Trotz Austritt ein guter Katholik
Ich habe es zwar nie bis zum Ministranten gebracht, dazu fehlte mir die Ambition, aber ich war Prediger im Schulgottesdienst. Erstaunlich, dass so jemand aus der katholischen Kirche austreten kann. Doch zu wissen, dass meine Taufe das Resultat einer Erpressung war, war mir schon immer ein Kreuz. Denn dafür, dass ein Pfarrer der bayrisch-katholischen Kirche eine religiöse Mischehe segnet, lässt er sich hoch und heilig versprechen: „Die Stirn der kommenden Leibesfrucht wird nur Wasser der heiligen römischen Kirche berühren.“
So bin ich bayrisch-katholisch geworden, in meinem Lohnsteuernachweis steht trotzdem seit einigen Jahren bei Konfession: „--“. Was geht es den Staat an, was ich glaube oder nicht? Was den Schäfchenzähler in irgendeiner Diözese? Während der Kruzifix-Diskussion habe ich das Weite gesucht. Schließlich hingen während meiner katholischen Erziehung nirgends Kreuze in Klassenzimmern. Es war eine Zeit, in der die Lehrer, auch die Religionslehrer, oft das Wort von der Liberalitas Bavariae im Mund führten. Und sie meinten genau nicht die Freiheit, sich der Meinung der Mehrheit anzuschließen. Mit dieser Liberalitas hatte die Kruzifix-Debatte nichts mehr zu tun. Aus der Kirche bin ich raus, aber ein guter bayrischer Katholik bin ich geblieben. Einer, der auf die Freigebigkeit seiner Kirche vertraut. Der gelernt hat, dass er die Kommunion auszulassen hat, wenn er vorher nicht das Privatissimum besuchte, und genau deswegen noch mehr zu beichten hat. Wer mit dieser Dialektik aufgewachsen ist, der kann vertrauen: Der liebe Gott wird einem auch einen Austritt gnädig nachsehen. Amen. Jörn Kabisch
Ich bin Agnostiker, man kann nie wissen
Vor einer Ewigkeit habe ich mich entschieden, aus der Kirche auszutreten. Maßgeblich sind steuerliche Gründe. Gleichzeitig suche ich immer wieder nach Gründen, um diese Entscheidung zu vertagen; ich bin Agnostiker, man kann also nie wissen, und dann rühren mich immer wieder die ungelenken Schreiben meiner neuen Kirchengemeinde, mit denen sie mich nach einem Wohnungswechsel bei sich aufnimmt.
Andererseits: Die Zeiten sind härter geworden. Darum trage ich seit diesem Winter in meiner Mappe ein Merkblatt aus dem Internet herum: Kirchenaustritt in den ehemaligen Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg. Es nennt die Öffnungszeiten des Amtsgerichts, die mir allerdings gerade wieder extrem ungünstig erscheinen. Ich bin Mitglied der evangelischen Kirche, die Missbrauchsfälle können an diesem Eindruck also nichts ändern, zum Glück, möchte ich fast sagen. Michael Angele
Einmal drin, immer drin im Club
Es gibt nur gute Gründe, aus der katholischen Kirche auszutreten. Und leider genauso viele schlechte, den Akt doch nicht zu vollziehen. Erstens: Angst. Eines der Kerngeschäfte der katholischen Kirche. Zweitens: Die Aussicht auf Erlösung. Das zweite Kerngeschäft der katholischen Kirche. Was sind schon Missbräuche und all die anderen guten Gründe gegen die quasi angeborene Gewissheit, am Ende auf der besseren Seite zu stehen? Und die größte Steuererleichterung ist doch ein Witz an Vorsorge für jenseitige Zeiten. Seit mich ein geschätzter, selbsternannter Ziehvater neulich gefragt hat, was mein Shrink zu meinem Kirchen-Verhältnis sage, denke ich mal wieder über den Austritt nach. Diese Häme über Mixa in der Suchtklinik könnte doch neurotisch sein. Und die Abnabelung vom Über-Ich überfällig. Susanne Lang
Für eine neue Kirche in der alten kämpfen
Ich will hier nicht von den Skandalen des Kindermissbrauchs sprechen. Denn was hat es nicht für Skandale gegeben, ohne dass die Menschen mit ihrer Kirche brachen. Durfte sie so viele Waffen segnen? Durfte der Papst zum Judenmord schweigen? Wenn ich einer Kirche angehörte, würde ich sie trotz allem nicht verlassen. Auch nicht deshalb, weil sie in der fortschreitenden Moderne immer unwichtiger zu werden scheint. Es gibt sie seit zweitausend Jahren: Ich glaube, aus gutem Grund. Ich gehörte einst einer an, bin noch nicht wieder in eine eingetreten.
