Ein Überfall der Reichen gegen den Rest der Gesellschaft", schimpft die Bäuerin. Und die mexikanische Presse titelt: "Der größte Raubzug seit der spanischen Eroberung". Gemeint ist Fobaproa, der "Fonds zum Schutz der Sparer". Hinter der Abkürzung versteckt sich die "Rettungsaktion" der mexikanischen Banken. Eine "Lawine", fürchtet Marcelo Ebrard, Mitglied der parlamentarischen Untersuchungskommission, "und wenn sie erst in Bewegung gerät, gibt es kein Halten mehr".
Zu Erinnerung: Zweimal hat eine mexikanische Finanzkrise das internationale Währungssystem erschüttert - Anfang der achtziger Jahre und Ende 1994, als der Internationale Währungsfonds auf Druck der US-Gläubigerbanken, die um ihr geliehenes Geld fürchteten, einen Überbrückungskredit von über 50 Milliarden Dollar bereitstellen musste (s. Kasten).
Noch hat kaum jemand in Mexiko eine Vorstellung über das Ausmaß der sich abzeichnenden Katastrophe. Die Regierung will ihrem Wahlvolk und dem Parlament gegenüber bisher keine Rechenschaft ablegen und informiert - wenn überhaupt - nur bruchstückhaft. Der Sachverhalt ist in der Tat kompliziert - Samuel Garcia, Leiter der Wirtschaftsredaktion bei der Tageszeitung Reforma, schätzt, dass die Mexikaner für die anstehende Operation ein Viertel ihres Bruttosozialproduktes (BSP) aufbringen müssen.
Fobaproa war eigentlich ein Fonds der Banken, um die Einlagen ihrer Kunden zu sichern. Als nach der Abwertung Ende 1994 vielen Geldinstituten Zahlungsunfähigkeit drohte, mutierte der Fonds zum Schutz der Sparer in einen Fonds zum Schutz der Banken. Das sei die offizielle Lesart, meint Samuel Garcia. Dabei waren die Bilanzen der Banken schon vor der Abwertung von roten Zahlen durchsetzt. "Banco de Unión, Crimi-Bank und Banpaís-Bank", erinnert Garcia, "wurden schon vorher einem amtlichen Verwalter unterstellt. Nach der Finanzkrise griff das Problem auf andere Bankhäuser über. Es gab allerdings keine Strategie, sondern jede Bank wurde als Einzelfall behandelt".
Man dazu wissen, dass die mexikanischen Banken erst 1992 privatisiert wurden, was damals im In- und Ausland als großer Erfolg galt. Der flächendeckende Bankrott folgte zwei Jahre später, doch geschadet hat es den Betreffenden nicht, das Risiko trug der Steuerzahler. Garcia betrachtet den "Fall Serfin-Bank", in der Kapital der Hongkong Shanghai Bank steckt, als geradezu exemplarisch: "Dieses älteste Geldinstitut ist von der Regierung übernommen worden, um es vor dem Konkurs zu bewahren. Damit seine Bilanz ausgeglichen werden konnte, mussten 3,3 Milliarden Dollar aufgebracht werden." Allerdings habe die Hongkong Shanghai Bank, die 19 Prozent der Anteile von Serfin hielt, keinen Peso eingebüßt, wurde doch seinerzeit mit der Privatisierung ausgehandelt, dass im Falle einer wie auch immer gearteten staatlichen Übernahme keine Verluste entstehen dürften.
Vor dem 94er Crash gab sich die Finanzwelt von der Regierung des Präsidenten Carlos Salinas entzückt. Die Staatsunternehmen waren privatisiert, mit den USA und Kanada war zum 1. Januar 1994 das Freihandelsabkommen NAFTA unterzeichnet worden. Dass sich in Chiapas die indianische Bevölkerung (Januar 1994) erhoben hatte und die Drogenmafia die Gesellschaft zu dominieren schien, passte allerdings ebenso wenig zum Bild von der opulenten mexikanischen Fiesta wie der blutige Machtkampf innerhalb der Regierungspartei PRI (*). Der IWF "übersah" damals erstaunlicherweise auch das Handelsbilanzdefizit oder ein eher schwindsüchtiges Wirtschaftswachstum, auch die fehlenden Devisen-Reserven waren kein Thema. Gleichsam stießen ein überbewerteter Peso und die ungehemmte Finanzspekulation auf viel Toleranz. Es grassierten Lobpreisungen über das "Modell Mexiko" - die Gründung einer Bankenaufsicht schien zu banal, um darüber Worte zu verlieren.
Warum wird so dilettantisch ermittelt?
Augustín López hatte in einem Vorort Oaxacas, im indianischen Süden, noch 1993 einen Familienbetrieb. Der 69-jährige besaß ein Haus aus Backsteinen mit sechs Zimmern und zwei Bädern. Dort lebt er mit seiner ganzen Familie, und dort nähte er Fußbälle. Anfang 1994 bekam er einen Auftrag über 5.000 Bälle und beantragte einen Kredit. Er wusste nicht, dass gerade das Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft getreten war und Fußbälle aus Pakistan auf den Markt kamen. Sein Kunde kaufte nun Billigware aus Asien und schickte ihm die Bälle zurück. Es folgte der Fall des Peso. López konnte seine Kredite nicht zurückzahlen. Seine Bank verlangte nun nicht mehr 20 Prozent Zinsen, sondern 105. 1998 waren seine Schulden auf fast 300.000 Pesos geklettert, und die Bank leitete die Zwangsversteigerung seines Hauses ein. López musste daraufhin seinen Betrieb liquidieren und baut nun auf einem Hektar Land Mais und Bohnen für den Eigenbedarf an, mehr ist ihm von seiner Existenz nicht geblieben.
