Das Fallbeil abfangen

Kombilohn Achim Vanselow vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen hat das Mainzer Modell untersucht. Sein Fazit: Im Westen nur begrenzt und im Osten kaum wirksam

FREITAG: Worin liegt die Besonderheit des Mainzer Modells?
ACHIM VANSELOW: Das in Rheinland-Pfalz vom dortigen Sozialminister Gerster entwickelte Modell ist in zweifacher Weise sozialpolitisch motiviert. Zum einen gibt es zwischen der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeit und den 630-Mark-Jobs dieses Fallbeil der Sozialversicherungsbeiträge, das heißt ab 631 Mark setzt die Sozialversicherungspflicht in voller Stärke ein. In diesem Zwischenbereich, der gegenwärtig für Arbeitnehmer nicht attraktiv ist, wird ein Potenzial von Arbeitsplätzen vermutet, das mit Subventionen erschlossen werden kann. Eine weitere Überlegung ergab sich aus der Situation von Geringverdienenden mit Kindern. In der Sozialhilfe bekommen die Familien praktisch den Bedarf, das heißt das, was die Kinder tatsächlich kosten. Und das ist eben erheblich mehr als das Kindergeld. Daraus wurde dann der Schluss gezogen, dass es, wenn die Leute rational vorgehen, in ihrem Kalkül eigentlich sinnvoller ist, im Sozialhilfebezug zu bleiben und eben nicht eine Stelle anzunehmen, weil sie dann eventuell sogar noch Geld verlieren. Deshalb geht es im Mainzer Modell nicht allein um einen Zuschuss zu den Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch um einen Zuschuss zum Kindergeld.

Das Mainzer Modell

Ziel:
Mehr Jobs im Niedriglohnbereich oberhalb der 325-Euro-Schwelle.

Mittel
Ledige Geringverdiener ohne Kinder erhalten bei einem Einkommen von 325 bis maximal 897 Euro gestaffelte und auf 36 Monate begrenzte Zuschüsse zu ihren Sozialversicherungsbeiträgen. Familien und Alleinerziehende erhalten zusätzlich bis zu 77 Euro pro Kind.

Ergebnis
Bislang gab es 838 Förderfälle.

Hat sich die Integration einer Kinderkomponente bewährt?
Nach unseren Untersuchungen ist es tatsächlich so, dass sich Menschen mit Kindern - also entweder Familien oder Alleinerziehende - auch am ehesten von dem Modell angesprochen fühlen.

Dennoch wurde das Modell insgesamt nur wenig in Anspruch genommen.
In der Tat, alles in allem hatten wir nach mehr als einem Jahr Laufzeit zum 20.12. 2001 nur 838 Förderfälle, davon 717 in Rheinland-Pfalz und 121 im Land Brandenburg, wo das Mainzer Modell ebenfalls getestet wurde. Insgesamt ist das Modell also sicher nicht die Patentlösung für die Massenarbeitslosigkeit. Es ist ein zusätzliches Instrument, mehr nicht.

Von der Unternehmerseite wird kritisiert, dass solche Instrumente in der Handhabung viel zu schwerfällig sind. Welche Erfahrung haben Sie gemacht?
Da müssen wir unterscheiden: zwischen den Sozialämtern und den Arbeitsämtern. Die Sozialämter haben es relativ leicht, weil Abrechnung und Zahlung den Arbeitsämtern obliegt. Die Sozialämter müssen eigentlich nur ihre Klientel informieren und die entsprechenden Anträge an das Arbeitsamt weiterleiten. Bei den Arbeitsämtern ist der Aufwand größer. Denn es geht ja beispielsweise nicht nur darum, das Einkommen der geförderten Personen festzustellen, sondern auch das Einkommen eines eventuell vorhandenen Partners. All das kostet Zeit, insbesondere in der Anlaufphase. Schließlich müssen auch die Mitarbeiter in den Arbeitsämtern sich an den Umgang mit diesem Instrument erst gewöhnen.

Inwieweit hat sich die Erwartung bestätigt, dass es bei den Unternehmen tatsächlich Arbeitsplätze gibt, die wegen der Sozialversicherungsfalle und wegen eines zu geringen Arbeitsanreizes nicht besetzt sind?
Die Arbeitgeber haben eigentlich nicht in dem erwarteten Maße offene Arbeitsstellen im Niedriglohnbereich gemeldet. Die ursprüngliche Erwartung, dass es ein beträchtliches Potenzial schwer besetzbarer Stellen im Niedriglohnbereich gibt, hat sich so nicht bestätigt. Nun würde ich nicht sagen, dass diese Überlegung sich als vollkommen falsch erwiesen hat. Das Problem ist einfach, dass wir über die Existenz oder Nichtexistenz dieser Arbeitsplätze wenig wissen. Es kann ja auch sein, dass sie nur in geringem Umfang gemeldet werden. Außerdem ist zu bedenken, dass die Unternehmen entweder nach tariflichen oder - wenn es keine Tarifverträge gibt - nach ortsüblichen Bedingungen entlohnen müssen. Und jetzt kann man natürlich trefflich darüber spekulieren, ob den Arbeitgebern, die möglicherweise einen Stellenbedarf haben, dieser Entlohnungsgrundsatz nicht passt.

Das Mainzer Modell ist also nach Ihrer Auffassung kein Vehikel für Lohndumping...
Die Modellversuche sind ja durch das Bündnis für Arbeit gegangen. Und ich nehme an, dass die Auflage, nur tariflich zu entlohnen, auf das besondere Engagement der Gewerkschaften zurückzuführen ist. Aber auch die Arbeitsämter dürfen ihrerseits gar nicht in Dumpingarbeitsverhältnisse vermitteln. Arbeitgeber, die das praktizieren, arbeiten auch nicht mit dem Arbeitsamt zusammen.

Welche Erfahrungen gab es in Brandenburg mit dem Mainzer Modell?
Das Interesse der Arbeitgeber hat in Brandenburg nachgelassen, als feststand, dass sie selbst keine Hilfen beziehen können, wenn ein Arbeitnehmer Förderung nach dem Mainzer Modell erhält. Das gilt in Rheinland-Pfalz wie in Brandenburg. Da es nun in Ostdeutschland andere Subventionen gibt, die direkt an das jeweilige Unternehmen gezahlt werden, ist den Arbeitgebern das Hemd näher als der Rock. Sie müssten sich, wenn sie jemanden nach dem Mainzer Modell einstellen, gegen eine eigene Förderung entscheiden. Außerdem ist die Zahl der Bewerber, die niedrige Löhne auch ohne Subventionen akzeptieren, in Ostdeutschland viel größer als in Rheinland-Pfalz. Unter diesen Voraussetzungen konnte das Mainzer Modell in Brandenburg keinen Erfolg haben.

Das Gespräch führte Hans Thie

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