A–Z Mal muss die altehrwürdige Luthereiche dran glauben, mal ganze Alleen, ganz zu schweigen vom Regenwald. Proteste helfen wenig, wir brauchen andere Mittel: Unser Lexikon
Avatar Kennen Sie den Kinofilm? Es geht um eine Schlüsselszene aus James Camerons Science-Fictionvon 2009. Die Menschen in Avatar sind bei der Erforschung des Weltraums auf einen fernen Planeten gestoßen, der große Ressourcen eines von ihnen begehrten Minerals birgt. Direkt über dem größten Vorkommen dieses Rohstoffs wohnt, arbeitet und schläft das Volk Omaticaya – in einem mehr als 1.000 Jahre alten, riesigen Baum, dem Heimatbaum. Sie fertigen ihre Pfeilbögen aus dem Holz des Baums, der 250 Meter hoch ist. Seine Wurzeln sind mit den Wurzeln der ihn umgebenden Pflanzenwelt verbunden. Ein rassistisches und profilierungssüchtiges Militär möchte ans Minerallager und ignoriert die Natur und die gewachsenen Strukturen. Die Anthropolo
Natur und die gewachsenen Strukturen. Die Anthropologen, die sie beschützen wollen, haben keine Chance. Die Sequenz der Zerstörung dieses Baums erinnert an Francis Ford Coppolas Apocalypse Now. Eine spektakulärere fiktive Kriegserklärung habe ich noch nicht gesehen. Jutta ZeiseBBauen Erst mussten Kastanien in der gleichnamigen Allee in Berlin-Prenzlauer Berg weichen, weil Wurzeln dem Bau einer Tiefgarage im Weg standen. Nun verschwinden auch die Pappeln in der Pappelallee, wegen Baumaßnahmen. Es gab ➝ Protest. Doch als vor wenigen Wochen gefällt wurde, war der verstummt. Der (grüne!) Stadtrat war verwundert, wie ruhig es geblieben ist. Nun sollen Fahrradstreifen, abgesenkte Bordsteine und Parkbuchten entstehen. Laut Berliner Baumschutzverordnung muss jeder so vernichtete Baum ersetzt werden, je nach Alter und Größe mit bis zu fünf jungen Bäumchen. Aber nicht mit Pappeln! Die sind „als Straßenbaum wegen ihres aggressiven Wurzelwerks völlig ungeeignet“, sagt der Stadtrat. Amber, Ahorn und Rosskastanie stehen zur Auswahl, oder eine Kirsche, im Herbst wird neu gepflanzt. Nur wie soll die Straße dann heißen? Acht Mal gibt’s in Berlin schon die Kastanien-, sieben Mal die Ahornallee. Amberallee wäre in der ganzen Stadt noch frei. Maxi Leinkauf FFeuer Der Zusammenhang liegt auf der Hand. Feuer kann selbst den ältesten, massivsten Baum verschlingen, Waldbrände sind eine Naturgewalt, auch wenn nur in wenigen Fällen die Natur selbst das Feuer auslöst. Ist es gelöscht, bleiben zurück: verrußte Erde, der Gestank nach Asche, angekokelte Silhouetten. Lauter Baumskelette. Doch Feuer und totes Holz, das steht auch für ganz praktische Dinge. Die Entdeckung und Nutzung des Feuers war ja entscheidend für die Menschheit. Die erste Feuernutzung war wohl die Zähmung von Wildfeuern. Ein natürlich entstandenes Feuer, beispielsweise durch Blitzschlag, wurde vom Menschen bewahrt und für seine Zwecke genutzt. Der Mensch lernte später, dass ein Feuer unterhalten und gehütet werden muss. Und er brauchte totes Holz. Ein Lagerfeuer ohne trockenes Geäst, ein Kaminfeuer ohne Holzscheite? Schwer vorstellbar. Und so bleibt das Verhältnis von toten Bäumen und Feuer ambivalent. Benjamin Knödler GGegenmaßnahmen Nachdem der Düsseldorfer Wald durch ein Unwetter zerstört wurde, wird nun aufgeforstet. 