FREITAG: Die öffentlichen Arbeitgeber haben während der jetzigen Tarifrunde immer wieder auch mit Entlassungen im öffentlichen Dienst gedroht. Nehmen Sie das ernst?
RUDOLF HICKEL: Ich will zunächst einmal sagen, dass in diesem Tarifkonflikt die Schlichter eigentlich überfordert waren. Ver.di hat keine überzogenen Forderungen gestellt, sondern die Zuwächse der Einkommen im öffentlichen Dienst lediglich an den Abschlüssen in der industriellen Wirtschaft halten wollen. Die Gebietskörperschaften - vorzugsweise die Kommunen - drückt schwere Finanznot, denn 2003 wächst die Verschuldung um acht Milliarden Euro - übrigens im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Diese Pleite der Kommunen ist durch den Verzicht auf aktiv
zicht auf aktive Beschäftigungspolitik und steuerliche Entlastungen der Unternehmen erst so richtig ausgebrochen. Es wäre daher jetzt dringend geboten, mit einem Notprogramm den Kommunen zu helfen. Was hieße das konkret? Ich habe vorgeschlagen, dass der Bund zwei Maßnahmen sofort angeht: Ein kommunales Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro, wie das auch der Deutsche Städtetag fordert, sowie die Senkung der den Kommunen durch den Bund entzogenen Gewerbesteuerumlage. Das brächte den Städten und Gemeinden wieder Luft zum Atmen. Stattdessen sollten absurder Weise die Schlichter zunächst den Schutt wegräumen, den die Steuerpolitik des Bundes in den Kommunen hinterlassen hat - damit waren sie ihrerseits überfordert.Nun geben sich die öffentlichen Arbeitgeber überfordert und denken an Entlassungen ... Die Drohung der Arbeitgeber, es würden weitere Arbeitsplätze abgebaut und Beschäftigte entlassen, halte ich für nicht sehr tragfähig. Durch die Sparrunden der vergangenen Jahre ist soviel Personal abgebaut worden, dass mehr gar nicht ausgemustert werden kann. Ansonsten würde das Dienstleistungsangebot kollabieren. Ich halte die Drohungen für böswillig, weil nicht relevant.Sie sind unabhängig von bösem Willen aber auch das Diktat leerer Kassen. Aber die sind doch ganz entscheidend eine Folge der Steuergeschenke an die Vermögenden und die Wirtschaft - die müssen als Nutznießer endlich wieder stärker in die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen einbezogen werden. Die Einkommenszuwächse bewegen sich mit drei Prozent ohnehin an der Untergrenze. Etwa zwei Prozent gehen durch die Inflation real verloren. Ich habe viele Gespräche an der Basis geführt. Es ist einfach so, dass sich die Kaufkraft verschlechtert hat. Wird da der Riemen enger geschnallt, dann geht im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. Die Arbeitgeber zeigen doch in Wirklichkeit überhaupt kein Interesse an einer verbesserten Lage der Beschäftigten, sonst hätten sie auch einmal auf die Idee kommen können, die öffentliche Finanzlage ganz grundsätzlich ins Gespräch zu bringen. Stattdessen nutzen sie Löhne und Gehälter als Sparbüchse der Nation.Sie haben von kurzfristig wirksamen Maßnahmen gesprochen, um die Lage der Kommunen zu bessern. Wo sehen Sie langfristig Ansatzpunkte, um deren Finanzausstattung wieder tragfähige Fundamente zu geben? Die Finanzmisere hat sich einerseits natürlich durch die Konjunkturschwäche ergeben. Dazu kam die Einsparpolitik des Bundes, der vielfach Kosten der Arbeitslosigkeit auf die Kommunen abwälzt. Zugleich sind die Kommunen die Leidtragenden der vom Bund verteilten Steuergeschenke an die Vermögenden und Unternehmen. Deshalb ist die Gewerbesteuer völlig eingebrochen. Die Alternative kann nur in mehr Wirtschaftswachstum und dem Abbau der Erwerbslosigkeit durch die angesprochene öffentliche Investitionsoffensive bestehen. Zusätzlich müssen per Gesetz die Steuerausfälle korrigiert werden, damit die Kommunen wieder eine halbwegs stabile Steuerquelle haben.Eine Herausforderung für die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Reform der Kommunalfinanzen, sollte man meinen. Ganz sicher! Die jetzige Tarifrunde macht doch mehr als deutlich, wie dringend wir eine grundlegende Finanzreform brauchen. Ich plädiere dafür, dass die bisherige Gewerbeertragssteuer - das ist ja noch die letzte eigenständige Steuer der Gemeinden - durch eine kommunale Wertschöpfungssteuer ersetzt wird. Das hieße, alle Faktoren, die zur Produktion beitragen, werden besteuert. Diese Abgabe hätten nicht nur die Gewerbetreibenden zu erbringen, sondern auch Selbstständige wie Ärzte oder Rechtsanwälte. Das würde zu einer relativ konjunktur-unabhängigen Einkommensquelle für die Kommunen führen.Eine Kurskorrektur, die von der SPD im Moment kaum zu erwarten ist. Verfolgt man die jüngsten Debatten, scheint sie eher in die andere Richtung zu gehen. Die SPD beziehungsweise die Regierung agieren da zwiespältig. Einerseits wird die Notwendigkeit einer gravierenden Finanzreform betont, die Investitionskraft der Kommunen solle gestärkt werden, heißt es. Andererseits muss ich Ihnen leider zustimmen: die Steuerpolitik geht in eine total andere Richtung. Sie zielt darauf - wie man an der künftigen Besteuerung von Zinserträgen wie auch von Gewinnen aus spekulativen Veräußerungen privaten Vermögens sehen kann - einen niedrigen Abgeltungssteuersatz einzuführen. Damit wird der letzte Rest von Besteuerung nach ökonomischer Leistungsfähigkeit aufgegeben. Die Versenkung der Forderung nach einer wieder belebten Vermögensteuer durch diese Zinssteuer mit 25 Prozent ist schlichtweg Volksverdummung. Die Geldvermögensbesitzer werden nicht be-, sondern entlastet. Und die Gebietskörperschaften verlieren mehr als 4,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen - da sind auch die Kommunen kräftig dabei. Nein, wir brauchen eine radikale Umkehr der Finanzpolitik. Zukunftsfähigkeit hängt von einem starken öffentlichen Sektor ab. Der muss ordentlich finanziert werden, besonders von denen, die über hohe Vermögen und Einkommen verfügen und zugleich staatliche Leistungen beanspruchen.Vielleicht ist das Ganze doch eine recht konsistente Politik: Man fegt die öffentlichen Kassen leer, um dann später um so leichter eine Politik durchsetzen zu können, die auf manchen Papieren längst durchschimmert. Nach den vielen Sparaktionen glaube ich auch, da steckt die Strategie dahinter, den öffentlichen Sektor klein zu kochen. Die bewusst erzeugte Finanznot erhöht den Druck in Richtung weiterer Einsparrunden. Diese Schrumpfpolitik schadet am Ende allen. Investitionen in Humankapital und die ökologische Infrastruktur schrumpfen. Eine neue Bildungskrise wird programmiert. Rot-Grün konzentriert sich auf die Pflege privatwirtschaftlichen Reichtums und erhöht so die öffentliche Armut. Wir dachten, der Widerspruch zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut sei längstens überwunden. Offenbar inspiriert er heute, weit jenseits aller verblasenen Rechtfertigungen, die Politik.Das Gespräch führte Hans Thie