FREITAG: Der Berliner Landesverband der Linkspartei hat beschlossen, mit der SPD über eine erneute Koalition in der Hauptstadt zu verhandeln. Macht Sie das glücklich?
ULRICH MAURER: Das weiß ich erst, wenn die Inhalte geklärt sind. Dass Verhandlungen aufgenommen werden, heißt ja nicht zwangsläufig, dass sie auch mit einer Übereinkunft enden. Wenn unser soziales Profil in einer Koalition sichtbar gemacht werden kann, spricht nichts gegen eine Koalition - aber das ist eben die Bedingung. Ich habe den Eindruck, dass auch die Mehrheit der Berliner Mitglieder die Inhalte zum Kriterium macht und nicht für eine bedingungsloses "Weiter so" zu haben ist.
Müsste eine Parteigliederung, die in Berlin fast die Hälfte ihrer Wähler verloren hat, nicht zur Regeneration in die Opposition gehen, wie das Ihr Fraktionskollege Klaus Ernst auf dem Hannoveraner Programm-Konvent der Linkspartei und WASG gefordert hat?
Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit. Eine linke Partei darf ihre Wahlversprechen nicht brechen, wie es die anderen ständig tun. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wozu Klaus Wowereit bereit ist. Was die Linkspartei in Berlin als Bedingungen für eine Fortsetzung der Koalition formuliert hat - etwa der Einstieg in die Gemeinschaftsschule, der Stop weiterer Privatisierungen, die Förderung von Regelarbeitsverhältnissen durch die öffentliche Hand statt der Ein-Euro-Jobs -, ist die Messlatte. Wenn Wowereit dem zustimmt, kann Rot-Rot in die nächste Runde gehen. Ich warne davor, sich auf Formelkompromisse einzulassen, auf wolkige Absichtserklärungen in der Koalitionsvereinbarung, die in der Senatspraxis nicht umgesetzt werden.
Kurt Beck hat die Verluste der Linkspartei in Berlin mit dem Lafontaine-Malus erklärt - der Saarländer komme im Osten nicht an.
Das ist absurd. Lafontaine kommt vor allem mit seiner sozialen Schwerpunktsetzung im Osten sehr gut an. Andererseits ist verständlich, dass die SPD-Spitze so polemisiert: Man bekämpft eben diejenigen am heftigsten, die einem selbst am gefährlichsten werden können. Natürlich müssen die Verluste sorgfältig analysiert werden. Mir scheint es naheliegend, zunächst Fragen an die Führung des Berliner Landesverbandes zu stellen. Könnte es sein, dass man die hart Arbeitenden, die Arbeitslosen und den Osten der Stadt in der Senatspolitik und ihrer öffentlichen Darstellung zu wenig berücksichtigt hat? Und was den Wahlkampf angeht: Was der zentrale Slogan "Berlin bewegt" politisch aussagen soll, hat mir noch keiner erklären können.
Der "Spiegel" spricht von einem "roten Aufstand Ost" - die Landesverbände in den neuen Ländern rebellierten gegen Lafontaine. Tatsächlich hatte jüngst der Landesvorstand Sachsen-Anhalt einen Leitantrag zum Landesparteitag vorgelegt, der Privatisierungen befürwortet - ein Frontalangriff gegen die Linie der Bundestagsfraktion.
Das Gerede vom Aufstand Ost ist Propaganda West. Thomas Falkner, der Chefideologe der Lafontaine-Kritiker in Sachsen-Anhalt, hat die Attacke bezeichnenderweise mit einem Aufsatz in der Berliner Republik eröffnet, dem Zentralorgan der SPD-Netzwerker. Auch bei anderen Äußerungen erkenne ich die ideologische Handschrift der so genannten Modernisierer in der Tradition von Blair und Schröder. Die Thesen, die derzeit im Gegensatz zur Programmatik der Bundestagsfraktion vertreten werden, sind nicht im Osten entstanden, sondern vom Westen aus transferiert worden.
Um aus dem erwähnten Aufsatz in der Berliner Republik zu zitieren: Dort wird unter der Überschrift Die Regression des Oskar Lafontaine gegen dessen Idee gewettert, dass die Globalisierung durch staatliches Handeln sozial gestaltet werden könne und müsse. Es heißt: "Lafontaines These aus den neunziger Jahren, dass eine solche Gestaltung möglich sei, weil der wirtschaftliche Austausch vorrangig innerhalb der Triaden aus EU, USA und Japan erfolgte, erledigte sich mit dem massiven Vordringen vor allem Chinas auf die Weltmärkte." Dabei ist gerade dieser Vorgang das Resultat einer protektionistischen Politik Pekings und einer Instrumentalisierung der Währungspolitik. Das Beispiel China spricht also nicht gegen, sondern für die Möglichkeiten staatlicher Eingriffe.
