»Biedenkopf hat Sachsen abgeschrieben«

IM GESPRÄCH Cornelius Weiss, Gründungsrektor der Universität Leipzig, über einen wissenschaftlichen Emporkömmling und die Anfänge der Rentnerrepublik

Die Hochschulen Sachsens kommen nicht zur Ruhe. 1991 wurden die »ideologisch belasteten« Sektionen abgewickelt, also geschlossen. Das schöne Konzept des anschließenden Neuaufbaus verfolgte die sächsische Wissenschaftspolitik nur inkonsequent. Immer wieder kam es zu Kürzungen. Jetzt will Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) die Hochschulen erneut zur Ader lassen. Offizielle Begründung dafür ist das Jahr 2005: Dann fließen weniger Subventionen aus dem Westen, weil ein neuer Länderfinanzausgleich gilt. Sicher ist das jedoch nicht. Dennoch will Biedenkopf den Öffentlichen Dienst »auf Westniveau« schrumpfen, in Zahlen die heute 103.000 öffentlichen Stellen bis zum Jahr 2008 auf 88.000 abbauen. Auch die Hochschulen müssen wieder auf Personal verzichten. Cornelius Weiss, von 1991 bis 1997 Rektor der Universität Leipzig, hält diesen Weg für vollkommen falsch: Biedenkopf verstärke mit seinem Fatalismus den Trend, anstatt ihn umzukehren.

FREITAG: Aus Sachsens Hochschulen dringt Kampfgeschrei. Was ist los an den Unis? CORNELIUS WEISS: Die Landesregierung hat beschlossen, den Universitäten und Fachhochschulen eine erhebliche Kürzung der Stellen für Wissenschaftler und Dozenten zu verordnen. Damit knipst das Kabinett Biedenkopf praktisch das letzte Licht aus, das in Sachsen noch Leuchtkraft besitzt.

Das klingt dramatisch.

Die Zitrone ist ausgequetscht. Ein solches Ausmaß an Kürzungen ist nicht mehr zu bewältigen. Sachsens Hochschulen werden ganze Fachbereiche schließen und Studiengänge einstellen müssen. Ein mühevolles Aufbauwerk wird in Frage gestellt.

Wie sieht der Beschluss konkret aus?

Wir werden 15 Prozent unseres derzeitigen Bestandes verlieren. Insgesamt sollen die vier Universitäten und die anderen Hochschulen über 1.400 Stellen abgeben: Wenn die Vorlage durchs Parlament geht, würden 415 Stellen in den kommenden zwei Jahren und noch einmal 300 in den darauffolgenden drei Jahren ersatzlos wegfallen. Weitere 300 Stellen möchte das Kabinett versilbern - um notwendige Investitionen zu finanzieren. Zusätzlich ist geplant, 400 Stellen für die kommerzielle Weiterbildung umzuwidmen, so dass sie Geld bringen und nicht Geld kosten.

Was bedeuten die Stellenkürzungen?

Die Landesregierung wickelt de facto eine Uni ab. Es verschwindet eine mittlere Universität, etwa von der Größe der TU Chemnitz. Mit Gürtel enger schnallen ist da nichts mehr wett zu machen. Bereits in den letzten Jahren mussten die Hochschulen auf die kalte Tour rund 2.500 Stellen abgeben. Hier wurde eine Wiederbesetzungssperre verhängt, dort musste man ein paar Stellen abliefern. Und so weiter. Von 12.400 Stellen, die 1992 einmal als Sollgröße galten, ist die sächsische Hochschullandschaft inzwischen auf 10.000 geschrumpft. Und es geht weiter bergab. Das ist das Ende eines Wunders in Sachsen.

Ein Wunder?

Nach der Wiedervereinigung, nach der Abwicklung der ideologisch belasteten Sektionen - so hießen die Fachbereiche damals - haben wir durch eine außergewöhnliche Anstrengung, von Ostlern wie Westlern übrigens, die Hochschulen modern und leistungsfähig gemacht.

Woran machen Sie das fest?

Wir sind mittlerweile für 18.000 Studenten aus anderen Bundesländern attraktiv, der Großteil davon aus dem Westen. Das heißt, fast ein Viertel der Studierenden sind keine Landeskinder. Mit zunehmender Begeisterung kommen Menschen hierher an die Hochschulen. Das ist ein ebenso erwünschter wie notwendiger Effekt. Sachsen leidet seit der Wende an der Abwanderung. Das bedeutet, dass wir froh sind um jeden, der den Weg hierher findet. Und die, die zu uns kommen, sind die Neugierigen, die Mutigen, die Unternehmungslustigen, die sich weit weg von zuhause trauen. Die wollen sehen, was passiert da im Osten. Auf solche hochwillkommenen Zuwanderer brauchen wir nicht mehr zu hoffen, wenn die Hochschulen kleingemacht werden. Wo Not und Elend herrscht, geht niemand gerne hin.

Welche Auswirkungen werden die Kürzungen auf die einzelnen Universitäten haben?

Die Universität kommt einfach nicht zur Ruhe. Die Wissenschaftler werden, zum wiederholten Male seit 1990, durch Existenz angst und fehlende Planungssicherheit von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten. Was sollen unsere Drittmittelgeber davon halten, dass wir in ständiger Unsicherheit leben?

Sachsen war zu DDR-Zeiten ein Zentrum von Wissenschaft und Industrie mit einer Art Wissenschaftsdreieck Dresden/Leipzig/Chemnitz.

