Debatten

Käfig Eine Erinnerung an den Kulturbund

Wie im Bilderbuch dieses erste Adventwochenende. Zuckerbäckermanier. Die kleinen Häuschen der Potsdamer Innenstadt waren mit frischem Weiß überpudert. Der Wind, der über die lange Brücke fegte, als wir vom Bahnhof zum alten Rathaus gingen, ist in den engeren Straßen kaum zu spüren. Mit einem Glas Glühwein lässt es sich zwischen Buden, geöffneten Geschäften und Weihnachtsliedern gut aushalten. Die Pause auf dem Weihnachtsmarkt mit seinem vertrauten Kitsch schiebt Bedrückendes zur Seite, kehrt sentimentale Besinnung nach außen. Wir sind ohnehin ein bisschen nostalgisch gestimmt.

Bis eben haben wir über 60 Jahre Kulturbund gesprochen. Den Anspruch dieses Zusammenschlusses von Intellektuellen, die "demokratische Erneuerung Deutschlands" mit auf den Weg bringen zu wollen, die enthusiastischen Anfänge, die besondere Situation nach dem Ende des Faschismus. Erfolge, erste Niederlagen. 60 Jahre nach seiner Gründung ist der Kulturbund Gegenstand der Wissenschaft, die in einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung minutiös darlegt, ab wann, warum, wer die Weichen stellte und wohin die Gleise dann führten.

Eine Menge Zeitzeugen sind geladen, dazu junge Leute, Wissenschaftler, Mitglieder von heute. Die Vergangenheit wird mit dem Wissen der Gegenwart beschrieben. Hätten die Kritiker von heute alles besser gemacht? Wie stand es um Vertrauen, wenn Emigranten, Johannes R. Becher zum Beispiel, auf jene trafen, die im Lande geblieben waren. Wie verständigten sie sich? Wer nahm warum welche Rolle ein? Was hieß damals demokratische Erneuerung? Wo lagen die Vorzüge einer Organisation, die den barbarischen Verwüstungen der Nazis mit Kultur begegnen wollte? Wann stieß sie an ihre Grenzen?

Zumindest in den ersten Jahren - so die Einschätzung - war der Kulturbund eine demokratische, vielleicht sogar eine pluralistische Organisation (Günther Wirth), die dem Geist in Deutschland wieder einen Platz erstritt. Es gab ein kurzes Zeitfenster, zwei Jahre vielleicht, in dem der kalte Krieg noch nicht jede grenzüberschreitende Wahrheit erstickte. Danach freilich übernahmen auf beiden Seiten der Grenze jene das Ruder, die Äußerungen nicht mehr auf den Wahrheitsgehalt, sondern nur noch auf Verwertbarkeit durch den jeweils anderen Teil überprüften (Siegfried Prokop). Kritisches konnte unter diesen Bedingungen im Osten nicht mehr gedeihen, im Westen wurde die Organisation gleich ganz verboten. Antikommunismus war ein ebenso schlechter Ratgeber wie die sinnlos übersteigerte Angst vor Bürgersinn, der im Osten zum Staatsverbrechen wurde (Dieter Schiller). In den Erinnerungen von Victor Klemperer ist nachzulesen, wie die Meinungsbildung im Kulturbund darunter litt. Aus den Impressi von Aufbau-Verlag und Sonntag wird deutlich, wie rigoros der kritische Geist aus Redaktionen und Verlagen in die Gefängnisse verbannt wurde. Und dennoch: Die Geschichte hat mehrere Seiten.

Trotz erheblicher Aderlässe durch enttäuschte Mitglieder und Absetzbewegungen Richtung Westen, immer wieder bot sich unter dem Dach des Kulturbundes auch ein Raum für die offene(re) Debatte. Oft genug bedroht, aber eben auch geführt. Selbst der unsägliche Formalismusstreit klingt im Kulturbund moderater als in der SED (Karl-Heinz Schulmeister). Die vier Gesellschaften und über vierzig Arbeitsgemeinschaften schätzten nicht nur das Dach, das der Kulturbund bot, sondern auch die möglichen Spielräume. Er war eben Käfig und Schutz zugleich. Und so dankt Ministerpräsident Platzeck im Jubiläumsschreiben für subversive Prägung.

Auf diesem Fundament steht, wer sich heute im Kulturbund engagiert. Ehrenamtlich. Es gibt nach wie vor ein großes Bedürfnis nach kulturellem Austausch, nach Debatten über Demokratie und Toleranz, über Kultur außerhalb von Kommerz. Im Osten vornehmlich, wo ganze Gruppen von Intellektuellen lange vor der Zeit aus dem gesellschaftlichen Diskussionsprozess heraus katapultiert wurden, wo Arbeitslosigkeit den Kunstgenuss erheblich eingrenzt. Der erste Kultusminister Brandenburgs und heutige Präsident des Kulturbundes in Potsdam, Hinrich Enderlein, hält es deshalb für wichtig, zu bewahren, was von den Strukturen noch vorhanden ist, die Clubeinrichtungen zu nutzen oder neu zu beleben. Man muss es tun, sagt er, solange die Erinnerung an den funktionierenden Rahmen noch lebendig ist. Agieren wider die Allmacht des Marktes, nennt es Thierse in seiner Gratulation.


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