100.000 neue Bäume sollen gepflanzt werden, die künftigen Katastrophen besser standhalten können als die landläufigen Nadelhölzer in Monokultur. Im notorisch armen Berlin (➝ Bauen) können die Bürger durch Spenden selbst zur Stadtbegrünung beitragen. Und auch in der Privatwirtschaft tut sich etwas für Bewaldung. Der erste pflanzbare Kaffeebecher soll in die Erde kommen, man gräbt ihn nach dem Benutzen ein, und es entsteht ein Baum daraus. Verschiedene Mode- und Designlabel werben damit, für jeden verkauften Artikel einen Baum zu pflanzen. Den tropischen Regenwald wird das wohl nicht retten, aber für den Anfang ist’s nicht schlecht. Sophie ElmenthalerHHolzfällersteak Bald geht die Grillsaison wieder los. Die Holzkohle, die unseren Grills einheizt, wird wegen gestiegener Umweltstandards und mangels billigen Holzes fast ausschließlich importiert. Und selbst wer bereits auf Gas- oder Elektrogrill umgestellt hat, sollte sein Fleisch zweimal umdrehen. Jede Menge Bäume, vor allem in Südamerika, mussten dafür sterben. Denn auch für den Anbau von Futtermitteln wie Soja müssen Wälder weichen. Selbst wenn Bäume hierzulande kaum betroffen sind, ist fast jedes Schweinesteak in diesem Sinn ein Holzfällersteak. Ulrike BewerKKunst Weltweit lassen sich Künstler vom Material niedergestreckter Bäume inspirieren (➝ Songs). Günter Grass veröffentlichte 1997 den mit eigenen Zeichnungen versehenen Band Totes Holz, seinen Nachruf auf die Wälder. Auch Aktionskünstler Joseph Beuys wollte auf die Abholzung hinweisen und pflanzte 7.000 Eichen für die documenta 1982 in Kassel – an den verschiedenen Orten der Stadt. Reines Interesse am Werkstoff und eine Interpretationsbasis des Objekts gehen heute ineinander über. Der Däne Ólafur Elíasson schleppte in Island angeschwemmte sibirische Baumstämme nach Berlin und ließ sie als „Berliner Treibholz“ einfach im Stadtraum herumliegen. Jeder konnte sie mitnehmen, sofern sie als Kunst erkannt wurden. Der Sammler Christian Boros schleppte sie in seinen Bunker, wo man sie heute zusammen mit Ai Weiweis Tree (2011) betrachten kann. Der mit traditioneller Stecktechnik und großen Eisenschrauben aus toten Sumpfhölzern zusammengebaute Kunstbaum soll Assoziationen wie Verwundung und Zerstörung wecken – bei Weiwei naturgemäß Regimekritik an seiner Heimat China. Sophia HoffmannLLuthereiche Das Ansinnen war astrein, dennoch wurde vor vier Jahren in Bad Schandau ein Stück 200-jähriger Geschichte kaputtgemacht. Als Forstarbeiter das Lutherdenkmal von wildem Baumbewuchs frei schnitten, fällten sie aus Versehen eine der beiden Luthereichen. Die Stadtverwaltung hatte nicht gewusst, dass dort gleich zwei der Gedenkbäume – sie kamen direkt von der Eisenacher Wartburg – standen. Solche Ehrenbäume findet man häufiger in Deutschland. Die meisten sind Luthereichen, die 1883 zum 400. Geburtstag des Reformators gepflanzt wurden. Die bekannteste steht in der Lutherstadt Wittenberg. Allerdings fiel der ursprüngliche Baum in den Napoleonischen Kriegen dem Brennstoffmangel zum Opfer, 1830 setzte man einen neuen. Mehr als 100 dieser Eichen soll es geben, Lutherlinden und -buchen kommen noch hinzu. Luther soll zu den Bäumen eine sehr intensive Verbindung gepflegt haben. Tobias PrüwerPProtest An der Abholzung von Bäumen entzündet sich regelmäßig die Wut der Bevölkerung. Ob das der besonderen Sinnlosigkeit oder dem angeblich exklusiven Verhältnis der Deutschen zum Wald geschuldet ist? Vor kurzem riefen acht Bürgerinitiativen in Erfurt zu Protesten gegen eine Fällung von Bäumen neben der berühmten Krämerbrücke auf. Vor zwei Wochen musste die Stadt Duisburg in letzter Minute einen Fällstopp verhängen. Bürger hatten Eilanträge gegen den Kahlschlag einer ganzen Baumallee gestellt, der ist nun mindestens verschoben. Den Kampf gegen die Baumbeseitigung in einem Stadtpark haben Menschen in Bad Karlshafen gerade verloren. In Konstanz hofft man noch auf das dauerhafte