Nach dem Mindestlohn hätte es der zweite große Wurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles werden können: „Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern“, steht im vor zwei Jahren zwischen Union und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag. Einen lange angekündigten Gesetzentwurf dazu will Nahles in diesem Herbst endlich vorlegen. Doch alles spricht dafür, dass der Entwurf sogar noch hinter die ohnehin zaghaften Eckpunkte des Koalitionsvertrages zurückfallen wird.
Die darin für Leiharbeiter angekündigte gesetzliche „Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten“ etwa klingt zunächst gut. In den darauffolgenden Zeilen jedoch sind Ausnahmen vorprogrammiert, die Nahles unter dem Druck der Arbeitgeber nun im Sommer als neue Marschrichtung ausgegeben hat: „Wo es Tarifverträge gibt, gibt es Spielräume.“ Arbeitgeber und Gewerkschaften sollen also im Einzelfall tariflich vereinbaren können, dass Arbeiter für mehr als 18 Monate verliehen werden dürfen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen kommt dies einer Einladung an die Arbeitgeber gleich, Gefälligkeitstarifverträge mit sogenannten gelben, unternehmerfreundlichen Gewerkschaften zu schließen.
Außerdem hatten die Koalitionsparteien vor zwei Jahren vereinbart, den Einsatz von Leiharbeitskräften als Streikbrecher zu verbieten. Zuletzt hatte die Deutsche Post im Frühjahr den vierwöchigen Zustellerstreik mit Hilfe osteuropäischer Leiharbeitsfirmen wirkungsvoll unterlaufen. Alle Versuche der Gewerkschaft Verdi, dies gerichtlich stoppen zu lassen, blieben ohne Erfolg. Das ist Wasser auf die Mühlen der Arbeitgeber. Angeführt von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kämpfen sie derzeit erbittert gegen die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen.
Risiken auslagern
Der Missbrauch letzterer ist die größte Baustelle, an der sich Nahles versucht – und absehbar scheitern wird. Werkverträge waren ursprünglich für die Gestaltung kurzfristiger Lieferanten- und Dienstleistungsaufträge gedacht, haben sich aber zu einer Umgehungsstrategie für die von vielen Unternehmen als zu teuer empfundene Leiharbeit entwickelt. Dies dürfte sich verschärfen, wenn Nahles tatsächlich eine weitere Vorgabe des Koalitionsvertrags umsetzt: Leiharbeiter sollen nach spätestens neun Monaten den gleichen Lohn erhalten wie die Stammbelegschaft.
Früher wurden Werkverträge eingesetzt, wenn es etwa darum ging, eine Handwerksfirma mit einer Reparatur oder ein Ingenieurbüro mit einem zeitlich und inhaltlich klar begrenzten Projekt zu beauftragen. Seit ein paar Jahren heißt das Zauberwort „On-Site-Outsourcing“. Dabei geht es um die Auslagerung aller unternehmerischen Risiken an meist nicht tarifgebundene Drittfirmen, die in der Regel auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers tätig sind und einen „Betrieb im Betrieb“ bilden. Der Auftraggeber spart dabei nicht nur Personalkosten, sondern entledigt sich jeglicher Verantwortung und Fürsorgepflichten für die betreffenden Arbeitnehmer. So ist er beispielsweise nicht mehr für die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen oder Arbeitszeit- und Pausenvorschriften verantwortlich zu machen. Ob die Beschäftigten angemessene Arbeitsbekleidung zur Verfügung gestellt bekommen, muss ihn ebenso wenig kümmern wie die Frage, ob das beauftragte Werkvertragsunternehmen den gesetzlichen Mindestlohn zahlt und Sozialversicherungsbeiträge abführt.