Dieser Augustín López hat allen Grund sich der Schuldnerbewegung Barzón anzuschließen, einer Organisation mit über 300.000 Mitgliedern, die sich nicht damit abfinden will, dass der Staat die Schulden der Banken übernimmt, während der kleine Unternehmer zur Kasse gebeten wird. Vielen Mitgliedern des Barzón ist bislang die Zwangsversteigerung ihrer mit Hypotheken belasteten Häuser erspart geblieben, denn im Jahr 2000 wird in Mexiko gewählt. Selbstverständlich will die Regierungspartei PRI vermeiden, dass verschuldete Bürger ihr Heil bei der Opposition suchen. Alfonso Ramírez Cuellar, der Chef des Barzón, sitzt für die links-liberale PRD (**) im Abgeordnetenhaus und fordert keinen Schuldenerlass, sondern dieselben Bedingungen, die dem Finanzmarkt eingeräumt werden. "Wir sind bereit, elf Prozent zu zahlen", so Ramírez Cuellar, "die nicht eintreibbaren Schuldtitel werden zum Kauf angeboten".
Was Barzón jedoch vor allem empört, das ist die halbherzige Verfolgung von Bankern, die sich ins Ausland abgesetzt haben. "Warum wird so dilettantisch ermittelt, werden Fristen versäumt, Beweise verschlampt?" fragt Ramírez Cuellar. "Wir klagen jetzt auf die Freigabe der Information, wie viele Steuermittel beispielsweise der Unión-Bank zugeflossen sind - jenem Bankhaus, das den Wahlkampf des heutigen Präsidenten Zedillo finanziert hat."
Was passiert, wenn der Ölpreis fällt?
Die Opposition hatte die Einsetzung einer externen Finanzprüfung für die mexikanischen Banken gefordert. Die kanadische Consulting Michael Mackey übernahm den Auftrag und kam im Juli zu dem Ergebnis, dass die Rettung des Finanzplatzes Mexiko "spät und nicht adäquat" geschehen sei.
Viele Milliarden Dollar an Steuern hätten nicht ausgezahlt, vor allem die Cremi- und die Union-Bank nicht gerettet werden dürfen, da ihre Zahlungsschwierigkeiten nicht zuletzt auf betrügerische Operationen zurück zu führen waren. Die Märkte hätten einen Zusammenbruch von zwei Banken verkraftet. Und selbst, wenn es die Regierung für zweckmäßig gehalten hätte, den Sparern dieser beiden Banken Verluste zu ersparen, dann wäre es für die öffentliche Hand billiger gewesen, man hätte den Bankkunden einfach ihre Einlagen ausgezahlt, als eine komplizierte Rettungsaktion über die Ausgabe von Obligationen zu finanzieren.
Ein vernichtendes Urteil über Fobaproa? Wird eine künftige Regierung die "Rettungsaktion" revidieren können? Sie wird einen zu geringen Spielraum haben, glaubt der PRD-Abgeordnete Ebrard und dürfte Recht haben. Noch vor den Wahlen sollen die intervenierten Banken wieder privatisiert werden, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Vor allem ausländische Geldinstitute sind als Käufer im Gespräch. "Für die nächste Regierung wäre es also sehr teurer, die ganze Sache in Frage zu stellen und neu aufzurollen", meint Ebrard, "wenn alles gut geht, wenn es keine Rezession in den USA gibt und die Zinsen nicht steigen, benötigen wir im nächsten Jahr 50 bis 60 Milliarden Dollar, um die Lawine zu bezahlen. Wie wollen wir das aufbringen? Und was passiert, wenn der Ölpreis fällt?"
(*) Partido Revolucionario Institucional (**) Partido de la Revolución Democratica
Dezember 1994 - Mexikos gebremster Fall
Die Finanzkrise begann am 20. Dezember 1994 mit dem Kurssturz des Peso und einem rasanten Kapitalabfluss. Innerhalb weniger Tage wurde daraufhin vom IWF sowie Banken aus den USA, aus Kanada und Westeuropa ein Hilfspaket von bis dahin ungekannten Ausmaßen geschnürt - 50 Milliarden Dollar sollten Mexikos Insolvenz auffangen.
Auch wenn sich das Land danach in erstaunlich kurzer Zeit wieder eigene Kreditlinien aufbauen konnte - spürbar erholt hat sich die Ökonomie kaum. Bisher wurden für die seinerzeit in Anspruch genommenden IWF-Mittel nur Zinsen gezahlt, die eigentliche Tilgung beginnt erst zwischen 2003 und 2005. Eine binnenwirtschaftliche Konsequenz besteht in einer nahezu ausgefallenen staatlichen Investitionstätigkeit: Es wurden seit 1994 keine Schulen oder Krankenhäuser, keine Straßen oder Kraftwerke gebaut.
1999 leben von 73 Millionen Mexikanern 30 Millionen in Armut, zweieinhalb mal so viel wie vor 15 Jahren. Die Lebenshaltungskosten sind in den vergangenen fünf Jahren um 250 Prozent gestiegen - der Mindestlohn nur um 86 Prozent. Er liegt derzeit bei 82 Dollar.
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