"Bush war ein Geschenk des Himmels"

Im Gespräch Heinz Dieter Kittsteiner und Michael Minkenberg über Neokonservative in den USA, Eliten, Politik und Religion

FREITAG: Von Carl Schmitt stammt der Satz "Die eigentlich politische Unterscheidung, ist die Unterscheidung von Freund und Feind." Denkt die Regierung Bush in den Freund-Feind-Kategorien eines Carl Schmitt?
MINKENBERG: Sicher gibt es eine klare Freund-Feind-Orientierung bei der jetzigen Bush-Administration. Aber das hat eine Tradition, die sich nicht direkt auf Carl Schmitt berufen kann. Verschiedene US-Regierungen bemühten sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts um eine klare Freund-Feind-Rhetorik, die in der Regel zwischen der freien, demokratischen Welt, als deren Führer die USA galten, und den antidemokratischen Mächten unterschied. Bei den USA mischen sich die Freund-Feind-Kategorien zudem stets mit moralischen Kategorien, was bei Carl Schmitt ja ausdrücklich getrennt wird.

KITTSTEINER: Das möchte ich noch etwas ausführen. Bei Schmitt sind die Kategorien "Freund" und "Feind" von allen Beimischungen gereinigt. Der Feind ist nicht böse oder hässlich, er ist einfach nur der "Feind", mit dem man Kriege nach Maßgabe des europäischen Völkerrechts führt. Das sind keine "diskriminierenden Kriege", die den Feind zum "Verbrecher" stempeln. "Achsen des Bösen" und dergleichen, haben in Schmitts Denken keinen Platz.

Welche Verbindungslinie gibt es zwischen Carl Schmitt und Leo Strauss? Landete über den jüdischen Emigranten Leo Strauss Nazi-Denken in den USA?
KITTSTEINER: Das ist reichlich krass formuliert, weil es bedeuten würde, dass nicht nur Schmitt, sondern auch Strauss Denkstrukturen entwickelt haben, die man als national-sozialistisch bezeichnen könnte. Was Strauss um 1932/33 versucht hat, ist Schmitt im Anti-Liberalismus zu übertreffen. Das geht aus seiner Kritik an Schmitts Schrift Der Begriff des Politischen hervor. Nimmt man noch hinzu, dass Strauss ja auch von Heidegger beeinflusst war, könnte man sagen: Mit seiner Emigration sind einige Leitmotive zivilisationskritischen deutschen Denkens in den USA gelandet.

Für Leo Strauss war das Wissen um politische Zusammenhänge elitär, die Wahrheit also letztlich nicht jedem zumutbar. Finden sich Züge dieses elitären Machtdenkens in der Verschleierung der wahren Gründe für den jüngsten Irak-Krieg wieder, und was bedeutet dies letztlich für die Einstellung der Neocons zur Demokratie?
KITTSTEINER: Strauss unterschied bewusst zwischen einer exoterischen, nach außen gewendeten Lehre eines Philosophen und einer esoterischen, die nur für die engsten Schüler bestimmt war. Das wirkliche Wissen war also nicht für die Masse, sondern für eine kleine Elite. Bei Strauss kommt dies aus der Tradition, dass Philosophen über Jahrtausende gezwungen waren, mit zwei Zungen zu sprechen, weil sie von den Machthabern bedroht wurden.

Aus demokratischer Sicht würde man aber heute sagen, politische Theorie hat immer eine öffentliche Funktion.
KITTSTEINER: Das ist unsere Auffassung seit der Aufklärung; man muss bedenken, dass Leo Strauss hinter die Aufklärung zurückgeht. Machiavelli, Hobbes, Rousseau, Nietzsche, das sind für ihn eher Stationen des Verfalls der Wissenschaft von der Politik. Strauss´ Ideal ist eher das des "Weisen", der, was man nicht vergessen sollte, seine letzten Normen aus der Religion bezieht. Aus der Sicht einer "Demokratie" ist das alles nicht unbedingt demokratisch. Umgekehrt kann man sich fragen, ob eine Demokratie heute noch funktional ist. Ursprünglich ging man davon aus, dass jeder sein eigenes Interesse aus unmittelbaren, ortsgebundenen Erfahrungen herleiten und überschauen kann. Das ist im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr so. Natürlich kann man diese Undurchsichtigkeit der Verhältnisse auch für Manipulationen nutzen. Wenn angesichts der Gleichschaltung der US-amerikanischen Medien weit über 50 Prozent der amerikanischen Bürger wirklich glaubten, dass Saddam Hussein etwas mit 9-11 zu tun habe, dann ist das die Inszenierung eines Betrugs, dann war der 11. September der willkommene Anlass für eine Politik, die man schon vorher konzipiert hatte.