Berichte über Kolonnen osteuropäischer Wanderarbeiter, die für drei Euro in der Stunde in niedersächsischen Schlachthöfen Schweine im Akkord zerlegten, verstörten vor zwei, drei Jahren die Republik. Seit der Einführung eines Branchenmindestlohns im Sommer 2014 – zunächst 7,75 Euro, heute 8,60 Euro – verschwand das Thema aus den Medien. Tatsächlich geht der Werkvertragsmissbrauch nach Einschätzung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) munter weiter.
Doch längst ist er nicht mehr auf die Schmuddelbranche Massentierhaltung beschränkt. Im Sommer 2013 brach in einer überfüllten Unterkunft im norddeutschen Papenburg ein Brand aus. Zwei rumänische Arbeiter kamen ums Leben. Erstmals nahm die Öffentlichkeit davon Kenntnis, dass der Handel mit Arbeitssklaven längst in hochregulierten und tarifgebundenen Kernbereichen der deutschen Exportindustrie angekommen war: Denn die verunglückten Arbeiter hatten beim Emdener Industriedienstleister SDS für 3,50 bis 5,50 Euro pro Stunde auf der Meyer Werft gearbeitet. Sie waren keine Einzelfälle.
Leiharbeit, Werkvertrag – oder irgendetwas dazwischen: Sechs Menschen erzählen aus ihrem Arbeitsalltag
Markus Müller (38) *
„Ich arbeite seit 2007 als Betriebsschlosser und nehme Maschinenteile auseinander, um sie wieder instand zu setzen – etwa das Getriebe einer Maschine. Wenn Schweißarbeiten nötig sind, dann mache ich das. Unsere Firma überlässt Mitarbeiter an andere Kunden, die restlichen Mitarbeiter sind in Werkverträgen. Ich selbst war von Anfang an in beiden Bereichen beschäftigt. Oft ist aber unklar, ob ich nun dem Kunden überlassen wurde oder ob der Vorgesetzte in meiner eigenen Firma mir Anweisungen geben darf. Zum Teil werde ich über einen Werkvertrag beschäftigt, obwohl es sich eigentlich um versteckte Arbeitnehmerüberlassung handelt.
Im Werkvertrag werde ich deutlich schlechter bezahlt als die festen Mitarbeiter des Kunden und die Leiharbeiter meiner eigenen Firma, obwohl ich die gleiche Arbeit mache. Schwierig sind auch die Arbeitszeiten: Heute bin ich im Betrieb, morgen schon in einer anderen Stadt. Mal hier, mal dort, immer auf Reise. Von mir wird eine enorme zeitliche Flexibilität eingefordert. Früher musste ich teils jedes Wochenende eines Monats arbeiten. Als ich dagegen protestierte, hieß es: Dann können wir dich hier nicht mehr gebrauchen. Aber ich bin bei der IG Metall und seit Mai Betriebsratsvorsitzender. Darum versucht mein Arbeitgeber nun, mich mürbe zu machen: Ich werde hin und her geschickt, mein Urlaubsgeld wurde ge-kürzt und das Fahrgeld weggenommen. Die Geschäftsleitung hier kann das sehr gut: Mitarbeiter manipulieren, damit sie nur ja nicht aufmucken.
