A
Auslandseinsätze Friedenserhaltung und Friedenssicherung – peacebuilding und peacekeeping – so lautet der offizielle Auftrag der Bundeswehr, wenn sie im Ausland agiert. In Nachkriegsdeutschland taten sich Politik und Gesellschaft verständlicherweise zunächst schwer damit, deutsche Streitkräfte wieder auf fremden Boden zu lassen. Außerhalb des Nato-Gebietes manövriert die Bundeswehr erst seit der Wiedervereinigung.
Aktuell ist sie auf drei Kontinenten in zwölf Einsätzen unterwegs. Offiziellen Angaben zufolge sind dabei etwa 4.000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, im Kosovo, in Jordanien, Syrien, im Irak, in Mali, im Libanon, Sudan, Südsudan, in der Westsahara, im Jemen sowie auf See am Horn von Afrika und im Mittelmeer eingesetzt. In Zusammenarbeit mit EU- und Nato-Verbündeten agiert die Bundeswehr zudem in Litauen, in der Ägäis und im Nordatlantik. Seit 1991 hat die ➝ Truppe 25 Auslandseinsätze absolviert. Friedlich ging es dabei nicht immer zu. Über 100 Soldatinnen und Soldaten sind seitdem bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen. Konstantin Nowotny
F
Frauen Von sich aus öffnete sich das deutsche Heer nicht für das weibliche Geschlecht. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2000 ermöglichte den Einsatz von Frauen im Heer aufgrund des Gleichstellungsgrundsatzes. Zivilen Aufgaben wie dem Sanitätsdienst und der Militärmusik durften sie schon zuvor nachkommen, den Dienst an der Waffe aber verbot bis zum Jahr 2001 das Grundgesetz. Seitdem können sich Frauen freiwillig zum Dienst melden und alle Militärlaufbahnen einschlagen.
Bis zum Jahr 2019 stieg der Frauenanteil in der Bundeswehr auf etwa 12 Prozent. Für die kommenden Jahre wird eine weitere Steigerung erwartet. Zur Zeit leisten etwa 22.000 Soldatinnen dort ihren Dienst. Im Jahr 2014 wurde eine Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus dem Jahr 2011 öffentlich, die zeigte, dass die Männer Schwierigkeiten mit den Kameradinnen haben. 55 Prozent der Frauen berichteten außerdem von sexueller Belästigung. Konstantin Nowotny
G
Gliederung Es gibt sieben sogenannte militärische Organisationsbereiche bei der Bundeswehr: Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis, Cyber- und Informationsraum und den Zentralen Sanitätsdienst. Hinzu kommen weitere dem Verteidigungsministerium unterstellte Dienststellen sowie zivile Organisationsbereiche wie etwa die Militärseelsorge. Personell am stärksten ausgestattet ist das Heer, dicht gefolgt von der Luftwaffe und der Streitkräftebasis. In letzterer sind etwa Chemiker, Redakteure und Hundeführer gruppiert.
Die Rangordnung der Bundeswehr umfasst 24 Dienstgrade, vom Soldaten bis zum General. Die Dienstgrade sind an die Besoldungsstufen des öffentlichen Dienstes gekoppelt (➝ Kosten). Ein General verdient in Deutschland ohne Zulagen rund 14.000 Euro im Monat, ein Soldat etwa 2.300. Konstantin Nowotny
H
Homosexualität Eine der bizarrsten unaufgeklärten Skandale der deutschen Nachkriegsgeschichte ist die Kießling-Affäre. Im Herbst 1983 steckte der Militärische Abschirmdienst (MAD), Geheimdienst der westdeutschen Streitkräfte, dem damaligen Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) eine Information: Der Vier-Sterne-General Günter Kießling, Befehlshaber der Nato-Landstreitkräfte, höchster deutscher Vertreter in dem Verteidigungsbündnis, verkehre im Kölner Schwulenlokal „Tom-Tom“.
