Das ZDF

A–Z Nirgendwo sitzt das Zweite Deutsche Fernsehen derart in der ersten Reihe wie beim öffentlichen Blamieren. Unser Lexikon der Woche
Ausgabe 30/2014

A

Arbeitsplatz Der Lerchenberg ist zum Symbol für das ZDF geworden. Hier thront das Sendezentrum, hier hat auf einem Quadratkilometer das Gros der Angestellten seinen Arbeitsplatz. Das markante, 79 Meter hohe Redaktions- und Verwaltungsgebäude wurde 1974 fertiggestellt und ist weithin sichtbares Landschaftsmerkmal. Auf dem „Fernsehgarten“ genannten Freigelände wird das gleichnamige TV-Format produziert, das allsonntäglich die Frage beantwortet, wie man wohl ticken muss, wenn man hier arbeitet. Diese Anhöhe sechs Kilometer südwestlich der Mainzer Stadtmitte ist ein eigener Kosmos. Als Jubiläumssiedlung zur 2.000-Jahr-Feier der Stadt Mainz wurde der Lerchenberg gegründet, das ZDF geriet rasch zum beherrschenden Unternehmen des 6.000 Einwohner zählenden Areals. Es ist sogar im Stadtteilwappen vertreten. Eine Straßenbahnanbindung gibt es bis heute nicht – dafür aber acht Tennisplätze. Tobias Prüwer

E

Embedded Journalism Was wurde nicht alles geschimpft über den menschelnden Blick, den ZDF-Reporterin Katrin Müller-Hohenstein während der WM aus dem Hotel der Nationalmannschaft sendete. Ganz nah dran wollte das ZDF sein, und das war nur sehr schwer zu ertragen. Woran werden wir uns da erinnern? An Müller-Hohensteins Pool-Plantsch-Szene mit Lukas Podolski. Daran, wie sie jeden Interviewpartner mit ZDF-Flip-Flops beglückte, nachdem sie ihm wertvolle Informationen entlockt hatte. Zum Beispiel die, dass Hansi Flick anders als Jogger Jogi lieber Yoga macht. Oder an ihren Hinweis, dass Mats Hummels zur Behandlung seiner Grippe vielleicht einen Ingwertee bekomme. Zu Müller-Hohensteins Ehrenrettung könnte man anführen, dass sie das wohl auch nicht gern gemacht hat, weil sie lieber mit Olli Kahn zähe Dialoge geführt hätte. Viele Zuschauer wären aber dankbar, wenn in der Sportberichterstattung künftig auf Embedded Journalism verzichtet würde. Benjamin Knödler

G

Gaza-Berichterstattung Der Gaza-Konflikt gilt als besonderes Beispiel unausgewogener Berichterstattung. Viele deutsche Medien scheinen sich hier schwerzutun. Jüngst zeigte Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch in einer Kurzanalyse, wie Überschriften „semantisch Partei ergreifen“. Verzerrte Darstellung und unklare Benennung sind auch beim ZDF zu finden, ohne den Machern bewussten Antiisraelismus/Antisemitismus zu unterstellen. Aber was bedeutet es, wenn der ZDF-Nachrichtensprecher einleitend meint, die israelische „Kriegsmaschinerie“ komme wieder „in Fahrt“? Dann heißt es, dass es in Gaza kein Frühwarnsystem und Bunker gibt, als ob Israel nun Flächenbombardements durchführe. Zusammenhänge werden verklausuliert: „Eine Feuerpause am Nachmittag hält nur kurz. Dann schießt die Hamas Raketen, und Israels Armee schlägt zurück.“ Und trifft sich Schimon Peres mit dem Papst zum Friedensgebet, dann handelt es sich fürs ZDF beim israelischen Präsidenten um einen Politiker ohne wirkliche Macht. Würde man so über Gauck berichten? TP

