Wenige Jahre nach dem Mauerfall sucht Gerhard Gundermann einen alten Bekannten auf und gesteht ihm, dass er ihn als IM bespitzelt hat. Gundermann (Alexander Scheer) wirkt dabei so entschlossen wie unsicher: Was wird aus dem Bekenntnis folgen? Bruch, Ächtung? Vielleicht auch nur ein Streit? Es ist die Zeit der Gewissheiten und Enttäuschungen; die damals so betitelte Gauck-Behörde, die die Dokumente des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verwaltet, hat ihre Arbeit aufgenommen. Unzählige Anträge auf Akteneinsicht werden gestellt. Tatsächlich wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand auf Gundermanns IM-Mitarbeit gestoßen wäre. Seine Auskunftsfreude füllt viele Ordner.
Im neuen Film von Andreas Dresen steht diese Szene zieml
zene ziemlich am Anfang; sie ist eine der zentralen Stationen in einer Arbeit, die in der individuellen Geschichte des ostdeutschen Liedermachers Gerhard Gundermann auch den Rückblick auf die jüngere deutsche Geschichte gestattet: Im Wechsel zweier Zeitebenen im Leben des Protagonisten wird ein Bild biografischer wie historischer Zusammenhänge entwickelt. Was hier vielleicht etwas kompliziert klingt, gelingt in der kinematografischen Auflösung beglückend. Wohl auch weil die Person Gerhard Gundermann in ihrer Widersprüchlichkeit quasi einen Präzedenzfall darstellt.Die Kultfigur vieler Ostdeutscher war gleichzeitig Täter und Opfer: ein Spitzel, der selbst bespitzelt wurde. Gundermann flog nach dem Abitur von der Offiziershochschule Löbau, weil er eine Ehrenbezeugung verweigerte. Er war Mitglied der SED, aus der er wegen „unerwünschter eigener Meinung“ ausgeschlossen wurde. Die Staatssicherheit beendete 1984 die Zusammenarbeit mit ihm wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“. Er hatte „Schwierigkeiten, die Unwahrheit zu sagen“.Papa mit EgoDer „singende Baggerfahrer aus der Lausitz“, so das Schlagwort, war Kommunist und hasste Bonzen. „Aber“ war sein Lieblingswort. Er wollte die Welt verbessern, stand mit den Füßen im Dreck und hatte den Kopf in den Wolken. Ein Familienvater mit reichlich Ego, der immer Arbeiter blieb, auch als er schon so etwas wie ein Star war. Nach der Schicht im Braunkohletagebau ging es zum Konzert und nach dem Konzert zur Schicht, weil Gundermann nicht abhängig sein wollte von der Musikindustrie. Er starb 1998, mit gerade mal 43 Jahren.Dieses atemlos erscheinende Leben fasst Dresen in einen Zeitbogen zwischen 1975, als Gundermann von der Nationalen Volksarmee (NVA) zurück nach Hoyerswerda kommt, und 1995, als seine IM-Tätigkeit öffentlich wurde – der Film folgt diesbezüglich immer wieder der Spurensuche der Hauptfigur in der Nachwendezeit, in die Gauck-Behörde, zu seinem Führungsoffizier, in eine Zeitungsredaktion, ohne dabei Entlastungsstrategien anzubieten oder auf Betroffenheitspathos zu setzen. Vielmehr vermittelt sich, wie aus überzeugtem gesellschaftlichen Handeln Schuld erwächst – aber auch der Versuch unternommen wird, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Die Bilder aus der Arbeitswelt des Tagebaus, die Auftritte mit der Band sind mit großer Präzision und Liebe inszeniert, während der Mauerfall nicht gezeigt wird.Andreas Dresen ist vor allem ein Regisseur der Übergänge. Er war nie einer, der von der Warte eines geschichtlichen Sicherheitsabstands aus urteilt. Bei sorgfältiger Wahrung der Fakten geht es ihm nicht darum, die historische Figur exakt nachzuzeichnen. Gundermann ist vielmehr eine Annäherung. Es ist Dresens hochsensiblem und genauem Blick auf individuelle Lebenswege wie historische Zusammenhänge zu danken, dass dieser Film hinausweist über die Stasi-Aufarbeitungsgeschichte: Dies ist nicht nur Dresens erster Musikfilm, erzählt wird auch eine große Liebesgeschichte.Eingebetteter MedieninhaltDas Drehbuch stammt von Laila Stieler; es ist ihr sechster gemeinsamer Langfilm mit dem Regisseur. Die Hauptrolle spielt Alexander Scheer, und zwar kongenial; die kleinen Ticks, das ewige Zurechtrücken der großen Brille etwa, hat er als „Gundi“ quasi verinnerlicht und auch alle 18 Lieder im Film selbst eingesungen. In ihrer Wehmut evoziert allein schon die Musik eine Verlustgeschichte, die den Begriff Utopie, aber auch Heimat einschließt – es geht eben auch um die Auseinandersetzung mit einem Land, das nicht mehr existiert. In Gundermann blüht so noch einmal eine ganze Welt auf. „Ich bin ein Verlierer. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen“, sagt die Hauptfigur einmal. Irgendwann sieht man den Liedermacher, der seine Band nach dem Mauerfall bewusst Seilschaft nannte, fassungslos vor den Aktenbergen stehen, die seine Spitzeltätigkeit dokumentieren; Gundermann selbst kann nicht glauben, dass er für diese Masse verantwortlich ist – er hat das irgendwie anders in Erinnerung.Wie sich dieser Mensch zwischen eigener Erinnerung und faktischer Überlieferung, Selbstbild und Fremdwahrnehmung neu verorten muss – das ist dennoch das große Thema dieses Films, der natürlich auch eine Geschichte vom Verdrängen und Sich-Stellen erzählt. „Ich kann mich doch nicht selbst entschuldigen“, wird Gundermann am Ende sagen. Dresens neuer Film trifft auf eine Gegenwart, die Begriffe wie Ostidentität wieder aktualisiert. Gewiss erscheint Gundermann in seiner komplexen Widersprüchlichkeit heute geradezu als Sinnbild der DDR, in seiner Poesie ebenso wie in der Verbohrtheit – und im Überlebenstrotz.Placeholder infobox-1