Simone Mill (59) *
„Ich gebe Integrationskurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziert. Träger ist eine Volkshochschule, mit der ich einen Honorarvertrag überje 100 Stunden habe. 21 Euro brutto pro Stunde verdiene ich dort, die Sozial-versicherungsbeiträge muss ich davon zu 100 Prozent selbst zahlen. Obwohl wir Honorarkräfte oft mehr Stunden unterrichten, verdienen wir viel weniger als angestellte Lehrer. Um mit denen gleichauf zu liegen, müsste ich 60 Euro pro Stunde bekommen. Stattdessen gebe ich teilweise 36 Stunden pro Woche. Das hält man nicht lange durch. Bis zu zwei Stunden pro Tag verwende ich auf Vor- und Nachbereitung, bezahlt wird das nicht, ebenso wenig wie Krankheitstage. Gerade haben wir durchgesetzt, dass wir zumindest ein paar Urlaubstage bezahlt bekommen, wenn wir über die Hälfte des Einkommens bei einem Träger verdienen. Damit sind wir nämlich ‚arbeitnehmerähnlich‘. Aber‚ scheinselbstständig‘ trifft es sehr viel eher.“
Omid Ebtehadsch (27) *
„Seit sieben Monaten arbeite ich bei einem Unternehmen, das mich an verschiedene REWE-Märkte verleiht. Dort räume ich Regale ein. Im Prinzip sind meine Kollegen und ich Logistiker, aber von uns wird auch erwartet, dass wir Kunden beraten. Vor Start des Mindestlohns betrug der Verdienst 6,30 Euro pro Stunde, jetzt 8,50 Euro. Wir müssen aber bestimmte Produktivitätszahlen pro Stunde erreichen. Und die sind seit der Lohnerhöhung sehr stark gestiegen. Wenn wir diese Vor-gaben nicht erfüllen, wird Druck auf uns ausgeübt. Ob man das Soll schafft, hängt ganz vom jeweiligen Markt ab. In meinen ersten Monaten wurden mir deshalb oft Stunden falsch aufgeschrieben: Nur so viele, wie ich laut den Produktivitätszahlen gearbeitet hätte. In Wahrheit waren es mehr, die Differenz betrug bis zu vier Stunden. Für mich gibt es überhaupt keine Aussicht, in ein geregelteres Arbeitsverhältnis zu kommen. Ob ich arbeite oder nicht, das war anfangs stets ein Glücksspiel. Manchmal erfuhr ich erst um 22 Uhr, ob ich am nächsten Tag eingesetzt werde. Jetzt bin ich an einem festen Ort und die Zeiten sind geregelter. Gleichgeblieben ist der Druck durch die Vorgaben – nicht nur vom Chef, auch unter uns Kollegen. Und ob ich nun eigentlich Leiharbeiter oder Werkvertragler bin, das ist weder aus dem Arbeitsvertrag ersichtlich, noch haben meine Vorgesetzten dazu eine einheitliche Meinung.
Marlene Schiller (37) *
„Vor zehn Jahren habe ich mich bei einer Stiftung auf eine feste Stelle beworben. Ich bin nicht genommen worden, aber mir wurden verschiedene Jobs angeboten: Ich halte Vorträge im In- und Ausland, organisiere Konferenzen oder schreibe Texte – alles immer per Werkvertrag. Das war in der ersten Zeit attraktiv für mich: die Institution, die Leute, die Themen. Werkverträge zu haben und per Jobcenter aufzustocken, das schien bei der Stiftung Usus zu sein. Und ich glaube, viele in meinem Umfeld haben es gut gemeint, wenn sie mir solche „Überlebensstrategien“ ans Herz gelegt haben. Dann fallen in Bezug auf Leute wie mich Sätze wie: „Die alimentieren wir.“ Für Sorgen meinerseits wie die Absicherung im Alter gab es keinerlei Sensibilitäten. Zwar wurde mir öfter gesagt: „Ja, wir kümmern uns drum.“ Aber dann ist nichts passiert. Auch langfristig änderte sich nichts: Ich bin in einer Schlaufe von Kettenwerkverträgen hängengeblieben. Es gab auch Absprachen zu Erhöhungen meiner Honorare. Doch natürlich nie schriftlich, sondern nur auf Vertrauensbasis – man kennt sich ja und arbeitet für dieselbe Sache. Als ich dann die bessere Bezahlung eingefordert habe, wurde ich brüsk abgewiesen. Selbstständigkeit kann zwar vorteilhaft sein, aber nur bei einem Honorar, das dem von Festangestellten entspricht. Am wichtigsten wäre mir eigentlich eine Sozialversicherung. Momentan komme ich so über die Runden, bin aber absolut abhängig von meinem Auftraggeber.“
Phillip Scholz (29) *
„Ich bin seit Juni bei einer studentischen Leiharbeisfirma in der Logistik-Branche beschäftigt. Dort arbeite ich manchmal beim Versand, mal beim „Picken“ oder beim Wareneingang – das ändert sich jedes Mal. Beim „Picken“ bekomme ich eine Liste mit Artikeln, die ich einsammeln muss. Dafür gehe ich durch die Lagerhalle und packe alles in Kisten. Es sind alles relativ einfache Tätigkeiten. Jede Tätigkeit kann man in ein paar Minuten erlernen. Ich kann relativ entspannt arbeiten, weil ich keine Bonusanreize wie die Festangestellten habe, die sich dafür sehr anstrengen müssen.