Das ist Vergangenheit. Die Industrie ist quasi vollständig weggebrochen. Abgesehen von den wenigen Leuchttürmen, den wirklich beeindruckenden High-Tech-Produktionen in Dresden und Leipzig, sieht es auf dem flachen Land doch verheerend aus. Der Südraum von Leipzig, die obere Lausitz, das obere Erzgebirge, da passiert gar nichts mehr. Und unsere Arbeitslosigkeit ist kaum niedriger als in Thüringen oder Sachsen-Anhalt.

Wir könnten uns nur durch Intelligenz, Wissen, Know-how - und daraus entstehenden Innovationen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Wissen ist zum wichtigsten Rohstoff geworden. Es ist wichtiger noch als Kapital. Die Wissensproduzenten zur Ader zu lassen heißt, dass die Regierenden die Zukunft unserer jungen Leute in Frage stellen. Sachsen wird weiter vergreisen. Wir werden eine Rentnerrepublik.

Anfang der Neunziger kam ein Beinahe-Rentner namens Kurt Biedenkopf als Gastdozent an die Universität Leipzig. Von hier nahm er seinen Aufstieg. Hat der heutige Ministerpräsident vergessen, was die Unis für ihn persönlich und für das Land bedeuten?

Biedenkopf ist das beste Beispiel für die Anziehungskraft von Unis. Leider hat er die Uni Leipzig nur als Sprungbrett in die sächsische Politik benutzt. Er kommt ja ursprünglich aus der Wissenschaft. In den Siebzigern, als das Ruhrgebiet wirtschaftlich in einer vergleichbar schwierigen Phase war wie Sachsen heute, war er Gründungsrektor der Reformuniversität Bochum. Damals galt es als klug und weitsichtig, die Hochschulen auszubauen oder sogar neue zu gründen - als Kristallisationskeime für Hochtechnologie. Auch als sächsischer Landesvater hat er vor einem halben Jahr noch erklärt, dass Wissenschaft die Ressource der Zukunft sei, dass Bildung notwendiger sei denn je. Wir fragen uns wirklich, was in diesen Mann gefahren ist, dass er seinen Finanzminister nun die Axt schwingen lässt.

Finanzminister Georg Milbradt beklagt, dass der Öffentliche Dienst im Osten der Republik immer noch einen deutlichen Personalvorsprung hat. Den will er abbauen.

An den Hochschulen ist die Situation längst eine andere. Zu DDR-Zeiten hatten wir 24.000 Wissenschaftler in der Technologieregion Dresden und Leipzig. Davon ist nach der Wende - zahlenmäßig - gerade mal die Hälfte übriggeblieben. Inzwischen haben sich die Studentenzahlen vervielfacht. Das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Studenten nähert sich dem beklagenswerten Zustand im Westen an. Die Unis müssen zudem noch eine ganz andere Rolle übernehmen. Wir stellen das wissenschaftliche Rückgrat für den Mittelstand und für jene bereit, die sich hier ansiedeln wollen. Denn die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industriekombinate brachen nach der Wende als erste weg. Im Vergleich zur Industrieforschung Baden-Württembergs oder Bayerns hängen wir weit zurück. Hier arbeiten 3,7 Personen je Tausend Einwohner in der Forschung, in Baden-Württemberg sind es gut über 20. Jeder Investor, der nach Leipzig kommt, will zuerst wissen, welche Universitäten es gibt. Welches Publikationsniveau vorhanden ist. Ohne die Universitäten gäbe es kein einziges von sechs Max-Planck-Instituten, die sich mittlerweile hier angesiedelt haben.

Der Ministerpräsident setzt mit Blick auf einen neuen, ungünstigen Länderfinanzausgleich ab 2005 lieber auf eine Rosskur für den öffentlichen Sektor.

Nein. Kurt Biedenkopf reagiert mit Fatalismus auf die demografische Entwicklung. In den letzten Jahren sind einige Hunderttausend Sachsen abgewandert. Die Geburtenrate ist niedrig. Diese Fakten lassen sich nicht leugnen. Die Frage ist, ob man darauf mit Abbruch reagieren darf? Die Politik, diese Ansicht vertritt ja auch Wissenschaftsminister Meyer, muss jetzt gestalten, sie muss nach vorne weisen.

Warum sieht Biedenkopf das nicht?

Ich will nicht populistisch sein. Aber ich habe das Gefühl, Biedenkopf hat Sachsen abgeschrieben.

Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer genießt hohes Ansehen. Warum kann er sich im Kabinett nicht durchsetzen?

Meyers Standing ist hervorragend in der Wissenschaft, in der Kultur und auch bei der Kultusministerkonferenz. Aber nicht im Kabinett. Er hat inzwischen zum dritten Mal mit seinem Rücktritt gedroht. Mir ist schleierhaft, warum er diese Kürzungen schluckt, ohne seine Ankündigung wahr zu machen.

Was ist die Alternative zu dem Kurs der Landesregierung?

Wissenschaft und Bildung müssen als echter, nicht nur als rhetorischer Schwerpunkt der Landespolitik begriffen werden. Wir müssen in Köpfe investieren und nicht in Beton. Es reicht eben nicht, immer neue Straßen zu bauen, auf denen dann die Möbelwagen gen Westen rollen.

Das Gespräch führte Christian Füller

Cornelius Weiss, Jahrgang 1933, wurde 1989 zum außerordentlichen Professor an der Universität Leipzig berufen und ein Jahr später zum Direktor der Sektion Chemie gewählt. 1990 gründete er die »Initiativgruppe zur demokratischen Erneuerung der Universität« mit und war von 1991 bis 1997 Gründungsrektor der Universität Leipzig. Für sein Engagement bei der demokratischen Erneuerung der Universität erhielt Cornelius Weiss im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz. Seit September 1999 ist er Mitglied der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.

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