Die während der vergangenen beiden Jahrzehnte scheinbar zu politischer Bedeutungslosigkeit herab gesunkene OPEC erlebt eine weltpolitische Renaissance sondergleichen - ganz im Sinne des Mannes, der diesem supranationalen Verbund derzeit turnusmäßig vorsitzt, Venezuelas unorthodoxer Präsident Hugo Chávez. Ab 26. September Gastgeber des in der 40jährigen Geschichte der OPEC erst zweiten Gipfeltreffens der Öl-Exporteure Algerien, Indonesien, Irak, Iran, Kuwait, Libyen, Nigeria, Qatar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Venezuela - nach Caracas ergänzt durch die Neumitglieder Russland, Norwegen und Oman.
Den Ton im Öl-Club haben lange Zeit die Saudis im Verein mit ihren Golf-Nachbarn aus den Emiraten und Kuwait angegeben - politisch wie
wait angegeben - politisch wie militärisch mehr oder weniger ergebene Domestiken der USA. Diese Rolle hatte traditionell auch Venezuela gespielt, bis dort 1998 Hugo Chávez die Präsidentschaft übernahm. Zur Vorbereitung des jetzigen Gipfels besuchte er im August die erzkonservativen Patriarchen der Golfstaaten, um mit burschikosem Kasernen-Humor darüber zu scherzen, dass er noch nie auf einem Kamel geritten sei. Erkennbar besser verstand er sich allerdings mit den Staatschefs der OPEC, die in Washington nicht wohl gelitten sind: Algeriens Bouteflika, Libyens Ghaddafi, Iraks Saddam Hussein. Auch in Teheran erntete Chávez verhaltenen Beifall für seine These, es sei besser, mit den noch in der Erde lagernden Ölvorräten hauszuhalten und sie zu einem - wie es derzeit geschehe - "gerechten" Preis auf den Markt zu bringen, statt die Ressourcen schnell und billig zu verschleudern.Das nämlich käme "einem Todesurteil für unsere Länder und unsere Völker" gleich. Weshalb allen Pressionen der Industriestaaten - insbesondere denen der USA - entschlossen widerstanden werden müsse, Chávez: "Die Welt ändert sich - wir dürfen bei diesem Prozess nicht auf die Knie sinken. Deshalb brauchen wir eine neue OPEC."Wie die aussehen und was sie leisten soll, wird Chávez seinen Gästen in Caracas erläutern. Zu seinen ehrgeizigen Plänen zählt die Gründung einer OPEC-Bank zur Finanzierung entwicklungspolitischer Maßnahmen in der Dritten Welt. Oder einer OPEC-Universität zur Ausbildung junger Führungseliten in den betreffenden Staaten. Damit derartige Projekte in die Tat umgesetzt werden, hat Chávez im Vorfeld der Gipfelkonferenz dafür geworben, das ständige OPEC-Generalsekretariat - gegenwärtig eine Domäne Nigerias - solle künftig von einem Venezolaner geleitet werden: Energieminister Ali Rodriguez. Das Motiv eines solchen Manövers lässt sich besser verstehen, wird das vorherrschende politische Credo das venezolanischen Staatschefs in Betracht gezogen: Chávez will die OPEC in bester anti-imperialistischer Manier zu einem "strategischen Instrument" im Dienste der Entwicklungsländer reformieren. Die Reaktion der Gegenspieler fällt erstaunlich einfältig aus. Nachdem US-Energieminister Bill Richardson mit seiner Forderung, die OPEC solle die Förderung umgehend in einem noch nie da gewesenen Ausmaß hochtreiben, kein Gehör gefunden hatte, sieht sich die EU auf den Plan gerufen. Die für Energiefragen in der EU-Kommission zuständige Spanierin Loyola de Palacio - in ihrer Heimat vor allem für klerikal-faschistoide Neigungen bekannt - wollte (in Abstimmung mit Washington) die OPEC mit einer Klage vor die Welthandelsorganisation (WTO) zitieren. Doch es fand sich in Brüssel offenbar jemand, der sie rechtzeitig auf die Absurdität eines solchen Schrittes hinweisen konnte. Abgesehen davon, dass internationales Kartellrecht auf Staaten oder Staatengruppen nicht anwendbar ist, muss des weiteren bezweifelt werden, ob die von den USA und der EU geforderten Maßnahmen überhaupt realisierbar sind und den gewünschten Effekt erzielen lassen. Allgemein gilt als legitim, dass die OPEC-Staaten mit ihrer Preispolitik Vorteile der gerade von der WTO forcierten Handelsliberalisierung zu nutzen suchen. Für Öl-Experten steht zudem außer Zweifel, dass von allen OPEC-Mitgliedern einzig Saudi-Arabien über die nötige Infrastruktur verfügt, um die Förderung umgehend und nachhaltig ankurbeln zu können. In Ländern wie Venezuela, in denen während der vergangenen Jahre wegen drastisch gesunkener Öl-Preise bereits erschlossene Quellen stillgelegt wurden, müssten diese unter erheblichem finanziellen und technischen Aufwand erst wieder reaktiviert werden. Finanzfachleute schätzen, dass binnen kürzester Zeit real einiges mehr als eine Million Barrel täglich auf den Weltmarkt geworfen werden müsste, um das Preisgefüge tatsächlich zu drücken.Dabei ignoriert die fiebrige Anti-OPEC-Propaganda in den Industriestaaten einen Faktor nahezu vollständig: Die wenigstens ein Viertel ihres Bedarfes selbst fördernden multinationalen Öl-Konzerne und andere weltweit tätige Ölhändler, die durch gezielte Verknappung und andere Spekulationsmanöver zur Zeit Gewinnmargen von bis zu 80 Prozent einfahren. Trotz hoher Preise sinkt der Verbrauch nämlich keineswegs: Laut einer Studie der in Paris ansässigen Internationalen Energie Agentur wird der weltweite Öl-Konsum in diesem Jahr um 1,5 Prozent auf 75,8 Millionen Barrel pro Tag wachsen. So lange sich an dieser Tendenz nichts ändert, ist für den Endverbraucher aller Streit müßig, wer nun tatsächlich die entscheidenden weltweiten Öl-Preistreiber sind: die OPEC-Staaten, die Multis, der überbewertete Dollar oder die hohen Energiesteuern.Auf der anderen Seite ist klar, dass sich in den Förderstaaten viel ändern muss, wenn ein hoher Öl-Weltmarktpreis tatsächlich für realen entwicklungspolitischen Fortschritt sorgen soll. Das zeigt gerade die Lage in Venezuela, wo Hugo Chávez ein desaströses Erbe übernommen hat. Obwohl das Land seit langer Zeit der weltweit drittgrößte Öl-Exporteur ist, leben etwa 80 Prozent der 24 Millionen Venezolaner in Armut. Die Öl-Einnahmen sind bisher stets in die Taschen weniger geflossen. Als Reaktion auf den vom neuen Präsidenten angepeilten politischen Kurswechsel wurden allein 1999 etwa 4,6 Milliarden Dollar außer Landes transferiert - in erster Linie auf Konten in Miami, wo an die 150.000 Venezolaner (die sogenannten Mianeros) einen luxuriösen Lebensstil pflegen. Was freilich nur ein Indiz mehr für die These ist, dass die "Öl-Krise" nicht zuletzt die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit auf allen relevanten Ebenen aufwirft.