Aus 1 mach 3

Bühne Der Schriftsteller Ronald M. Schernikau hat nie für das Theater geschrieben. Taugt aber zur dramatischen Figur, wie eine Berliner Inszenierung zeigt

Theater passt zu Schernikau. Der Schriftsteller ist durch und durch theatralisch und ganz von dieser Welt. Natürlich, Ronald M. war kein Brecht. Stücke fehlen in seinem Nachlass. Warum wohl? Vielleicht fand er die Welt selbst dramatisch genug. Er liebte die Bühne. Im Westen kreierte er die Theatergruppe „Ladies Neid“. Ihre Mitglieder waren politisch motivierte Showmenschen, produzierten Nonsens, schufen alberne, verzweifelt komische Zusammenhänge.

Derlei liebte der tapfere Schernikau. Das arg Abgedrehte war sein Fall. Es sei gültiger Ausdruck der Zeit. Aber der Dichter hatte wenig Zeit. Er, 1960 in Magdeburg geboren, aufgewachsen in Lehrte, gelebt in West-Berlin und noch 1989 übergesiedelt nach Ost-Berlin, starb sehr früh, 1991, an Aids. Er war schwul. Und Kommunist. Und als hochintelligenter schwuler, kommunistischer Dichter sagte er sich: Diese Scheißwelt, die so schön ist, bietet so unzählige Partikel auf, dass man sie nur neu zusammenzusetzen braucht, damit sich eine andere Realität fügt. Das war des sprachgewandten Schernikaus literarisches Prinzip.

Genau das greifen die Theaterleute von der Gruppe Portfolio Inc. um Marc Lippuner im Berliner Theater unterm Dach auf mit der Premiere von Schernikau. Sehnsuchtsland. Ein gerahmtes Foto des Dichters mit Trauerflor ist zu sehen. Geteilt wird die Figur in drei Perspektiven. Da spricht der unverbesserliche Kommunist. Da streitet der Kommunist mit dem schwulen Manne, der schwule Mann mit dem Dichter Schernikau. Drei Schauspieler agieren (Stefan Artz, Thomas Georgiades, Michael F. Stoerzer). Und alle drei reden für und mit sich und wetteifern spielerisch untereinander, fechten bisweilen sportlich ihren Kampf aus. Jeder einzelne fragt und irrt und sagt zugleich Wahres.

Lippuner baut ein kleines Drama voller Haken und Ösen, worin referiert, zitiert, dialogisiert, monologisiert, gestikuliert, animiert, provoziert, geschockt wird. Komik ist ein Elexier von Schernikau. Sehnsuchtsland. Zur Darstellung kommt Schernikaus Mutter, über die es in Buchform ein wunderbares Gesprächsporträt gibt (Irene Binz, Rotbuch Verlag). Lachhaft die Situation, wie sie dem Bundesbeamten an der Grenze zur DDR andauernd zu verstehen gibt, sie sei kein politischer Flüchtling, sie wolle lediglich zum Vater ihres Sohnes. Sodann der windige Beamte sie aushorcht, als wäre sie schon im Visier des Bundesnachrichtendienstes.

Namensvetter Ronald

Das Stück geht so chronologisch wie sprunghaft vor. Ereignisse überstürzen, überkreuzen sich. Wie immer die drei Schernikaus Zwiesprache halten, sie bürsten gegen den Strich. Schön die Persiflage auf den Namen Ronald. Da scheinen die Grimasse Ronald Reagans und seine Phobie vor dem Kommunismus durch. Eine flotte, schaumige Geiferei. Können Popmusik, Schlager und dergleichen progressive Ideen dienstbar gemacht werden? Da fängt die Truppe plötzlich elend zu singen an. Heitere Zweifel nagen, ein Nachdenkprozess kommt in Gang. Schernikau kannte kaum jemals Berührungsängste zum Trivialen. Gleichzeitig bestand er auf den Kriterien der objektiven Wahrnehmung der Welt. Gesetzt, eine ihrer Subwelten zerspränge, scheitere, so explodiere noch lange nicht die Utopie einer besseren Welt. Schernikau. Sehnsuchtsland porträtiert, karikiert, konfrontiert, distanziert.

Die drei Schauspieler setzen einen enorm wichtigen Mann ins Bild, widersprüchlich im Marx'schen Sinn, einen lustigen, weltzugewandten, gelassen denkenden Menschen, der so gar nicht ins Raster passen will, aber dem die Zukunft gehört. So opponiert die Inszenierung mit freudigem, überraschendem Material gegen eine mit Vorurteilen vollgestopfte kapitalistische Welt. Zitiert wird aus einem wahrhaft geschichtlichen Dokument, aus Schernikaus Rede auf dem Schriftsteller-Kongress der DDR 1990. Den Text sollten sich alle Schriftsteller, die noch leben und damals dabei gewesen sind, hinter die Ohren schreiben. Wenn einer historisch wach war und warnte, dann Ronald M. Schernikau. – Ein seltener Fall von Mann und von Theater. Das Stück gehört nachgespielt. Viel Beifall für die engagierte Truppe.

Portfolio Inc.Schernikau. Sehnsuchtsland, Regie: Marc Lippuner. Nächste Vorführungen: 1. bis 4. Juli (Berlin, Theater unterm Dach), 9. bis 12. September (Lofft, Leipzig)

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