Ich bekomme 9 Euro die Stunde, 20 Cent über dem geltenden Tarifvertrag. In der Jobbeschreibung waren ein fester Monatslohn und eine feste Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche angegeben. In der Realität sieht es aber ganz anders aus: Es wird mit ganz kurzen Kettenbefristungen gearbeitet. Ich kriege Wochenverträge – je nachdem, ob Arbeit anfällt. Wenn keine Arbeit beim Entleihunternehmen anfällt, kriege ich auch keine Verträge. Um auf 20 Stunden pro Woche zu kommen, brauche ich sehr viel Glück. Das Ganze erinnert an Tagelöhnerei.
Deshalb habe ich auch keine Lohngarantie. Freie Schichten werden kurzfristig über einen E-Mail-Verteiler als Angebote verschickt. Häufig gibt es viel zu wenige. Der Plan ist auch nicht immer verbindlich: Manchmal wird eine Schicht an einem Tag angeboten und am nächsten Tag wieder abgesagt. Einmal hatte ich ernsthafte Probleme, genug Schichten zu bekommen. Dann habe ich nach weiteren Leiharbeitsstellen gesucht und beim Messebau gearbeitet. Ich bleibe noch in diesem Beruf, weil ich solche Arbeitsverhältnisse in ihrer rechtlichen Fragwürdigkeit nicht unwidersprochen hinnehme. Ich bin seit einem halben Jahr in der Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) aktiv, wir haben einen Arbeitsschwerpunkt zu prekären Beschäftigungsverhältnissen. Gerade prüfen wir mit einem Anwalt, ob wir gegen die Umstände meines Arbeitsverhältnisses vorgehen."
Thomas Buchwald (52)
„Ich bin zur Zeit Betriebsratsvorsitzender bei Schnellecke. Wir von Schnellecke haben einen Werkvertrag direkt bei Porsche und sind zuständig für die Anlieferung der Teile. Ich bin 2005 als Leiharbeiter hierher gekommen. Da waren die Bedingungen wirklich noch schlecht. Die Leiharbeiter haben teilweise 5,60 Euro pro Stunde verdient. Nach drei Jahren wurde ich übernommen. Bei Schnellecke bin ich jetzt fest angestellt. Die haben mit Porsche einen Werkvertrag abgeschlossen. Unsere Mitarbeiter bringen die Materialien zu den Mitarbeitern von Porsche. Die Porschemitarbeiter bekommen Jahresprämien-Zahlungen, das bekommen wir nicht. Aber natürlich wissen wir davon. Und das Lohngefälle ist groß. Unsere Mitarbeiter verdienen 30 Prozent weniger als die, die bei Porsche am Band arbeiten.