Wie passt denn eine Figur wie George W. Bush in dieses elitäre Denken?
KITTSTEINER: Wer eine Schule gründen will, der muss wissen, was er tut. Selbst beim Verhältnis von Strauss zu seinen Schülern gab es schon einen gewaltigen intellektuellen Abstand. Für Strauss war die USA das Land seines Exils, dem er dankbar war. Seine Schüler stellten sein hoch artifizielles Denken in aktuelle politische Konstellationen - wenn dann noch ein George W. Bush dazu kommt, ist der Effekt nicht zu kalkulieren.

MINKENBERG: Die Neocons kommen heute aus dem Washingtoner Establishment. Ihnen war Bush also am Anfang so fern, wie es ein Texaner nur sein konnte. Er wurde für sie erst interessant, als er als Präsident nach Washington kam und sich nach geeignetem Personal umsah. Die Neocons bestimmen sowieso keine eigenen Kandidaten, sondern beeinflussen eher das Umfeld, in dem Regierungs-Politik gemacht wird.

Wie entstanden eigentlich die Neocons?
MINKENBERG: Eigentlich waren die Neocons eine Gruppe von meist jüdischen ehemals liberalen oder linken Intellektuellen der Ostküste, die von 1968 und der Anti-Vietnam-Bewegung abgestoßen waren und sich in dieser Zeit nach Rechts orientierten. Zur ersten Generation der Neocons gehörten neben Irving Kristol Leute wie Norman Podhoretz und der Harvard-Soziologe Daniel Bell. Inzwischen gibt es eine zweite Generation von Neocons, sowohl biologisch, etwa die Söhne William Kristol und John Podhoretz, als auch soziologisch, mit Allan Bloom, Richard Perle, Paul Wolfowitz und Francis Fukuyama.

Und was hat Leo Strauss damit zu tun?
MINKENBERG: Die politische Konzeption der Neocons hebt sich von anderen darin ab, dass sie explizit eine moralische Ordnung als Grundlage amerikanischer Politik fordert. Politik und Gesellschaft werden also genau wie bei Leo Strauss auf einen Ethos gegründet. Aber die Verbindung ist nicht nur ideengeschichtlich, sondern auch personell, denn viele der Neocons haben bei Strauss oder später bei Strauss-Schülern studiert.

Inwieweit war die Entscheidung der Regierung George W. Bush, den Irak anzugreifen, Ihrer Meinung nach von den Neocons vorbereitet?
MINKENBERG: Viele Neocons tummelten sich in dem 1997 gegründeten Project for a New American Century, das heute von Wiliam Kristol geleitet wird. Hier wurde ein neuer Golf-Krieg ideologisch vorbereitet. Schon 1998 forderten sie in einem offenen Brief an Präsident Clinton einen Regimewechsel im Irak. Der Kongress verabschiedete dann im gleichen Jahr den Iraq Liberation Act, der auch von den Neocons mit vorbereitet wurde. Außerdem kooperierten sie seit Mitte der neunziger Jahre mit der irakischen Opposition. Die Neocons hatten also eine besonders kohärente Strategie in der Irak-Frage und formulierten schon sehr früh die Eckpunkte einer Politik, die später in einem erneuten Golfkrieg enden sollte.

