Big Apple dankt

Zypern-Depots Russische Investoren haben schon vor Monaten den Rückzug angetreten, sich anderswo umgesehen und den nordamerikanischen Finanzmarkt beglückt
Ausgabe 14/2013

Europas Menschenfresser sind zurück. Die Behauptung, bei der Eurokrise sei das Schlimmste überstanden, wirkt nur mehr lächerlich. Der Deal, den die EU-Finanzminister mit Deutschland an der Spitze Zypern aufgezwungen haben, ist keine Rettung. Die von der Regierung in Nikosia verfügten Kapitalkontrollen werden an der Einheitswährung Euro nagen. Der griechische Ökonom Costas Lapavitsas meint nicht zu Unrecht, Zypern habe die europäische Bankenkrise „reaktiviert“. In der Inselrepublik selbst wird es mit der Abwicklung von Banken eine brutale Kreditklemme geben, die den Geldkreislauf empfindlich stört, zu Firmenbankrotten führt und zu Privatisierungen zwingt, wodurch ein Viertel des Nationaleinkommens der Inselrepublik vernichtet werden könnte.

Gewiss ist zypriotischen Politikern vorzuhalten, es zugelassen zu haben, dass ihr Staat zum Appendix eines aufgeblähten Finanzsektors wurde. Abgestürzt ist der griechische Teil der Insel jedoch nicht durch die gerissenen Praktiken ausländischer Investoren, sondern die Kollateralschäden, die eine gesamteuropäische Bankenkrise bei zypriotischen Geldhäusern hinterlassen hat. Die waren extrem anfällig, weil es einen intensiven Kapitalverkehr mit einem erodierenden Griechenland gab, das sich seit geraumer Zeit in der treu sorgenden Obhut der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF befindet.

Längst auf und davon

Dafür zahlen werden die zypriotischen Bürger, nicht britische oder russische Oligarchen. Letztere haben sich längst woanders umgesehen, etwa in Nordamerika. „Schon im Jahr 2012 war eine deutliche Verlagerung in die USA zu beobachten“, sagt der New Yorker Immobilienanwalt Ed Mermelstein, der wohlhabende Russen berät. Sie habe der Kollaps des zypriotischen Finanzsystems keineswegs überrascht. „Viele unserer Klienten waren vorgewarnt“, so Mermelstein. „In Zypern zeichnete sich bereits vor einem halben Jahr ab, was passieren könnte.“

Russische Investoren fühlen sich denn auch durch die Annahme, die Ereignisse der vergangenen Tage hätten sie kalt erwischt, richtiggehend beleidigt. Zyperns Ex-Finanzminister Michael Sarris muss einräumen, dass die Banken seines Landes schon seit Wochen „unter erheblichen Abflüssen“ gelitten hätten. Und der Unternehmer Igor Zyuzin reißt einem Journalisten, der ihn fragt, ob seine Finanzen unter der Zypern-Krise gelitten hätten, beinahe den Kopf ab: „Sie müssen wahnsinnig sein, mir das zu unterstellen.“

Zyuzin ist nicht der einzige, der Gelder schnell abgezogen hat. Gennadi Timtschenko, Anteilseigner des Rohstoffhandelsunternehmens Gunvor, will bestenfalls noch „ein paar hunderttausend Euro“ bei zypriotischen Banken haben, während die in Nikosia ansässige russische Investmentfirma Alfa Capital Holdings Besucher ihrer Internetseite wissen lässt, die eigenen Filialen seien „nicht durch die von der Regierung Zyperns verhängten Abgaben betroffen“.

Das Debakel auf Zypern ist ein Segen für New York, denn in den Immobilienmarkt von Big Apple fließt seit Monaten russisches Geld. Laut Angaben von US-Vermögensberatern steckten 2012, als sich die Eurokrise mit den Wahlen in Griechenland und dem Abstieg Italiens und Spaniens verschärft hat, immer mehr Russen Kapital in die Betonfundamente großer Bauvorhaben auf Manhattan oder an anderen Orten mit Ostküsten-Glamour.

Ed Mermelstein meint, seine russischen Klienten machten kein Hehl aus ihrer Freude, dem Zypern-Fiasko entkommen zu sein. So habe im Oktober 2012 einer seiner Kunden 25 Millionen Dollar von seinem Konto in Nikosia abgezweigt und einen Kredit an ein Projekt in New York vergeben.

Die Schätzungen, wie hoch die russischen Einlagen bei zypriotischen Geldhäusern einst waren, gehen freilich auseinander – Zyperns Zentralbank spricht von höchstens zehn Milliarden Euro, die Rating-Agentur Moody’s von 19 Milliarden, andere von mehr als 20 Milliarden.

Todesspiralen-Ökonomie

Auch wenn in dieser Frage die Expertisen auseinanderdriften, dürfte ein Befund jedoch von allen Analysten geteilt werden: Aus der Euro- wurde längst eine Zombie-Zone und aus der Bevölkerung dieser Währungsgemeinschaft eine Geisel von Anleihen-Gläubigern und Spekulanten, Investmentfonds und Banken. Die sorgen entschlossener denn je dafür, nicht die Kosten der Krise tragen zu müssen, die sie selbst verursacht haben. Inzwischen gibt es in der EU jede Menge Politiker, die es als ihren Job betrachten, diesem Wunsch zu entsprechen.

Egal, wo es zum Kollaps kam – ob jetzt in Zypern bei den Banken, zuvor in Griechenland mit seinen extremen Staatsschulden oder in Spanien und Irland auf dem Immobilienmarkt –, immer wurde der Einbruch vom Herbst 2008 zum Auslöser. Seinerzeit fand ein deregulierter Kreditboom in der ganzen westlichen Welt ein unrühmliches Ende und führte zu anhaltender Depression. In der Eurozone wurden die Folgen dieses Systemversagens durch die Zwangsjacke einer Einheitswährung potenziert, bei der von Anfang an klar war, dass sie – unter Druck geraten – zum Problem würde. Es ist kein Zufall, wenn diese Todesspiralen-Ökonomie in vielen Staaten des Kontinents auch politisch polarisiert. Alexis Tsipras, Chef der linken Parteienallianz Syriza, die in Griechenland weiter die Umfragen anführt, vergleicht die Situation bereits mit den letzten Jahren der Weimarer Republik.

Heidi Moore schreibt im Guardian zu US-Finanzen und US-Ökonomie. Seumas Milne ist Guardian -Kolumnist Übersetzung: Zilla Hofman

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