Im Prinzip ist unsere Arbeit klassisch outgesourct und dadurch auch benachteiligt. Urlaubstage und Krankheitstage werden aber normal bezahlt. Wir haben ja einen Tarifvertrag mit der IG Metall. Das haben wir uns erkämpft. Wir bekommen zum Beispiel inzwischen 30 Urlaubstage und 20 Euro zusätzlich pro Urlaubstag. Jetzt sind wir wieder in Tarifverhandlungen. Schauen wir mal, was wir da erreichen können. Ich denke, Werkverträge sind nicht mehr wegzudenken - die wird es immer geben. Aber dann muss das unter fairen Bedingungen stattfinden. Sonst bleibt für die Mitarbeiter nichts mehr übrig. Wir wollen ja nicht genau das, was die am Band verdienen, aber die Spanne sollte nicht größer werden. Und die Zulieferer sollten auch Sonderprämien bekommen. Inzwischen habe ich zum Glück erkannt, was man erreichen kann, wenn man sich organisiert."
* Namen geändert
Protokolle: Ben Mendelson und Pia Rauschenberger
Wie man auf vermeintlich zivilisiertem Niveau Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck bringt, machte der Hamburger Flugzeugbauer Airbus vor. Im Frühjahr 2014 berichtete die lokale Presse über Pläne des Unternehmens, sich von etwa 1.000 der damals rund 2.800 Leiharbeiter zu trennen. Schlagzeilen machte der Fall eines Technikers, der seit neun Jahren als Leiharbeiter in der Entwicklung des Langstreckenjets A350 beschäftigt war. Im Sommer 2014 änderte sich plötzlich sein arbeitsrechtlicher Status: Zwar saß er immer noch mit denselben Kollegen zusammen und bekam seine Anweisungen vom selben Airbus-Teamleiter, verdiente aber 30 Prozent weniger. Eine umfangreiche Recherche der IG Metall Küste zeigte, dass das Vorgehen des Flugzeugbauers System hatte.
In der Metall- und Elektroindustrie werden in drei Vierteln aller Betriebe Arbeiten auf Grundlage von Werkverträgen ausgelagert, ergab eine Anfang Oktober veröffentlichte Betriebsrätebefragung der IG Metall. Dies gilt auch für Kernbereiche der Wertschöpfungskette wie Produktion, Montage sowie Forschung und Entwicklung. Der Anteil der Unternehmen, in denen Werkverträge Stammarbeitsplätze ersetzen, ist der Studie zufolge seit 2012 von sechs auf 18 Prozent gestiegen.
Seit Monaten versucht die IG Metall, die mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern die meisten der 6,1 Millionen im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Organisierten stellt, mit öffentlichen Aktionen auf das Thema aufmerksam zu machen. Andere DGB-Gewerkschaften sind weniger präsent. Ihre Ressourcen sind eben begrenzter – ihre Probleme eher nicht. Denn quer durch alle Branchen gehört der Werkvertragsmissbrauch mittlerweile zum Repertoire moderner Personalplanung, die im Managersprech „Human Resources“ heißt.
Selbst der öffentliche Dienst ist keine Ausnahme, wie das Beispiel der Berliner Zentral- und Landesbibliothek zeigt. Unter Federführung einer sozialdemokratischen Kulturverwaltung wurde im Juni 2014 begonnen, den Büchereinstelldienst an ein externes Unternehmen auszulagern. Die Maßnahme diene der „Entlastung der eigenen Mitarbeiter“ und der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, hieß es. Doch die nun zuständige Firma beschäftigt zu schlechteren Bedingungen und zahlt statt Tarif- nur den Mindestlohn.
Ähnlich sieht es im Einzelhandel und in vielen Dienstleistungsbranchen aus. Die Beschäftigten von Werkvertragsfirmen räumen Supermarktregale ein, putzen Hotelzimmer, betreiben Kantinen und Callcenter, be- und entladen Lastwagen und fahren Pakete aus. Bezahlt wird pro „Werk“: für das volle Regal, das geführte Kundengespräch oder das gelieferte Paket.
Die Entwicklung maßgeschneiderter Werkvertragskonstruktionen samt Arbeitsorganisation, Personalbeschaffung und -führung ist inzwischen ein boomendes Geschäftsfeld von Unternehmensberatungen und Personaldienstleistern. Was plant Nahles zur Eindämmung dieses ausufernden Unwesens?
