Das ZDF war noch nie staatsfern

Medientagebuch Der Fall Brender oder ein ZDF-Chefredakteur soll auf Wunsch eines Ministerpräsidenten keine Vertragsverlängerung erhalten. Über die Spätfolgen einer Zangengeburt

Der 6. Dezember hätte besser gepasst als der 27. November. Der Tag des heiligen Nikolaus hätte der Abstimmung im Verwaltungsrat des ZDF über den Antrag des Intendanten, Markus Schächter, den Vertrag des Chefredakteurs Nikolaus Brender um weitere fünf Jahre zu verlängern, das richtige Umfeld geboten. Denn das konservative Lager im Gremium um ­Roland Koch sieht in Brender so etwas wie den Teufel in Fernsehgestalt. Die politische Gegenseite wiederum hat Brender zum Symbol der Rundfunkfreiheit erhoben. Dabei weiß auch Brender, wie man Strippen zieht und Allianzen schmiedet, sonst wäre er heute nicht da, wo er ist. Aber jetzt kann er zum Ausgangspunkt eines Rechtsstreits werden. In einem Offenen Brief haben 35 Staats- und Verfassungsrechtler an die konservative Mehrheit des ZDF-Verwaltungsrats appelliert, sich „nicht an der beabsichtigen staatlichen Einflussnahme auf die Wahl des Chefredakteurs“ zu ­beteiligen. Sie betonen, dass „zur ­Garantie der Staatsfreiheit“, wie sie das Grundgesetz für den Rundfunk vorsieht, „eine Begrenzung der Stimmanteile der staatlichen Vertreter in den Aufsichtsgremien als auch im Verwaltungsrat“ gehört. Tatsächlich sind ­weder der Fernseh- noch der Verwaltungsrat „staatsfern“ besetzt. Im ­Gegenteil: So delegiert die Bundesregierung, die in Sachen Rundfunk nichts zu sagen hat, weil sie Ländersache ist, Ver­treter in den Fernsehrat. Die Bundesländer bestimmen fast unisono über den Rest der Fernseh- und Verwaltungsräte; so sitzen im Verwaltungsrat vier amtierende und ein ehemaliger Ministerpräsident.

Diese Konstruktion ist eine Folge der Geburtswehen des ZDF. Konrad Adenauer schwebte Ende der fünfziger Jahre ein privatwirtschaftliches, aber staatlich gelenktes Fernsehen vor, als Konkurrenz zum existierenden, vermeintlich zu linken Deutschen Fernsehen. Dagegen zogen von der SPD regierte Bundesländer mit Erfolg vor das Bundesverfassungsgericht (BVG). Um einerseits dem Gericht Genüge zu leisten, und andererseits Adenauer nicht endgültig zu desavouieren, kam es zur Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens – einer Veranstaltung aller Bundesländer unter Beteiligung des Bundes. Der politische Formelkompromiss wurde so bis heute geltende Struktur in den Aufsichtsgremien. Gegen diese Bestimmung im Rundfunkstaatsvertrag könnten nun ein Bundesland oder ein Drittel der Abgeordneten des Deutschen Bundes Normenkontrollklage beim BVG erheben. Mit Aussicht auf ­Erfolg, das deuten die Staatsrechtslehrer in ihrem Brief an. Doch die Bundesländer haben den Staatsvertrag selbst ­abgeschlossen. Gegen sich selbst zu ­klagen: Das klingt absurd. Und viele ­Politiker, die sich Kochs Intervention ­verwehren, haben an sich nichts gegen die Präsenz der politischen Macht in den Gremien des Senders. Also ist auch hier keine Klage zu erwarten, so wie der ZDF-Intendant auf eine aussichtsreiche Klage verzichtet, weil sie ihm seine ­letzte Amtszeit verhagelte. Vermutlich bleibt deshalb alles, wie es ist. Nur hat das ZDF bald einen Chefredakteur, der sich der Gnade Kochs ­sicher ist, und ­Nikolaus Brender wird ­heilig gesprochen.


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