Die „Frage des Wohin und Wozu“ werde auch in der klassenlosen Gesellschaft brennen, hat selbst der Kommunist Ernst Bloch geschrieben. Dann könne eine „Glaubensmacht des Wohin jene Sorgen entgiften“, eine Macht freilich, die nicht das „alte Herrschaftsinstrument“ Kirche sein dürfe. Nicht die alte Kirche, wohl aber die Kirche. Bloch weiß, noch hinter dem Kommunismus steckt ein anderes „Wohin“, für die Einzelnen und für alle, nämlich der Tod. Es geht um „die Sorge und die ganze sozial unaufhebbare Problematik der Seele“, die in einer befreiten Gesellschaft sogar stärker hervortreten werde. Wenn er Recht haben sollte, müsste für eine neue Kirche gekämpft werden, und das tun die Kirchenmitglieder am besten dadurch, dass sie der alten treu bleiben.
Wie gut hätte es dem gescheiterten realen Sozialismus getan, wenn er seine Kirchen als Gegenpart und Korrekturmacht anerkannt hätte. Auch der jetzigen Gesellschaft fehlt diese Korrektur. Warum wird sie denn „Sicherheitsgesellschaft“ genannt? Sollte sie von privater Todesangst und sozialer Untergangsstimmung heimgesucht sein? Die vorhandene Kirche, ob mit oder ohne Kindesmissbrauch, ist zur Korrektur leider unfähig. Man sollte dafür kämpfen, dass sie es wieder wird. Eine neue Kirche, die zum Exodus in eine neue, den Untergang hinter sich lassende Gesellschaft aufruft, wäre wünschenswert. Michael Jäger
Komplizierte Gemengelage
Wenn frau meines Jahrgangs in einer Stadt geboren wurde, in deren Mittelpunkt ein Münster stand und ein Erzbischof als vierte Gewalt fungierte, wurde man ohne viel Zutun katholisch imprägniert. Dazu brauchte es nicht einmal fromme Eltern: Die sekundären Sozialisationsinstitute – Kindergarten, Schule, Jugendgruppe – genügten, um einem und einer die Erbsünde ins Fleisch zu impfen. Als Kind war ich fasziniert von der lateinischen Messe, die ich auswendig konnte, und der liturgische Sprung in die Moderne – Jazz-Jugendgottesdienst! – war auch mit spürbaren Verlusten verbunden. Der Kirche oblag damals noch der schulische Aufklärungsunterricht, und viele von uns litten mit dem ältlichen Fräulein, das uns in der Kunst der Liebe unterweisen sollte und daran verzweifelte. Ihr Nachfolger erzählte dagegen „Schweinegeschichten“, wie wir Mädchen fanden; und in den frühen siebziger Jahren war es im Erzbistum ein erster Akt jugendlich-zivilen Ungehorsams, mit 14 aus dem Religionsunterricht auszutreten.
In der Freistunde saßen die Aufständischen dann im Café und begannen, an der Revolution zu basteln. In dieser Zeit hatte Gott als Stichwortgeber ausgedient. Dass es dann aber noch eine Weile dauerte, bis ich das schützende Obdach der Kirche verlassen konnte, verdankte ich einer komplizierten weltanschaulichen Gemengelage während meiner Ausbildungszeit. Meine Lehre absolvierte ich in einem Familienbetrieb, in dem zwei Generationen einen unterirdischen Krieg gegeneinander führten. Die beiden Jungunternehmer waren tolerante Leute, mein eingeheirateter Chef – als Franzose ohnehin strikt auf der Trennung von Kirche und Staat beharrend – galt als Spötter aller Frömmelei, die er in seiner Schwiegermutter verkörpert sah. Diese wiederum war als „feste Burg“ des Katholizismus ganz uneinnehmbar.
Obwohl ich mehrmals den Weg zum Amt eingeschlagen hatte, auf dem man seinen Kirchenaustritt erklären konnte, ließ ich es. In der kleinen Stadt, in der sich das abspielte, wäre der Akt kaum zu verheimlichen gewesen. Zumal die gläubige Seniorchefin, die durchaus ein Herz für uns Azubis hatte, die Bücher führte. Ihr wäre nicht entgangen, hätte ich ihre Kirche um meinen Obolus gebracht. Heute gestehe ich: Ich hatte Angst. Einen Rauswurf hätte sie wohl nicht durchgesetzt. Doch was ich fürchtete, war die tägliche Stichelei, die kleinen Schikanen, die einen Job zur Hölle machen können. Am Ende dieser Zeit in der kleinen Arbeiterstadt im katholischen Milieu, in der es kein Münster gab, hatte ich meinen Gehilfenbrief. Und wanderte als erstes auf das Amt. Eigentlich erwartete ich eine Inquisition: Widersagst du dem Satan? Nichts von alledem. Der Austritt war nur ein lapidarer bürokratischer Akt. Ute Freiburger
Nicht einfach, aber kein Grund zu gehen
Mit dem Glauben ist es ja nicht so einfach. Als Kind kann man sich ihm ungehemmt hingeben, aber wenn man älter wird, kommen die Zweifel. Und die sind bei mir eigentlich nie wieder weggegangen. Warum ich dann nicht aus der evangelische Kirche austrete, fragen mich Freunde. Das lässt sich schwer greifen, es ist so ein Gefühl, dass es einfach nicht das Richtige wäre. Ich zweifle lieber weiter – innerhalb dieser seltsamen Gemeinschaft. Jan Pfaff
Keine Grundlage für eine Beziehung
Früher war ich stolz darauf, in der Kirche zu sein, und zwar in der richtigen. Die Katholiken waren mir suspekt, mit diesem ganzen förmlichen Theater, hinter dem ein moralischer Abgrund gähnte. Ich erinnere mich an einen Besuch in Irland, als ich 12 Jahre alt war. Da mussten Mädchen in meinem Alter mittags in der Kirche beten. Unmittelbar danach besichtigten sie mit großer Fachkenntnis nackte Männer. In Pornoheften. Ich fand das sehr verdorben.