Der Landesvorstand von Sachsen-Anhalt hatte in seinen Thesen behauptet, die Globalisierung sei "ein nicht umkehrbarer Prozess".
Offenbar gibt es überhaupt keine Vorstellung davon, dass dieser Begriff nur eine Umschreibung für den globalisierten Kapitalismus ist. Und das soll ein "nicht umkehrbarer Prozess" sein? Es wird so getan, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sich diesem Prozess zu unterwerfen - das sollen dann die dynamischen Erneuerer sein - oder sich gegen diesen Prozess zu stellen - das sind dann rückwärtsgewandte Fundamentalisten. Die Ablehnung der Globalisierung sei "Donquichotterie", heißt es in dem zitierten Beitrag in der Berliner Republik. Schröders Satz: "Es gibt keine Alternative, basta!" feiert seine Wiedergeburt am rechten Rand der Linkspartei.PDS.
Die Zivilgesellschaft soll die Globalisierung erträglich machen, sagen die Lafontaine-Kritiker.
Was soll das sein, die Zivilgesellschaft? Hat sie eine Adresse, eine Telefon- oder Faxnummer, an die ein Mensch sich wenden kann, dem international agierende Heuschrecken seinen Arbeitsplatz wegrationalisiert haben? Wer den Sozialstaat durch eine nebulöse Zivilgesellschaft ersetzen will, meint im Ergebnis auch nur die Privatisierung der Lebensrisiken.
In Ihrem gerade erschienenen Buch "Eiszeit"* warnen Sie vor "nationalem Nihilismus" und wünschen sich, "dass ein gutes Deutschland blühe".
Das ist eine Formulierung von Bertolt Brecht und war übrigens auch das Motto des PDS-Parteitages im Jahr 2000. Die Linke im Osten beteiligte sich immer am Ringen um eine progressive Konzeption der deutschen Nation - darin war sie mir schon immer sympathischer als viele 68er im Westen.
Progressive Konzeption - was bedeutet das?
Die in der französischen Revolution geborene Idee der Republik ist das Vorbild: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - und volle Gleichberechtigung für Immigrantenkinder, die im Land geboren sind, und für alle, die sich zu den Idealen der demokratischen Verfassung bekennen, statt eines völkischen Staatsbürgerrechts und des alltäglichen Rassismus wie hierzulande.
Aber die Entwicklung der deutschen Nation ist - leider - mit der französischen nicht vergleichbar.
Schon wahr. Für uns Deutsche gibt es keine historisch gewachsene Erfahrung nationaler Staatlichkeit, schon gar keine demokratisch errungene Staatlichkeit. Die Linke hat die geschichtliche Erfahrung mörderischer Staatlichkeit so verarbeitet, dass sie auf den Begriff der Nation geradezu reflexartig ablehnend reagiert. Das kann nicht das letzte Wort sein.
Sondern?
Die Linke muss darauf drängen, aus der deutschen Einheit endlich eine wirkliche Vereinigung zu machen und alle Relikte der Anschlusspolitik zu beseitigen. Was 1990 stattfand, war doch keine Wiedervereinigung, sondern eine Kolonialisierung, ein Beutezug von Westunternehmen und die Enteignung und Entwürdigung vieler Ostdeutscher. Zum zweiten muss die Linke thematisieren, dass die Bundesrepublik auch nach der so genannten Wiedervereinigung ihre Souveränität nur unvollständig erlangt hat. Auf ihrem Territorium sind nach wie vor fremde Truppen stationiert, obwohl diese gar keine Funktion mehr haben, da keine feindliche Macht uns bedroht. Auf deutschem Boden sind sogar Massenvernichtungswaffen gelagert - und die deutsche Staatsgewalt hat keine Kontrolle darüber. Vom Territorium der Bundesrepublik aus wurden völkerrechtswidrige Angriffskriege koordiniert, was auch beim drohenden Krieg gegen den Iran der Fall sein würde. Eine größere Absurdität, als die einer nationalen Regierung, die angeblich den Krieg gegen den Irak ablehnt, zugleich aber dessen logistische Durchführung nicht nur duldet, sondern sogar noch unterstützt, kann man sich nicht vorstellen. Das ist aber deutsche Realität. Die Bundesrepublik kann aus der US-Kriegslogik nur aussteigen, wenn sie dank einer progressiven Idee von europäischer Einigung nicht länger Vasall ist.
Das Gespräch führte Jürgen Elsässer
(*) Ulrich Maurer, Eiszeit. Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken, München 2006.
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