Am 20. Juli konnten 255 palästinensische Familien die Rückkehr von Vätern und Söhnen aus israelischer Haft feiern. Sie konnten erleichtert sein, dass die Menschenjagd auf ihre wie Kriminelle "gesuchten" und behandelten Angehörigen nun ein Ende hat. Woran lässt sich erkennen, inwieweit diese "wohlwollende Geste" der israelischen Regierung gegenüber dem palästinensischen Präsidenten Abbas geeignet sein kann, diesen zu stärken? Gewiss nicht am Lob, das Premierminister Ehud Olmert für seine Entscheidung von Präsident Bush erhalten hat. Viel entscheidender wird sein, wie diese und möglicherweise folgende "Gesten" von der palästinensischen Gesellschaft aufgenommen werden.
Wir erleben, dass eine intensive PR-Kampagne die Freilassung der Gefangenen flankiert, offenbar in der Absicht inszeniert, die Palästinenser vor der falschen Schlussfolgerung zu bewahren, Israel könnte seine Besatzungspolitik abschwächen. Es ist nicht geplant, das jedem Palästinenser geraubte Land zurückzugeben. Es ist nicht vorgesehen, das Netzwerk der Blockaden und Straßensperren aufzulösen, die das Gefüge der palästinensischen Gesellschaft zerstören. Und kein Kommandeur wird seinen Soldaten an den Checkpoints Order geben, nicht jede banale Fahrt eines Palästinensers durch die Westbank zur Tortur werden zu lassen.
Die Palästinenser haben genügend Erfahrung, um zu wissen, dass jedes zwischen Abbas und Olmert ausgetauschte Lächeln nicht die Bulldozer stoppen wird, die sie weiter in Enklaven zwischen den wachsenden Siedlungsblöcken der Israelis einsperren. Die von Mahmud Abbas geäußerten Erklärungen über das Festhalten an "einem Staat innerhalb der Grenzen von 1967" kann daher nicht wirklich überzeugen. Weshalb sollte eine allein von der PLO und der Fatah in der Westbank geführte Regierung fertig bringen, was seit 1994 nicht gelungen ist: das israelische Projekt der Besatzung und Kolonisierung aufzuhalten oder gar umzukehren?
Das Unternehmen "Amnestie" scheint eher geeignet, begreifen zu lassen, wie ungerührt Israel auf einer Position der Vorherrschaft verharrt. Nach dem Gesetz ist es dem Präsidenten Israels erlaubt, "Kriminelle" zu begnadigen. Nach dem Gesetz ist ein "Krimineller" jemand, der vor Gericht stand und rechtskräftig verurteilt wurde. Doch begnadigte der einstige Präsident Chaim Herzog führende Mitglieder des Geheimdienstes Shin Beth, bevor sie wegen Mordes an den Entführern eines Busses verurteilt werden konnten. Zuvor hatte eine Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof entschieden, er dürfe das tun: Der Präsident von Israel habe die gleiche Macht wie die britische Königin und der Präsident der Vereinigten Staaten.
Genau genommen war - aus ganz anderen Gründen - auch das Schicksal der jetzt entlassenen palästinensischen Gefangenen besiegelt, bevor sie vor die Schranken eines israelischen Militärgerichts treten mussten. Denn aus dem gleichen politisch-militärischen Establishment, das besetzt, zerstört und die zivile Bevölkerung Palästinas unterdrückt, rekrutiert sich die Richterschaft, die darüber befindet, dass Widerstand gegen die Besatzung - und seien es Demonstrationen, bei denen Steine geworfen werden - ein Verbrechen ist. Diese Richter vertreten das Interesse der Besatzer und der Siedler. Die jetzige "Geste" der Gefangenenentlassung ist deshalb bestenfalls die geringfügige Reparatur einer substantiellen Rechtsbeugung.
Man sollte nicht vergessen, dass Tausende israelischer Militärkommandeure, die Frauen und Kinder töteten, ihnen Hände und Füße brachen und den Landraub mit Waffengewalt verteidigen, frei herum laufen. Sollte Ehud Olmert ernsthaft den Wunsch hegen, Mahmud Abbas zu stärken, hätte er zumindest einer Forderung nachgeben müssen, die von der Fatah seit Jahren erhoben wird: Zeigt einen gewissen Grad an Gleichheit! Entlasst all jene, die wegen Aktivitäten gegen die Besatzung schon vor dem Oslo-Abkommen von 1993 verurteilt wurden und auf Lebenszeit im Gefängnis sitzen. Entlasst die Palästinenser, die seit 20 oder 30 Jahren in Haft sind. Denn jene, die sie einst zum Widerstand gegen die Besatzung aufriefen, sitzen heute als ranghohe Unterhändler der Fatah mit den Israelis am Verhandlungstisch. Die Weigerung der israelischen Regierung, nach dem Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. Mai 1994 die Langzeit-Gefangenen zu entlassen, hat viel dazu beigetragen, den Status der Autonomiebehörde wie auch der Fatah zu schwächen.
Die "Gesten" Ehud Olmerts sind nicht dazu gedacht, die Überzeugung von den israelischen Vorrechten im Konflikt mit den Palästinensern zu relativieren. Man wirft Mahmud Abbas ein paar Brosamen zu als Gegenleistung für seinen Gehorsam und für sein "gutes Benehmen", wie es sich für einen loyalen Untertan gehört. Dieser Umgang mit dem Palästinenser-Präsidenten ist ein bombensicheres Rezept, ihn in den Augen seiner Landsleute zu demontieren.
Amira Hass arbeitet für die israelische Zeitung Haaretz / Übersetzung: Ellen Rohlfs
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