In meiner norddeutschen Heimatgemeinde gab es so was nicht. Da wurde selten gebetet, dafür gesungen, gebacken, gebastelt. Kirche war Krippenspiel, Weihnachtsbasar, Sozialarbeit für Jugendliche und alte Menschen. Kirche war eine gute, eine wichtige Institution. Das ewige Jesus-Zitieren ging mir trotzdem irgendwann auf die Nerven. Seit meiner Konfirmation brauche ich die Kirche nicht mehr, sie mich auch nicht. Höchstens mein Geld. Auf Dauer ist das keine Grundlage für eine Beziehung, auch wenn ich oft denke: Es wäre für einen guten Zweck. Vor vier Monaten bin ich ausgetreten. Kathrin Zinkant
Seit Jahrzehnten kämpfen die großen Kirchen in Deutschland mit sinkenden Mitgliedszahlen. 2008 verließen 120.000 Menschen die katholische Kirche, 160.000 traten aus der evangelischen aus. Bisher waren die Austrittszahlen auf evangelischer Seite allerdings kontinuierlich höher als auf katholischer. Aufgrund der Missbrauchsfälle in katholischen Institutionen und der schleppenden Aufklärung ist die Zahl der Katholiken, die ihrer Kirche den Rücken kehren, in den letzten Monaten jedoch sprunghaft angestiegen. So haben sich die Austritte etwa in Freiburg Erzbistum des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch im März von knapp 1.000 auf über 2.700 mehr als verdoppelt. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage denkt fast jeder vierte Katholik momentan über einen Abschied von der Amtskirche nach. Wegen der Trunkenheitsfahrt von Margot Käßmann lassen sich bei der evangelischen Kirche bisher keine erhöhten Austrittszahlen beobachten.
Um die Kirche zu verlassen, muss man je nach Bundesland persönlich beim Amtsgericht (Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen) oder dem Standesamt (alle anderen Bundesländer) erscheinen. Dort legt man Personalausweis oder Reisepass vor und füllt ein Austrittsformular aus. Eine Begründung ist nicht erforderlich. In den meisten Bundesländern wird zudem eine Gebühr zwischen 10 und 31 Euro fällig. In Berlin und Brandenburg ist der Austritt kostenlos. Es wird empfohlen die Austrittsbescheinigung anschließend gut aufzubewahren. Nach derzeitiger Rechtslage ist das ehemalige Kirchenmitglied in der Beweispflicht, falls der Austritt später angezweifelt werden sollte.
Anfang Mai entschied das Verwaltungsgericht Mannheim, dass ein reiner Kirchensteueraustritt nicht möglich ist. Als Kirchenmitglied müsse man Kirchensteuer zahlen, entschieden die Richter. Geklagt hatte der Kirchenrechtsprofessor Hartmut Zapf. Er wollte aktives Mitglied der katholischen Kirche bleiben, obwohl er auf dem Standesamt ausgetreten war und keine Kirchensteuer mehr zahlte. In erster Instanz hatte er vor Gericht auch Recht bekommen. Zapf wollte mit dem Prozess auf die spezielle Situation in Deutschland aufmerksam machen. Er kritisiert eine zu große Staatsnähe der Kirchen und wirft den katholischen Bischöfen in der Kirchensteuer-Frage Ungehorsam gegenüber dem Papst vor. Papst Benedikt stimmte 2006 ausdrücklich einem Schreiben des Päpstlichen Rates zu, in dem es heißt, es reiche nicht, vor einer weltlichen Instanz seinen Austritt zu erklären. Wer nicht mehr katholisch sein will, müsse erstens innerlich vom Glauben abfallen, dies zweitens öffentlich vor einem Pfarrer oder Bischof kundtun und drittens müsste der Kirchenvertreter die Entscheidung akzeptieren. Die deutschen Bischöfe erklärten hingegen, der Kirchenaustritt vor einem staatlichen Amt erfülle bereits den Tatbestand des Schismas, also der Kirchenspaltung.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.