Ein schwuler, deutscher Militär? Für Wörner ein Risiko. Ohne stichhaltige Beweise und glaubhafte Zeugen – Wörner ließ zwei Kneipengäste befragen – wurde Kießling gefeuert. Als er im Februar 1984 nach öffentlichem Druck wieder eingestellt und zwei Monate später mit Großem Zapfenstreich verabschiedet wurde, hieß es: Der, laut MAD, „Günter von der Bundeswehr“ sei ein „Jürgen“ ohne Bezug zum General gewesen. Und Wörner? Der wurde 1988 Nato-Generalsekretär. 2017 erklärte Verteidigungsministerin von der Leyen sexuelle Vielfalt zur Normalität in der Bundeswehr. Helena Neumann
I
Inland Außer bei Sicherheitseinsätzen, Bündnisfällen und der Abwehr von Terroranschlägen im Ausland, welche von Beistandsverpflichtungsnormen wie etwa dem Nato-Vertrag geregelt werden, kann die Bundeswehr auch im Inland zum Einsatz kommen. Neben dem Kerngeschäft des Verteidigungsfalles ist im Grundgesetz vom „Spannungsfall“ die Rede. Zivile Objekte können dann geschützt, der Verkehr geregelt und grundsätzlich Maßnahmen eingeleitet werden, die der Erhaltung der öffentlichen Ordnung dienen.
Eine gewisse Brisanz verspricht der Terminus „drohende Gefahr für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDG) des Bundes oder eines Landes“, die ebenfalls den Einsatz der Bundeswehr im Inland rechtfertigt. Aus dieser Perspektive wäre es an der Zeit, die Bundeswehr einzusetzen, um mit Morddrohungen überzogene Bürgermeister von Kleinstädten vor Nazis zu schützen. Warum keine Soldaten vor den Rathäusern der bedrohten Würdenträger aufstellen? Warum nicht mehr Wehrhaftigkeit für die FDG demonstrieren? Oder ist sich der Staat vielleicht nicht so sicher, wo seine Soldaten im Ernstfall stehen (➝ Rechtsextremismus)? Wenn der erste Verteidigungsminister der AfD vereidigt wird, ist es zu spät. Marc Ottiker
K
Kosten Pro Kopf gibt Deutschland umgerechnet etwa 557 Euro für die Bundeswehr aus. Damit befand man sich 2018 hinter Großbritannien, aber noch vor Japan auf Platz acht der weltgrößten Verteidigungsetats. Für 2019 beträgt der Verteidigungsetat 43,2 Milliarden Euro, etwa 12 Prozent des Bundeshaushaltes. Es ist der zweitgrößte Posten nach dem Sozialetat.
Wie beim Bildungssystem, der Infrastruktur und im Gesundheitswesen hat die schwarze Null auch im Heer Spuren hinterlassen. Zerfall und die Aufrechterhaltung maroder Strukturen sind über alle Aspekte gesellschaftlichen Lebens gleichmäßig verteilt. In anderen Ländern ist das zivile Leben dem militärischen untergeordnet. In Russland ist jede Kalaschnikow funktionstüchtiger als eine Straßenbahn. Indien hat zwar Atomraketen, ist aber nicht in der Lage, eine flächendeckende Kanalisation aufzubauen. So gesehen ist Deutschland im Kern pluralistisch. Seit dem 1. Januar dürfen die sich im Dienst befindenden Soldatinnen und Soldaten unentgeltlich mit der Bahn fahren. Auf allen Linien, egal ob ICE oder Regionalbahn. Was wird das für Folgen haben? Werden durch die Verspätungen nun auch die militärischen Organisationsabläufe aufgeweicht? Oder beginnt die Bahn ihre Fahrpläne so rigide wie Marschbefehle durchzusetzen? Marc Ottiker
R
Rechtsextremismus Für mutmaßliche Verfehlungen (➝ Homosexualität) innerhalb der ➝ Truppe ist bei der Bundeswehr seit jeher der Militärische Abschirmdienst MAD zuständig. Wie vergangenes Jahr bekannt wurde, ermittelt der Geheimdienst bereits seit Monaten gegen einen Unteroffizier der Eliteeinheit „Kommando Spezialkräfte“, kurz KSK. Das Bundesverteidigungsministerium räumte ein, dass in dieser Einheit mehrere „Verdachtsfälle“ im Hinblick auf eine rechtsextreme Gesinnung bestehen. Laut Berichten des Spiegel ermittelt der MAD in 478 „Verdachtsfall-Operationen im Phänomenbereich Rechtsextremismus.“
Das Ministerium will den Geheimdienst nun aufstocken und härter gegen Rechtsextremismus vorgehen. Der Wehrbeauftragte des Bundes, Hans-Peter Bartels, hatte der Deutschen Presseagentur gegenüber eine soziologische Erklärung für die Häufung der Fälle parat: „Wenn man [...] ihnen sagt, ihr werdet jetzt zu den Härtesten der Harten ausgebildet, muss man sich nicht wundern, wenn dann Einzelne glauben, dass sie sich auch im politischen Bereich das scheinbar Härteste, was sich vorstellen lässt, zu eigen machen müssen.“ Konstantin Nowotny
T
Truppe Über Personalmangel kann sich die Bundeswehr nicht beklagen, auch wenn der ➝ Zustand eine andere Frage ist. 120.000 Bewerbungen gehen beim Bundesministerium für Verteidigung jedes Jahr ein, 25.000 Einstellungen nimmt das Ministerium davon vor. Im zivilen Dienst sind knapp 80.000 Menschen beschäftigt. Zur Streitkraft zählen knapp 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten (➝ Gliederung). Davon sind 53.000 Berufs- und 120.000 Zeitsoldaten. Weitere 8.000 Frauen und Männer leisten freiwilligen Wehrdienst. Zusätzlich verfügt die Bundesrepublik über knapp 90.000 Reservisten.
