Aufruf zum Sturm

Kirgistan Fünf Jahre nach der Tulpenrevolution von 2005 erschüttern wieder Aufruhr und Anarchie das verarmte Kirgistan. Das Regime von Präsident Bakijew hat ausgesorgt

Die Proteste in einem der ärmsten Länder Zentralasiens entzündeten sich an der Erhöhung der Kommunalabgaben und der Verhaftung einiger Oppositioneller. Kirgisien ist seit der Selbstaufgabe der Sowjetunion Ende 1991 zu einer der ärmsten Republiken Zentralasiens geworden. Das Land lebt vorrangig von den Einkommen kirgisischer Gastarbeiter in Russland sowie von den Zahlungen der USA und Russlands, die in Kirgisien seit Jahren Luftwaffenstützpunkte unterhalten. Für die Amerikaner ist die Basis Manas eine Relaisstation, die inzwischen bei der Intensität des Krieges in Afghanistan und dem daraus resultierenden Bedarf an Nachschub nicht mehr entbehrt werden kann.

Ausverkauf des Volksvermögens

Für aufkeimende Unzufriedenheit und grenzenlose Wut sorgte nicht zuletzt, dass Präsident Kurmanbek Bakijew, der als Sieger aus der verworrenen Tulpenrevolution 2005 hervorgegangen war, seinen Sohn Maksim als Nachfolger installieren wollte – unter Bruch der Verfassung. Maksim Bakijew leitet bereits die zentrale Agentur für wirtschaftliche Entwicklung. Ihm soll ein windiger Finanzberater aus den USA zur Seite gestanden haben, so dass die Opposition den Ausverkauf des Volksvermögens befürchtete. Die Menschen sind empört darüber, dass die neue Oberschicht, die nach der Tulpenrevolution schnell etabliert war, genauso korrupt ist, wie die alte Elite um den 2005 gestürzten Präsidenten Askar Akajew. Auch der war einst – wie Bakijew – als Hoffnungsträger angetreten. Kein Geringerer als der 2008 verstorbene Schriftsteller Dschingis Aitmatow hatte 1992 den damaligen Physikprofessor und Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in Bischkek vorgeschlagen, als Kirgisien nach den Ende der Sowjetunion unabhängig wurde wie die anderen fünf zentralistischen Republiken.

Fernsehsender übernommen

Ob Präsident Bakijew, der 2009 den Sieg bei äußerst umstrittenen Wahlen reklamiert hatte, überhaupt noch über Reste von Macht im Lande verfügt hat, scheint ungewiss. Inzwischen hat die Russische Föderation die Gegenregierung der Opposition unter Rosa Otunbajewa anerkannt. Damit scheint eine Vorentscheidung gefallen.

Unklar bleibt vorerst, ob und wie viele Regierungsmitglieder bei den Unruhen und Ausschreitungen getötet oder verletzt worden sind. Die Rede ist von Innenminister Moldomus Kongantiew, der zu Schaden gekommen und – nach einigen Berichten – bereits gestorben sei, was aber von einem Regierungssprecher in Bischkek bestritten wird. Vizepremier Akylbek Schaparow wurde in Talas von Demonstranten ein Auge ausgeschlagen. Der russische Fernsehkanal NTW interviewte Demonstranten, die erklärten, „die Menschen sind so aufgebracht, dass sich niemand mehr stoppen lässt.“ Die Opposition hat fast alle Regierungsgebäude in der Hauptstatdt unter ihre Kontrolle gebracht und auch mehrere Fernsehsender übernommen. Der internationale Flughafen Manas, in dessen Nähe sich auch der amerikanische Luftwaffenstützpunkt für den Afghanistan-Nachschub befindet, bleibt wohl bis auf weiteres geschlossen.

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