Boom

Filmfestival Sotschi Die russische Filmwirtschaft erobert sich ihr Publikum zurück

Der Weg zum Frühstücksraum im Festivalhotel führte an einem Plastik-Sheriff vorbei. Die Durchgangs-Bar ist seit Jahren zugepflastert mit amerikanischen Schildern - beim Übergang zum real existierenden Kapitalismus fand man das wohl besonders schick. Die Umdekorierung ging außerdem einher mit der totalen Eroberung russischer Kinos durch Hollywood. Dies war vor 17 Jahren der Grund, im Kurort Sotschi am Schwarzen Meer ein eigenes Festival für den russischen Film zu gründen. Wenigstens hier sollte er noch ein Forum finden, und seitdem lässt sich hier quasi seismographisch der Zustand der heimischen Produktion ablesen. Auch die orientierte sich in den neunziger Jahren oft an amerikanischen Mustern, hat sich aber inzwischen zunehmend auf Eigenes besonnen.

Dass die USA den Kampf um den russischen Kinomarkt aber längst nicht aufgegeben haben, war dem Programm des lokalen Multiplex zu entnehmen, in dem vom Omen bis zum unvermeidlichen Da Vinci Code Hollywood noch den Ton angab. Sony und Patton wollen mit einer neu gegründeten Firma Monumental Pictures bald sogar selbst Filme in Russisch produzieren und sie in Russland, den GUS-Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken vertreiben. Die Walt Disney Company beabsichtigt, bis zu zehn Millionen Dollar in eine eigene Animationsfilm-Produktion in Russland zu investieren.

Die heimische Filmindustrie braucht die neue Konkurrenz nicht zu fürchten. Im ersten Quartal 2006 erzielten 15 russische Filme rund 56 Prozent des Einspielergebnisses. Unter den Top 20 des vergangenen Jahres gab es allein sieben russische Produktionen, zwei davon in der Spitzenposition. Gefördert wird der Boom durch die Modernisierung der Lichtspieltheater, wenn sich auch die minderbemittelte Bevölkerung immer noch lieber im oft aus Raubkopien bestehenden billigeren Angebot von Video und DVD bedient.

Zunehmend orientieren sich die Filmemacher an den Bedürfnissen des Publikums. Das Programm in Sotschi reichte vom Beziehungsdrama über die Kriminalkomödie und Sozialstudie bis zu Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Für eine neue, unbefangenere Sicht auf jene bisher nur heroisierten schweren Jahre stand etwa Alexander Rogoshkins Film Transit. Er spielt 1942, in einem Stützpunkt am Polarkreis. Aus Alaska werden hierhin US-Flugzeuge überführt, die sowjetische Piloten dann an die Front fliegen. Zu deren Überraschung sitzen im Cockpit der amerikanischen Maschinen junge Frauen, was neben Verständigungsproblemen auch zu offiziell unerwünschten Kontakten führt.

Patriotische Filme über das eigene Militär stehen in der Publikumsgunst ganz oben. 2005 eroberte sich Fjodor Bondartschuks Afghanistan-Krieg-Epos Das neunte Bataillon mit einem Einspielergebnis von 25,6 Millionen Dollar die Spitzenposition in der Rangliste. Bei der Preisverleihung in Sotschi erhielt nun Alexander Veledinskijs etwas unentschieden zwischen Antikriegstendenz und Medienverklärung lavierender Film Lebend über einen Tschetschenienheimkehrer mit Beinamputation Preise von der Filmkritik und für das beste Drehbuch.

Beifall fanden auch ironisch-klamottige Rückblicke auf Sowjetzeiten. Etwa Tigran Keosajans Hase am Abgrund, der Leonid Breschnew auf einen mit viel Sinti-Folklore garnierten abenteuerlichen Besuch in Moldawien begleitet.

Arthouse-Filme haben es in russischen Kinos schwer und bedürfen besonderer staatlicher Förderung. In Sotschi waren sie die Ausnahme. Ivan Vyrypajevs Regiedebüt Euphorie musste sich mit einem Spezialpreis begnügen, obwohl die tragische Liebesgeschichte in der Wolgasteppe als ein lyrisches Filmpoem halb experimentell mit betörend schönen Bildern und einer expressiven Musik aus viel Mittelmaß herausragte.

Einen Hauch von der großen Zeit des sowjetischen Kinos verspürte man bei der nach fünfjähriger Pause realisierten neuen Arbeit des Apokalyptikers Konstantin Lopuschanskij Die hässlichen Schwäne. Die gleichnamige Romanvorlage stammte von den Brüder Strugatzky, wie 1978 schon Stalker, bei dem Lopuschanskij Andrej Tarkowskij assistiert hatte. In einer Geisterstadt untersucht eine UN-Mission die Folgen der vermeintlichen Explosion einer chemischen Fabrik, zu denen auch gehört, dass in einer isolierten Schule Kinder von Mutanten, die hässlichen Schwäne des Titels, unterrichtet werden. Ein auch als philosophische Parabel zu verstehender mystischer Thriller in düsteren Sepia-Farben, der wohl kaum russische Kino-Hit-Höhen erobern dürfte.


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