Im Koalitionsvertrag heißt es lapidar: „Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden.“ Damit ist klar, dass es nicht um eine Verschärfung geltenden Rechts gehen wird, sondern allenfalls darum, ein über die letzten Jahre zur Normalität gewordenes Rechtsstaatsversagen ein bisschen zu korrigieren.
Einem Recht auf Mitbestimmung bei Werkverträgen für Arbeitnehmervertreter hat Nahles bereits eine Absage erteilt. Stattdessen sollen Unternehmen verpflichtet werden, ihre Betriebsräte vierteljährlich über den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten zu informieren. Zwar haben die Betriebsräte bereits jetzt einen Anspruch auf diese Informationen – aber nur, wenn sie gezielt danach fragen. Dazu brauchen sie konkrete Anhaltspunkte, dass „etwas nicht stimmt“. Doch gerade in Großunternehmen, wo ständig Lieferanten, Reparatur- und Wartungsdienste und Installateure auf dem Betriebsgelände unterwegs sind, fällt solch ein „On-site-Outsourcing“ oft erst nach einiger Zeit auf.
Gute und schlechte Verträge
Weiter soll das Gesetz definieren, was ein guter und was ein schlechter Werkvertrag ist, und damit eine rechtssichere Unterscheidung zur Arbeitnehmerüberlassung erleichtern. Das ist nicht ganz neu. Schon heute gilt: Beschäftigte einer Werkvertragsfirma dürfen keine Weisungen vom Auftraggeber erhalten. Geschieht dies doch, handelt es sich in Wirklichkeit um Leiharbeit. Das klingt simpel. In der Praxis führt es jedoch zu kreativen Umgehungsstrategien – etwa der, dass einfach ein Vorarbeiter der Fremdfirma zwischengeschaltet wird. So empfehlen die Berufsgenossenschaften in einem Leitfaden für Unternehmen, Auftraggeber sollten „darauf achten, dass Weisungen jeglicher Art grundsätzlich nur an den Aufsichtführenden der Fremdfirma zu richten sind, der sie dann an seine Mitarbeiter weitergibt“.
Ferner sollen künftig die Auftraggeber für den Arbeitsschutz der Beschäftigten von Werkvertragsfirmen auf ihrem Betriebsgelände verantwortlich sein. Eine derartige Regelung ist überfällig. Diverse Studien zeigen, dass Beschäftigte mit unterschiedlichem arbeitsrechtlichen Status unterschiedlichen Gefährdungsrisiken ausgesetzt sind. Für Leiharbeiter ist das Risiko höher als für Stammbeschäftigte, weil sie kürzer im Betrieb bleiben und die Fluktuation hoch ist. Am gefährlichsten leben Werkvertragsbeschäftigte – eben genau deshalb, weil der Auftraggeber die Verantwortung fast komplett abwälzen kann.
All das wären im Vergleich zum Status quo bescheidene Verbesserungen. Den Werkvertragsmissbrauch werden sie allerdings nicht wirksam eindämmen können. Dazu wären weitergehende Maßnahmen nötig. Vorschläge dazu lagen bereits auf dem Tisch – und sind wieder in der Schublade verschwunden. 2014 erarbeiteten die Arbeitsrechtler Christiane Brors und Peter Schüren im Auftrag des nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums ein Gutachten, in dem sie eine Umkehr der Beweislast vorschlagen: Wenn betroffene Beschäftigte vorbringen, dass sie in den Betriebsablauf eines Auftraggebers eingebunden sind, müsste dieser das Gegenteil beweisen. Kann er nicht überzeugend darlegen, dass der Einsatz im Rahmen eines echten Werkvertrages stattfindet, würde automatisch von illegaler Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen werden. Der Beschäftigte müsste eine Festanstellung erhalten.
Doch an einem solchen Modell hat die Große Koalition kein Interesse. Dazu sind neue politische Konstellationen nötig.
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