Wie kam es, dass die Politik des Regime-Change dann zur offiziellen Linie der Bush-Administration wurde?
MINKENBERG: Die Neocons üben einen besonders hohen Einfluss auf die jetzige Administration aus. Ihr wichtigstes Instrument sind ihre Netzwerke und ThinkTanks, sowie Lobbying und persönliche Verbindungen. Externe Effekte wie der 11. September 2001 halfen natürlich. Als alle noch nach Luft und Worten rangen, hatten die Neocons schon fertige Konzepte in der Tasche. Der Afghanistan-Krieg war für sie dann eher eine Ablenkung von ihren eigentlichen Zielen, dem Regime-Change in als strategisch bedrohlich angesehenen Ländern wie Iran, Irak und Nordkorea.

KITTSTEINER: Man muss nicht nur danach fragen, welchen Einfluss die Neocons auf die Politik der US-Regierung hatten, sondern danach, wie amerikanische Politik formuliert wird. Geht man davon aus, dass die ökonomischen Grundinteressen und die von ihnen abgeleitete Geopolitik in etwa gleich bleiben, und es eher um Legitimationsstrategien geht, aus denen dann das Politische abgeleitet wird, dann zeigt sich, dass Bush für die Neocons ein Geschenk des Himmels war. Während er am Anfang seiner Regierungszeit noch nach Orientierung und einer Formulierung seiner Politik suchte, kamen die Neocons bereits mit einer eigenen Mannschaft und einem eigenen Programm.

Welche Rolle spielten die UN für die Neocons?
MINKENBERG: Keine Gute. Die USA haben sich mit Multilateralismus in der internationalen Politik immer schon schwer getan, und sie haben ein ganz besonderes Problem mit der europäischen Tradition von "Realpolitik", die von moralischen Kategorien ganz absieht. Die UN galten für die Neocons bis 1990 als ein anti-amerikanisches Instrument der Sowjetunion und der Entwicklungsländer.

Wie sieht die neue globale Rolle der USA aus Ihrer und aus Sicht der Neocons aus?
KITTSTEINER: Nach der Meinung von Zbigniew Brzezinski ist die USA zu Zeit die einzige Weltmacht, sie ist aber auch die letzte, denn wir steuern auf eine Pluralität von großen Mächten zu. Die USA haben ein gewisses Zeitfenster, sich mit der kommenden Weltmacht China zu arrangieren; Indien nicht zu vergessen. Wenn dies misslingt, kommen größere Probleme auf uns zu, um es vorsichtig auszudrücken. Ich fürchte, die Neocons sehen dies anders, weil ihr amerikanischer Patriotismus den Vorrang vor der Idee eines Machtausgleichs hat, die als europäisch gilt.

Was lässt dies denn für eine Politik erwarten?
KITTSTEINER: Wahrscheinlich müssen wir weiterhin mit einer unilateralen Politik rechnen, die argumentiert: "Gut ist, was den USA nützt." Beispielsweise der starke Druck, die Türkei in die EU aufzunehmen. Aus amerikanischer Sicht ist das plausibel, weil die Türkei und Afghanistan als die Eckpfeiler für die Herrschaft über den ehemaligen Südgürtel der UdSSR vorgesehen sind, mit dem kaspischen Becken und seinen Erdöl- und Erdgasvorkommen als Filetstück. Diese Politik braucht zwar Europa als Brückenkopf zu Eurasien, sie will aber Europa auch keine eigenständige Macht werden lassen. Andererseits deutet sich auch von Europa her ein Auseinanderbrechen der im "Kalten Krieg" noch gemeinsamen Werte des "Westens" an. Die Befürchtung, dass die USA va banque spielten, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und warum sollen wir uns an eine untergehende Weltmacht ketten?

Gibt es eine Kontinuität neokonservativer Außenpolitik von Bush dem Vater zu Bush junior?
MINKENBERG: Eher weniger. Die Außenpolitik von Bush senior war weniger ideologisch als die seines Vorgängers Reagan und die aktuelle Politik seines Sohnes. Zwar waren die Neocons in der ersten Bush-Administration von 1988-92 zahlreicher, sie standen aber eher in der zweiten und dritten Reihe. Bei Bush junior ist es heute genau umgekehrt, die Neocons sind zwar weniger zahlreich aber dafür haben sie die wichtigen Posten.