M

Mainzelmännchen Eigentlich wünscht man sich ja Heinzelmännchen ganz gern nach Hause. Als Helferlein treten die Wichtel in Legenden auf und verrichten nützliche Heimarbeiten. Ihr ZDF-Ableger, die Mainzelmännchen, geht aber gar nicht. Als Trennung von Werbung und Programm 1963 eingeführt, stehen sie emblematisch für die Schnarchnasigkeit des Senders. Man muss sich nur ansehen, wie etwa Wikipedia die sechs Trickfilmfiguren und ihre Gartenzwergcharaktere auflistet: „der faule Anton, der fleißige Berti, der musische Conni, der schlaue Det, der schelmische Edi und das sportliche Fritzchen“. Mehrere Modernisierungswellen änderten nichts am faden Witz der Figuren. Selbst ihre Parodien in der heute-show, der einzigen Sendung, für die man das ZDF beglückwünschen kann, gehen meistens in die Hose. In diesem Sinne: „Gud’n Aaamd!“ Oder gute Nacht. TP

N

Nähe-Distanz-Problem Jeder Journalist ringt im Berufsalltag mit dem Nähe-Distanz-Problem (NDP). Man muss nah an die Personen ran, über die man berichtet, will jedoch gleichzeitig auch kritische Distanz wahren. Beim ZDF kann man das NDP in Reinform beobachten. Was passiert, wenn man sich gegen den Einfluss politischer Parteien auf die Berichterstattung wehrt, musste der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender erfahren. Seine Distanziertheit passte den CDU-Politikern im ZDF-Verwaltungsrat um Roland Koch nicht – Brender wurde abgesägt. Dagegen Udo van Kampen: Der Brüssel-Korrespondent des ZDF offenbarte sein NDP auf einer Pressekonferenz mit einem ziemlich ranschmeißerischen Geburtstagsständchen für Bundeskanzlerin Merkel. Wenigstens ist das ZDF damit in gewisser Weise seinem Bildungsauftrag nachgekommen: Genau so geht das mit der Distanz nämlich nicht. BK

O

Outsourcing Viele Starmoderatoren bessern ihre ohnehin hervorragende Bezahlung auf, indem sie eine eigene Produktionsfirma gründen. Einige Moderatoren bestehen darauf, dass ihre Sendung von der eigenen Firma produziert wird, für deren Mitarbeiter natürlich der ZDF-Tarifvertrag nicht gilt, was immerhin eine schöne Gewinnspanne sichert. Das ZDF – genauso wie übrigens die ARD – spielt mit. Also werden deren Firmen für die Produktion bezahlt, während die ZDF-eigene Technik ungenutzt auf dem Lerchenberg herumsteht und am eigenen Personal gespart wird. Wetten, dass ..? ist die letzte Sendung aus dem Talk- und Showbereich, die das ZDF noch selbst produziert. Andrea Wierich

P

Personalpolitik Auf teure Prestigeprojekte legt das ZDF Wert. Seien es die Übertragungen ausgewählter Champions-League-Spiele oder die diversen Spartenkanäle, mittels derer hochwertige Sendungen aus dem Hauptprogramm kurzerhand verbannt werden. Die Folge: Bei den Personalkosten kommt es zu Einsparungen in Millionenhöhe, spricht: Neueinstellungsstopp, immer mehr freie Mitarbeiter, keine Erhöhung ihrer Tagessätze. Ingenieure mit Berufsausbildung und Hochschulabschluss arbeiten für 100 Euro am Tag, also für einen Stundenlohn von 12,50 Euro. Gleichzeitig dürfen sie maximal 110 Tage im Jahr fürs ZDF beschäftigt sein – damit keine Anstellung eingeklagt werden kann. Perspektiven für die Mitarbeiter?! Wer kann, sucht sich einen anderen Arbeitgeber – und dem ZDF bleibt, wer vor 20 Jahren eine Festanstellung ergattert hat und seitdem an seinem Sessel klebt. Statt kreativen Windes durchweht den Sender der Behördenmief. AW

R

Rätedemokratie Es gibt ihn noch, den Fernsehrat des ZDF. Er nahm die jüngste Affäre um eine gefälschte Bestenliste zum Anlass, sich zu Wort zu melden. So gehe es nicht, wetterten vor allem Vertreter der Parteien. In den vergangenen Monaten hatten sie sich sehr zurückgehalten, weil das Bundesverfassungsgericht feststellen musste, dass der hohe Anteil der Parteipolitiker im Fernseh- und Verwaltungsrat des Senders der Verfassung widerspräche. Die Bundesländer sind seitdem aufgerufen, den Staatsvertrag des Senders zu ändern. Noch amtiert aber der alte Fernsehrat wie eh und je und winkt durch, was ihm die Intendanz vorlegt. Um so lauter wirkte nun der Protest gegen das Vergehen, eine ohnehin dumme Programmidee – Prominente über ihre Prominenz schwadronieren zu lassen – durch eine angeblich repräsentative Umfrage zu untermauern, die dann aufwendig gefälscht wurde. Der Protest kam von Mitgliedern eines Gremiums, dessen Zusammensetzung sich keiner Fälschung, sondern einer verfassungswidrigen Manipulation verdankt. Dietrich Leder

