine Lösung ist
Montage: der Freitag, Material: iStock
„Make America great again“ ist die Phrase, unter die Donald Trump seine Präsidentschaft stellt. Darunter subsumieren sich allerlei nationalistisches Getöse, autoritäres Großmannsgetue und auch schlichter Irrsinn – und mehr als eine Prise Protektionismus. Die amerikanische Industrie will Trump wieder auf die Beine bringen, indem höhere Zölle auf importierte Güter erhoben werden, etwa auf Autos.
Natürlich ist all das unausgegoren: Wie bei internationalen Wertschöpfungsketten überhaupt bestimmt werden soll, welches Produkt „inländisch“ oder „ausländisch“ ist, ist schon einmal die erste Frage. Ist ein Ford-Auto, das zu 70 Prozent in den USA hergestellt wird, jetzt amerikanisch? Und ist ein iPho
t ein iPhone eher amerikanisch oder chinesisch? Außerdem wird die US-Industrie, die jahrzehntelang in der Produktivitätsentwicklung zurückblieb, nicht automatisch besser, wenn man sie mit Zöllen künstlich vor Konkurrenz schützt.Zugleich aber ist radikalisierter internationaler Wettbewerb nicht immer gut. Er kann zu Lohndumping führen. Das Gleiche gilt auch für Arbeitsmigration, etwa innerhalb der Europäischen Union: Ein Angebotsschock, also die Einwanderung billigerer Arbeitskräfte in Hochlohnländer, kann zu Lohnstagnation und Einkommensrückgängen in den reichen Ländern führen, ohne dass sich automatisch – wie die akademische Wirtschaftstheorie annehmen würde – das Einkommensniveau in den Auswanderungsländern erhöht. Dann ist das schlichte Ergebnis, dass in der Summe die Einkommen aller Arbeitnehmer sinken, somit auch Wachstum und Konsumnachfrage – und allenfalls die Profite der Unternehmen steigen.Chronisch bergabSo hat Österreich trotz steigender Beschäftigungszahlen eine stabil wachsende Arbeitslosigkeit, im Wesentlichen wegen Zuzug aus Rumänien, Bulgarien und anderen ärmeren EU-Staaten. Zehn Prozent Arbeitslosigkeit bedeuten aber, dass jeder Beschäftigte weiß, es gibt immer einen Billigeren, der ihn ersetzen kann. Eine solche Situation bedeutet automatisch Lohndruck nach unten. Österreichs Regierung will deshalb jetzt die Personenfreizügigkeit in Europa diskutieren.Kurzum: Längst wird auch jenseits der Kreise rechtnationaler Halbirrer die Frage diskutiert, ob es nicht so etwas wie einen „progressiven Protektionismus“ brauche, der die negativen Effekte der Globalisierung korrigiert – und ihre positiven Seiten bewahrt. So plädierte Branko Milanović, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, unlängst für Handelsabkommen, die die Arbeiterrechte stärker berücksichtigen – so stark wie jetzt schon die Patentrechte der Multis. Diese Abkommen seien bisher stark von „den Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit“ geprägt, so Milanović.Als Folge des doppelten Schocks aus Brexit-Abstimmung und Trump-Wahl kochen diese Debatten nun verstärkt hoch. Vor allem die einheimische Arbeiterklasse, seit 30 Jahren der große Verlierer der Globalisierung, wählt gewissermaßen die Globalisierung ab. Wenn ganze Bevölkerungssegmente das Gefühl haben, mit ihnen gehe es chronisch bergab, ihnen schwimmen die Felle davon, brennt in pluralistischen Demokratien plötzlich der Hut.Immer hörbarer werden die Argumente derer, die sagen, es sei „eine Theorie, die unsere Wirtschaft killt“, wie das der amerikanische Politikberater Ian Fletscher nennt, der Autor von Free Trade Doesn’t Work. Erstmals seit Jahrzehnten wird auch in einem breiteren ökonomischen Fachpublikum die Frage diskutiert, ob Handel und internationale Kapitalverflechtung tatsächlich ökonomisch vorteilhafte Resultate produzieren. Und das ist eine ziemlich spektakuläre Wende. Denn es ist ja so etwas wie der unbestrittene Basisglauben der Ökonomie: dass Handel gut ist und reicher macht.„In jedem Makroökonomiekurs sagen wir den Satz: ‚Makroökonomen sind sich in wenigen Dingen einig, aber sie alle teilen die Auffassung, dass freier Handel eine gute Sache ist‘“, sagt der US-Wirtschaftsprofessor Noah Smith. „Und das ist völlig korrekt. Aber der Grund für diesen Konsens ist keinesfalls, dass die Ökonomen das bewiesen haben. Sie nehmen es einfach an, und deshalb benutzen sie Modelle, die diese Annahme voraussetzen.