Südafrika belegt weltweit den zweiten Platz - bei: Gewalt gegen Frauen. Überflügelt wird es in diesem traurigen Wettlauf nur von Ruanda - ein Land, das noch immer unter den Folgen des Genozids von 1994 leidet. Durchschnittlich alle 35 Sekunden - so offizielle Schätzungen - wird in Südafrika eine Frau vergewaltigt, alle sechs Tage bringt ein Lebenspartner seine Frau um. Die Polizei vermutet, daß lediglich 2,8 Prozent aller Vergewaltigungsfälle aktenkundig werden - und von 425 Vergewaltigungsprozessen führt lediglich einer zur Verurteilung des Täters.
Zwar hat Südafrika heutzutage eine der fortschrittlichsten Verfassungen der Welt. Sie garantiert jedem, Mann und Frau, ein Leben ohne Unterdrückung und Gewalt. Doch von der praktischen Umsetzung dieser Rechte ist im Alltag noch wenig zu spüren. Gewaltverbrechen sind so häufig, daß die Menschen darauf verzichten, individuelle Freiheiten zu nutzen: Sobald es dunkel ist, sind die Straßen von Johannesburg wie ausgestorben. Aus Sicherheitsgründen. Nur: Frauen können auch innerhalb der eigenen vier Wände ihres Lebens nicht sicher sein: In den allermeisten Fällen werden sie von Ehemännern, männlichen Familienangehörigen oder von Bekannten angegriffen.
Bis vor wenigen Jahren war Gewalt gegen Frauen in der südafrikanischen Öffentlichkeit noch kein Thema, da die Verbrechen des Apartheid-Regimes alle Aufmerksamkeit und politischen Anstrengungen auf sich zogen. Daß die oben genannten Zahlen inzwischen überhaupt zugänglich sind, ist dem NISAA und dem »Institute for Women's Development« zu danken, einer 1994 bei Johannesburg gegründeten Nichtregierungsorganisation.
NISAA setzt sich auf verschiedenen Ebenen Gewalt gegen Frauen entgegen: Es bietet ein Frauenhaus für mißhandelte und geschlagene Frauen und ihre Kinder, es organisiert spezielle Schulungen für Polizeibeamte und juristisches Personal. Wie wenig ernst die südafrikanische Polizei die bedrohliche Situation von Frauen nimmt, wurde 1995 deutlich, als Susan Sithole ermordet wurde - just am 25. November - seit 1981 weltweit Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen. Sithole hatte ihren Ehemann verlassen und mußte noch einmal zur gemeinsamen Wohnung zurück, wofür sie bereits Polizeischutz beantragt hatte. Sie wurde in der Wohnung erstochen, während die Polizeibeamten draußen vor der Tür warteten.
Der dritte Bereich, in dem NISAA aktiv ist, ist die Ausbildung von community counsel lors, ehrenamtlichen Beraterinnen, die Gewaltbeziehungen aufdecken und Opfer bei der Suche nach einem Ausweg unterstützen sollen. Darüber hinaus macht die Organisation politische Lobbyarbeit und öffentliche Kampagnen mit Plakaten, Postkarten und Slogans (Someone you know is abusing his wife) in Englisch, Zulu, Sotho und Afrikaans, also den vier gängigsten südafrikanischen Sprachen. Der Slogan »Real men do not beat women«, erwies sich als problematisch. Sätze, die mit solchen Konzepten »echter Mannhaftigkeit« operieren, ermöglichen es Tätern allzu leicht, das Konzept umzudrehen und zu behaupten, nur und gerade das Schlagen von Frauen stelle Mannhaftigkeit unter Beweis. Obwohl NISAA selbst und auch die Schulungen Männern grundsätzlich offenstehen, kommen doch fast ausschließlich Frauen. »Vorurteile«, sagt Sozialarbeits-Koordinatorin Fatima Shaik. »Sie denken, das seien Frauenprobleme, und die gingen sie nichts an. NISAA selbst konzentriert sich allerdings auch auf den Schutz der Frauen, nicht auf die Arbeit mit Tätern. »Das wenige Geld, das wir auftreiben können, soll Frauen zugute kommen,« begründet Shaik. Täter könnten sie gegebenenfalls auch an eine Organisation in der Township Alexandria im Norden Johannesburgs verweisen, die ausschließlich mit gewalttätigen Männern arbeitet.
Zu NISAA kommen Frauen aus dem mehrheitlich von moslemischen InderInnen bewohnten Lenasia und aus dem benachbarten Soweto. »Der Mythos, daß Oberschichtmänner ihre Frauen nicht oder weniger schlagen, hält sich hartnäckig,« beklagt Fatima Shaik. Aber die Opfer entstammen allen sozialen Schichten. Im Großraum Johannesburg existieren insgesamt fünf Frauenhäuser - zu wenig. Knapp die Hälfte der Frauen geht nach einigen Wochen zurück zu ihrem Partner. »Viele kommen dann nach ein paar Wochen oder Monaten wieder«, sagt Shaik. »Erst beim dritten Mal entscheiden sie sich in der Regel, den Kontakt zum Täter endgültig abzubrechen.«
Obwohl alle Initiativen bislang von einem kleinen Kreis von Akademikerinnen ausgehen, können die südafrikanischen Frauen auf der politisch-juristischen Ebene Erfolge vorweisen: 1997 wurde die Abtreibung legalisiert. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche wird der Abbruch in staatlichen Krankenhäusern kostenlos durchgeführt, bei medizinischer Indikation und bei Gefahr für das Leben der Mutter auch noch bis zur 24. Woche. Dieser Durchbruch, erklärt Bernadette Moffat von der staatlichen Gleichstellungskommission, sei wesentlich dem energischen Auftreten von Gesundheitsministerin Nkosazana Zuma zu verdanken, die als Ärztin früher oft selbst mit den Folgen mißglückter illegaler Abtreibungen konfrontiert gewesen sei. Zuma sorgte dafür, daß das Gesetz in nur sechs Monaten alle politischen Instanzen passierte, was großangelegte Gegenkampagnen verhinderte. Die Verfassungsklagen, die fundamentalistische protestantische Gruppen nach der Gesetzesverabschiedung anstrengten, wurden zurückgewiesen.
Am 26. November 1998 verabschiedete das Parlament eine domestic violence bill - ein Gesetz, das körperliche, aber auch psychische oder ökonomische Mißhandlungen von Frauen explizit unter Strafe stellt und vor allem auch Polizisten und Ermittler angreifbar macht, die sich weigern, eine diesbezügliche Anzeige auf- oder ernstzunehmen.
Die Frauen bei NISAA begreifen ihre Arbeit ausdrücklich als einen Beitrag zur Konsolidierung der Demokratie. »Frauen, die mißhandelt werden und in Angst leben, können sich nicht aktiv an der Umsetzung sozialer, ökonomischer, juristischer und persönlicher Gleichheit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft beteiligen«, so Fatima Shaik. »Insofern geht Gewalt gegen Frauen wirklich alle an«.
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