Ruhen der Sägen im Trägermoos. Weltweit bekannt wurde der Protest gegen Baumfällungen im Rahmen des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21. Als die ersten Bäume im Schlossgarten weichen sollten, kam es zu Blockaden. Die Polizei ging mit exzessiver Gewalt dagegen vor. Das Bild des Demonstranten mit den blutenden Augen, er erblindete fast vollständig durch einen Wasserwerfereinsatz, ging um die Welt. Und der Begriff Wutbürger wurde salonfähig. Tobias PrüwerPapierprüfung Schreib– und Bürowaren aus illegal geschlagenem Holz darf man in die EU nicht importieren. Woran erkennt man sie? Man beauftragt einen Experten für physikalische Papierprüfung. Der testet Qualität oder Reißfestigkeit des Materials, fahndet nach der Herkunft des Stoffs und bestimmt anhand von Fasern und Zellen die Hölzer. Und er prüft, ob nichtdeklarierte Holzarten mit legalen vermischt wurden. Maxi LeinkaufSSongs Die Texte der Populärmusik leben von starken, symbolbeladenen Bildern. Ein sehr willkommenes ist der hagere, in den Abendrothimmel ragende tote Baum. Bekanntestes Werk ist wohl die Ballade Mein Freund, der Baum der tragisch 1969 bei einem Autounfall verunglückten Schlagersängerin Alexandra. Auch im Hardrock-/Metal-Bereich gibt es viele Reminiszenzen. Ob eine Band mit Namen The Old Dead Tree oder der Smash-Hit Dead Trees der US-amerikanischen Post-Hardcore-Band From First to Last. Auch der britische Singer/Songwriter Josh Record hat dem toten Gehölz eine Ballade gewidmet. Im Romanerfolg „Die Tribute von Panem“ erklingt das Lied vom Henkersbaum, eine Assoziationserweiterung, in der der Baum zwar noch lebt, aber als Tötungsinstrument dient. Das in diesem Zusammenhang populärste Lied ist wohl Strange Fruit von Billie Holiday. Es handelt von rassistisch motivierten Lynchmorden in den Südstaaten. Sophia HoffmannUUrne Menschen töten seit eh und je Bäume, aber Menschen schenken Bäumen auch Leben: Unsere sterblichen Überreste werden dank Bakterien und Pilzen früher oder später zu Nährstoffen, die Ahorn oder Eberesche nützlich sein können.In der Literatur finden sich haufenweise direkte Verbindungen zwischen Toten und Bäumen. Auf dem Grab von Aschenputtels Mutter wächst beispielsweise ein glückbringender Baum; bei Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ein Birnbaum, der die Kinder auch nach Ribbecks Tod zuverlässig mit Birnen versorgt. So weit der natürliche Lauf der Dinge. Manche Unternehmen haben daraus eine Geschäftsidee gemacht: etwa eine biologisch abbaubare Pappurne, die im oberen Teil Platz für Baumsamen eigener Wahl lässt. Man spart sich bei dieser Variante den Holzsarg und somit einen weiteren toten Baum. Und der Hinterbliebene bleibt Teil des Lebenskreislaufs. Sophie ElmenthalerZZeder Entgegen ihrem Ruf, das Klima zu verbessern, reicht mitunter ein Exemplar aus, um dicke Luft zu machen. So verursachte in Bonn eine große, alte Zeder 2013 einen vielbeachteten Kleinkrieg unter Nachbarn. Der Baum drohte wegen Wurzelschäden umzustürzen und sollte darum von den Grundbesitzern, die dort ein neues Haus bauen wollten, gefällt werden. Die Nachbarn versuchten diesen Gewaltakt gegen den Baum zu verhindern, Beschimpfungen und Drohanrufe inklusive. Die Baumfäller in spe zeigten sich jedoch wehrhaft. Da einer der aggressiveren Nachbarn Botschafter war, wandten sie sich direkt an seinen obersten Vorgesetzten, den damaligen Außenminister Guido Westerwelle. An ihm wird es jedoch nicht gelegen haben, dass die Zeder letztlich gefällt wurde. Benjamin Knödler
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