S

Satire I Erinnert sich noch einer, worum es in Lerchenberg ging, der Serie, die sich das ZDF vergangenes Jahr zum 50. schenkte? Abgesehen davon, dass Sascha Hehn den Schauspieler Sascha Hehn spielte, als Zicke und ganz casual im Wollpulli, was natürlich ein Coup war, da wir gewöhnlichen TV-Zapper ihn nur in Arztkittel und Galauniform kannten. „Lerchenberg“ war der Versuch, mit einer Serie aus dem eigenen Haus über das eigene Haus ungebremst selbstironisch zu sein. Das Ergebnis war so bräsig und erbärmlich wie die Vorgänge, die Lerchenberg beschrieb: Brünette Jungredakteurin leidet unter blonder Volontärin und der Chefin, die sich mit dem gealterten Star „beruflich ausgetauscht“ hat. Fragen Sie mich bitte nicht wie es ausging, ich habe nach Folge eins kapituliert. Christine Käppeler

Satire II Ich muss mit einem Bekenntnis beginnen: Ja, ich fand die heute-show früher lustig. Und ja, über manche Beiträge muss ich heute noch lachen. Trotzdem ist das Schauen dieser Satiresendung, auf deren Quotenerfolg das ZDF so wahnsinnig stolz ist, mit der Zeit für mich immer mehr zu einem guilty pleasure geworden. Die „heute-show“ blickt mit der Haltung eines biergetränkten Stammtischs auf die Welt: Alle Politiker sind Blödköppe; wer sich in die Öffentlichkeit wagt, ist zum Abschuss freigegeben und Häme sorgt für die besten Lacher. Aber das allein erklärt nicht das Unbehagen, schließlich teilte auch das alte Kabarett so aus. Nur hatte man bei Dieter Hildebrandt oder Georg Schramm das Gefühl, die wollen über den schnellen Lacher hinaus etwas, da gab es eine Vorstellung einer anderen Gesellschaft. Bei der heute-show ist hinter dem Lachen nur Leere. Jan Pfaff

T

Trash Seit einer Weile siecht das Fernsehen dahin – zumindest, was seine Rolle als Nachrichtendistributor betrifft. Wer schaltet, wenn er sich über das Tagesgeschehen informieren möchte, noch das TV-Gerät ein? Sogar meine Mutter schaut inzwischen das Wetter nicht mehr im Teletext nach, sondern auf wetter.com. Und wer einen Nachrichtenüberblick will, öffnet die Spiegel-Online-App. Das ZDF reagiert darauf, indem es versucht, immer unterhaltsamer zu werden. Dabei unterliegt man allerdings einem Denkfehler: Wenn schon Unterhaltungsfernsehen, dann bitte richtiger Trash! Ich habe letzte Woche die erste Folge der Bachelorette geschaut, RTL an, Gehirn aus – herrlich! Mit gutem Gewissen ertrage ich dafür endlose Werbeblöcke und freue mich, dass ich solche Sendungen nicht anderweitig mitfinanziere. Juliane Löffler

Z

Zeitgeschichte Mit dem Thema Zeitgeschichte macht das ZDF Quote, brilliert auf diesem Gebiet aber ganz und gar nicht. Drei Jahrzehnte war Guido Knopp als Redaktionsleiter für höchst vereinfachende Geschichtsdarstellungen verantwortlich und gab den Historikerhampelmann. Das publikumsgeile Histotainment zielte auf unkritische Unterhaltung statt Aufklärung. Geschichtspolitisch verantwortungslos agierte der Sender in den vergangenen Jahren mit Produktionen wie Dresden oder Unsere Mütter, unsere Väter. Mit Herz-Schmerz vor Weltkriegskulisse und revanchistischer Note rücken die Deutschen als wahre Opfer des Nationalsozialismus ins Zentrum. TP

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