Auf zu Curry 36

Literatur Kurios: Der neue Roman des einstmaligen Shooting Stars DBC Pierre macht aus Berlin einen antikapitalistischen Hort

DBC Pierre, 2003 mit Jesus von Texas Shooting Star des globalen Literaturzirkus, hat einen neuen Roman vorgelegt. Das Buch Gabriel ist sicher nicht sein bestes Buch, aber es zeigt auf skurrile Weise, wie inspirierend Berlin für seine Besucher sein muss. Denn es liest sich wie ein literarisches Kompendium touristisch besuchter Orte, die mit einem DBC Pierre typischen Plot bespielt werden: Kastanienalle, Mehringdamm, das KaDeWe, ein paar Plätze in Mitte und vor allem der Flughafen Tempelhof. Hier spielt sich das Drama eines 25-jährigen Drogen-Nerds ab, der aus einer britischen Entzugsklinik abgehauen ist und die Flucht mit der gestohlenen „Kriegskasse“ seiner antikapitalistischen Politgruppe finanziert hat. Nun will er, um einen mittlerweile zum Starkoch avancierten Jugendfreund in Japan aus dem Knast zu holen, eine Orgie für Superreiche in den Katakomben Tempelhofs organisieren. Die Handlung des Romans ist genauso LSD-affin wie diverse Figuren in dieser Satire auf die High-End-Event-Gastronomie. Die steht für den totalen Kapitalismus, wohingegen Berlin der Ort ist, an dem der sogenannte Master-Limbus nur ganz schlecht funktioniert.

Denn DBC Pierres Trip als koksender, kiffender und saufender Bürgersohn teilt die Welt in verschiedene Arten von Limben ein. Das funktioniert als gesellschaftskritische Allegorie auf den zombieartigen Zustand kapitalistischer Existenz zwar nur mäßig. Aus linker Sicht wirkt es aber drollig, wenn der Erfolgsautor das von missmutigen und nicht an Reichtum interessierten Originalen bewohnte Berlin über den Klee lobt und seinen Helden nur Ost-Berliner Sozialisten – inklusive Ex-Stasi-Offizier – kennen- und liebenlernen lässt.

Nur bis Mehringdamm

Titelheld Gabriel wundert sich zwar, wie Luxus-Buggys den Prenzlauer Berg hinauf- und hinuntergeschoben werden, aber alle seine ausschweifenden Drogentouren enden immer wieder in einer fröhlichen Prollkneipe am Mehringdamm. Während im großen Roman-Finale Tempelhof geschlossen wird, serviert man in den Katakomben eigens eingeflogenen Bankern vom Aussterben bedrohte Tiere in komplizierten Speisenfolgen. Der geheimnisvolle Cheforganisator der Guerilla-Orgie schlägt sich derweil bei Curry 36 den Bauch voll. Nebenbei wird noch über den Tatort als das deutsche Kulturerbe schlechthin gefachsimpelt und Gabriel kauft sich einen Trachtenanzug am Mehringdamm.

Am Ende erlebt DBC Pierres Held im proletarischen Berlin eine regelrechte Katharsis, die ganz jungsmäßig mit einer süßen Romanze endet. Er verliebt sich in eine Ost-Berliner Tierschützerin. Das alles wird in einer recht süffigen Prosa erzählt. Kaum zu glauben, dass Berlin eigentlich gerade seine heiße Phase im neoliberalen Stadtumbau erlebt und die Gentrifizierung zu beklagen mittlerweile schon zum guten Ton gehört. Für DBC Pierre ist Berlin im Vergleich zu London der antikapitalistische Limbus schlechthin. Und das, obwohl der Bestseller-Autor offensichtlich während seines City-Urlaubs, der dem Roman zugrundeliegen muss, über das bürgerliche Berlin gar nicht hinausgekommen ist. Er war anscheinend weder im Häuserkampf-Kompetenzzentrum rund um die Rigaer Straße noch am neuen Kudamm der linken Szene: downtown Neukölln in der Sonnenallee. Nein, DBC Pierre kam nur bis zum Mehringdamm.

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GabrielDBC Pierre, Eichborn 2011, 378 S., 19,95 €

Florian Schmid schrieb im Freitag zuletzt über Juri Andruchowytsch

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