“Der weitverbreitete Konsens, dass mehr Handel besser ist als weniger, geht von einigen theoretischen Vorannahmen aus, die allesamt auf wackeligen Füßen stehen. Noch immer beruht die Freihandelsdoktrin auf der Theorie der komparativen Kostenvorteile, die David Ricardo vor über 200 Jahren aufstellte. Er erörterte die Frage, was denn passiere, wenn England etwa Baumwollproduktion und Marmeladenproduktion betreibe und Frankreich auch, und wenn England sowohl in der Baumwollproduktion Kostenvorteile besäße als auch in der Marmeladenproduktion. Resümee: Wenn England sich auf die Baumwollproduktion konzentriere und Frankreich auf die Marmeladenproduktion, würden beide Länder ihre Fertigkeiten darin stärken – und beide Länder gewännen.200 Jahre überstand diese Theorie, weil es ja offensichtlich schien: Freier Handel produziert Effizienzgewinne. Firmen haben Effizienzgewinne, weil sie größere Absatzmärkte beliefern. Die wirkliche Welt wurde in die Theorie nach und nach eingebaut. Etwa wenn hochentwickelte Länder mit unterentwickelten Handel treiben (dann ist die „Spezialität“ der entwickelten Länder zum Beispiel Computertechnologie, die „Spezialität“ der unterentwickelten sind billige Arbeitskräfte).Wer Zweifel anmeldete, wurde lang ignoriert. Der US-Ökonom Dani Rodrik hat schon 1997 in dem Buch Has Globalization Gone Too Far? diese Theorien herausgefordert. Und Rodrik ist kein linker Sektierer, er wurde in seiner Arbeit von dem Ökonomieguru C. Fred Bergsten und dem IWF unterstützt. „Wir haben nicht verstanden, wie recht er hatte“, war unlängst zu lesen – wohlgemerkt, im Wall Street Journal.Rodrik hatte gewarnt, dass die Vorteile des Freihandels für die Universitätsprofessoren offensichtlicher seien als für normale Leute. Mit wachsender internationaler Integration konkurrieren Arbeiter mit ihresgleichen auf der gesamten Welt, „und die Folge sind Einkommensinstabilität und eine Erosion ihrer Verhandlungsmacht“.Freihandel, selbst wenn er generell die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht, produziere Verlierer und Gewinner. Die Verlierer, so sagt die Theorie, werden dann aber von den Gewinnen auch etwas abbekommen. In der Realität wird diese Behauptung eher selten bestätigt. „Die Globalisierung hat nicht alle Boote gehoben“, sagt Rodrik heute.Wirklich mehr Wachstum?„Die Revolte gegen die Globalisierung hat ihre Ursache nicht in Dummheit“, meint neuerdings auch Larry Summers, Posterboy der Globalisierung und einstiger Finanzminister Bill Clintons. „Viele Leute haben das berechtigte Gefühl, dass sie ein Projekt von Eliten für Eliten ist, die sich keine Gedanken über die Interessen einfacher Leute machen.“ Die Theorie ist in so vielen Grundannahmen falsch, dass nun öfter die Frage auftaucht, ob sie nicht auch in ihrer zentralen Annahme falsch ist: dass mehr Freihandel immer das Wachstum anfacht.Skeptische Ökonomen bringen immer mehr Argumente vor, die die Pro-Globalisierungs-Ökonomie bisher übersehen hat. Beispielsweise: Wenn Unternehmen auf globalen Märkten agieren, sind sie heute immer öfter mit Unternehmen als Konkurrenten konfrontiert, die mehr oder weniger das Gleiche herstellen. Das Ergebnis: Sie werden die Kosten reduzieren müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So werden Löhne gekürzt, oder die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Das hemmt aber langfristig das Wachstum. Erstens weil die Konsumnachfrage gedämpft wird, zweitens weil künftige Innovationen unterbleiben.Eine andere Fehlannahme: Wenn sich Volkswirtschaften spezialisieren, werden Ressourcen – etwa Arbeitskräfte – von einem Sektor in den anderen wandern. Zum Beispiel: Textilarbeiter werden zu IT-Spezialisten. In der Realität wandern Arbeitskräfte aber nicht so leicht in andere Sektoren, sondern eher in die Arbeitslosigkeit. Im besten Fall braucht es teure Requalifizierungen. Die Kosten dafür? In der Theorie nicht berücksichtigt.Aus alldem folgt keineswegs, dass möglichst viel unbehinderter Handel prinzipiell schädlich ist. Eine solche Behauptung wäre ja völlig absurd. Schließlich haben viele hundert Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen in Ländern wie China, Indien, Vietnam ihre Einkommen gesteigert, weil die internationale Verflechtung zunahm. Eine neue Mittelklasse ist entstanden. Diese Mittelschicht in den ärmeren Ländern ist der wirkliche Gewinner der Globalisierung – gemeinsam mit den Superreichen in den reichen Ländern.Die Mittelschicht in den reichen Ländern aber hat verloren oder zumindest Stagnation hinnehmen müssen. Auch dieses Bild ist natürlich unpräzise: Sie hat günstigere Produkte erhalten (ein Smartphone, hergestellt mit deutschen Lohnkosten, wäre sehr viel teurer), hat aber dafür ökonomische Prekarität in Kauf nehmen müssen.Eine aus dem Ruder laufende Globalisierung hat aber zweifellos auch viele negative Effekte, die nicht nur Verlierer produzieren – sondern am Ende sogar fast allen schaden, etwa weil die globale Nachfrage einbricht, verallgemeinerter Lohndruck nach unten herrscht und sogar bei Innovationen gespart wird.Placeholder link-1
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