Menschen werden in der Bundeswehr immer weniger eingesetzt. Während des Kalten Kriegs gab es fast eine halbe Million Soldaten. Seit den frühen 90er-Jahren sinkt die Zahl stetig. Ein deutlicher Knick ist im Jahr 2011 abzulesen: Da wurde die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Die Rekrutierungskampagnen der Bundeswehr (➝ Werbung) scheinen jedoch zu fruchten. Die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten ist seit der „Trendwende Personal“ im Jahr 2016 gestiegen. Die von Verteidigungsministerin von der Leyen angestoßene Personalreform ist die erste gezielte Aufstockung der personellen Streitkräfte seit dem Kalten Krieg. Bis zum Jahr 2025 sollen es rund 203.000 werden. Konstantin Nowotny
W
Werbung Seit 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, muss die Bundeswehr wie ein ziviler Arbeitgeber Personal rekrutieren. Das läuft schlecht. Sexuelle Übergriffe, Misshandlungen und ➝ Rechtsradikalismus waren keine gute Werbung. Wegen des „gigantischen Personalproblems“, wie es Verteidigungsministerin von der Leyen 2017 nannte, inszeniert sich die Bundeswehr daher bewusst neu.
Mit der „Arbeitgeberkommunikation“ beauftragt wurde die auf Imagepflege spezialisierte Agentur Castenow aus Düsseldorf. Castenow entwickelte die preisgekrönte Kampagne „Mach, was wirklich zählt“, die 2015 startete. Statt die Bundeswehr mit Fakten zu bewerben – feste Arbeitsverträge, gutes Gehalt – wurde ein Narrativ gesponnen. Storytelling heißt das. Zur Kampagne gehörte eine Reality-Doku auf Youtube namens Die Rekruten. Die Bild nannte sie „das Krasseste, seit es Bundeswehr-Werbung gibt.“ Zum Paket gehört außerdem ein Showroom in Berlin-Mitte. Das Prinzip Flagship-Store in exklusiver Lage kostet (➝ Kosten). Die Miete beträgt rund 15.000 Euro im Monat. Steuergelder. Marlene Brey
Z
Zustand der Truppe? „Gleichermaßen traurig wie skandalös!“. Hierzulande störe das niemanden, klagt der frühere militärpolitische Berater von Angela Merkel, General a. D. Erich Vad, inzwischen Lehrbeauftragter an den Universitäten München und Salzburg. Länder mit geringerem Verteidigungsetat (➝ Kosten) hätten schlagkräftigere und einsatzbereite Streitkräfte. Sekundiert in der Bild am Sonntag 2019 vom Wehrbeauftragten des Bundestages, Hans-Peter Bartels, prangert der Ex-Militär mangelnden Reformwillen und Sparmaßnahmen trotz zunehmender ➝ Auslandseinsätze bei feindlichem gesellschaftlichen Klima an. Er attestiert der in einer überbürokratischen Behörde agierenden militärischen Spitze neben Laissez faire auch Duckmäusertum und Führungsversagen. Helena Neumann
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