Kann man von einer Rückkehr der Religion in die amerikanische Politik sprechen und inwieweit spiegelt sich darin die Ideologie der Neocons und die Philosophie von Leo Strauss wider?
KITTSTEINER: Es gibt bei Leo Strauss einen Rückgriff auf Normen einer Offenbarungsreligion; das kann sicherlich in einem Land, das eine starke Sektentradition hat, die es gewohnt ist, sich auch in die Politik einzumischen, auf offene Ohren stoßen.

MINKENBERG: In den USA gibt es eine strikte institutionelle Trennung von Staat und Kirche, zugleich aber eine Mischung von Religion und Politik. Die Rückkehr der Religion hat aber nur wenig mit den Neocons und Leo Strauss zu tun, sondern eher mit größeren gesellschaftlichen und politischen Prozessen seit den 1960er Jahren. Die Formel "God Bless America" in Ansprachen der Präsidenten wird erst seit Ronald Reagan regelmäßig verwendet. Dahinter verbirgt sich eine Politisierung von Religion als Gegenbewegung zur wahrgenommenen Liberalisierung und Säkularisierung amerikanischer Politik und Gesellschaft in der Nachkriegszeit. Es ist also ein Aufstand des prostestantisch-fundamentalistischen "Middle America". Politisch organisiert wurde diese Gegenreaktion von der so genannten Christlichen Rechten. Zu den Neocons herrschte anfangs eine große Distanz, die sich allerdings im Laufe der 1980er Jahre verringert. Man merkte, dass man in einer "strategischen Allianz" gegen die Liberalen zusammenarbeiten musste, vor allem als Hassobjekte wir die Clintons ins Weiße Haus einzogen.

Warum nehmen wir gerade jetzt die Renaissance einer theologischen Konzeption von Politik wahr?
KITTSTEINER: Das hängt mit dem Sinnverlust nach dem Ende des Kalten Krieges zusammen. Die großen totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts bildeten eine Ersatzreligion, auf die die Politik ausgerichtet war. Die Politik sollte den Bürgern also ein sinnerfülltes Leben liefern; man machte das Richtige, weil man in einer historischen Notwendigkeit lebte, die auf ein Ziel, beispielsweise den Sozialismus, hinführen sollte. In abgeschwächter Weise galt das auch für den liberalen Gegenspieler: er war sozusagen die kapitalistische Antireligion gegen den Kommunismus. In dem Moment, als diese Akteure verschwunden waren, stellte sich die Sinnfrage neu.

Nach den USA im Jahr 2000 steht nun auch Deutschland vor einer konservativen Wende in der Politik, welche grundlegenden ideologischen Veränderungen erwarten Sie und gibt es diesbezüglich Parallelen zu den USA?
MINKENBERG: Parallelen zur der von Bush ab 2001 bewusst angestrebten kulturellen und religiösen Wende sehe ich weniger. Außen- und innenpolitisch wird es wohl eine Kontinuität zur aktuellen Politik geben, also eher die Wiederaufführung von Kohls alter Politik des "Durchwurstelns" anstatt einer strategisch-programmatischen Wende. Der Abbau des Sozialstaates ist längst im Gange. Neues wird es vielleicht am ehesten in der Einwanderungspolitik geben.

KITTSTEINER: Ich bezweifle auch, ob Deutschland vor einer konservativen Wende steht. Die alten Begriffe von rechts und links sind heute nicht mehr gültig, die neue Regierung wird trotz einiger Unterschiede im Detail, vor den Problemen genauso hilflos stehen wie die alte. Der Gestaltungsraum der Politiker ist radikal eingegrenzt. Deutschland steht vor einer kapitalistischen Wende.

Das Gespräch führte Stefan Wellgraf

Heinz Dieter Kittsteiner ist Professor für vergleichende europäische Geschichte, Michael Minkenberg Professor für Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt vergleichende Regierungslehre. Beide lehren an der Europauniversität Viadrina Frankfurt/Oder.


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