Wissen Sie, eigentlich träumt er davon. Er will König von Frankreich werden." Jean Burneleau, ein kleiner runder Mann mit den Händen von zehn Bauerngenerationen, sagt das, als ob es das Natürlichste wäre, was einem Politiker heute in Frankreich einfiele: König werden und die Uhr der Republik wieder zurückdrehen.
Burneleau, der Chef der Sozialisten im Département Vendée, wo die Linke nie wirklich einen Fuß auf den Boden bekam, kennt seinen Gegner, "den Grafen". Der Vicomte Philippe Le Jolis de Villiers de Saintignon herrscht über die Vendée im Westen Frankreichs wie die Schlossherren über die Bauern dieser Region zu Zeiten des "ancien régime", das hier nie alt geworden ist. Und jetzt will Philippe de Villiers - Präsident des Département-Rates, Abgeordneter der Nationalversammlung und Europa-Parlamentarier - noch mehr: Gegen Brüssel und die EU-Kommissare stürmen, zuvor aber der politischen Klasse in Paris den Garaus machen. Die Drohkulisse steht schon.
Zusammen mit dem Rechtsausleger der Gaullisten, dem langjährigen Innenminister Charles Pasqua, sind de Villiers und seine neue Sammlung für Frankreich (RPF/*) Bannerträger der "souveränistischen" Bewegung geworden. Wie ernst es den beiden ist, haben sie Mitte September bei einer Pressekonferenz in Paris zur Eröffnung der politischen Jagdsaison klargestellt. "Wir sind die eigentliche Opposition in Frankreich", erklärte Pasqua mit seinem Don-Camillo-Gesicht. "Wir bauen das politische System um", kündigte der Graf an, die Cohabitation von Jospin und Chirac habe sich wie Mehltau über das Land gelegt. Brüssel beraube die Franzosen nach und nach ihrer "Gebräuche, Traditionen und ihrer politischen Freiheit". 12.000 Mitglieder soll der RPF schon haben, meist Überläufer aus dem krisengeschüttelten gaullistischen RPR oder dem Front National (FN). Für Mitte November ist der erste Parteitag angesetzt. Dass die Sammlung für Frankreich ein außerordentlich ernster Gegner werden kann, wissen die Gaullisten. Einstige linke Intellektuelle wie der Historiker und frühere Regierungssprecher der Sozialisten, Max Gallo, empfehlen inzwischen den RPF als "einzige authentische Partei des Gaullismus" - ein Zeichen für den möglichen Gezeitenwechsel bei der Rechten. Auch Innenminister Chevènement liebäugelte mit dem Gedanken, zumindest bei den Europawahlen vom 13. Juni gemeinsam mit den "Souveränisten" anzutreten. Damals hat das Duo Pasqua/de Villiers die Gaullisten samt ihrem Präsidenten Chirac deklassiert. Aus dem Stand überholten die "Souveränisten" mit 13,1 Prozent der Stimmen die offizielle gaullistische Liste (s. Übersicht). Es sei eine "unglaubliche Dummheit" gewesen, Charles Pasqua einfach ziehen zu lassen, stöhnen heute die Gaullisten. Über Philippe de Villiers schweigen sie lieber.
Steinerne Kreuze ragen am Rand der Feldwege in den Himmel, noch jedes Dorf hat seinen Burgherren, und auf dem Mont des Alouettes, unweit von de Villiers Gut, dreht sich unermüdlich die Mühle. Während der "Vendée-Kriege" gab sie den royalistischen Truppen je nach Stellung Signale im Kampf gegen die Revolutionäre von 1789. Hinter der Mühle wiederum steht ein Gedenkstein, errichtet 1993 zum 200. Jahr der "Schrecken der Revolution". Eingemeißelt ist der letzte Satz Ludwigs XVI., der seinen Kopf lassen musste: "Ich verzeihe von ganzem Herzen jenen, die sich zu meinen Feinden gemacht haben." - Hier spiegelt sich jenes Kapitel der blutgetränkten Vendée-Geschichte, das Philippe de Villiers am Herzen liegt. Damals rebellierten die Bauern der Region gegen Paris, angeführt von den Adligen und unterstützt von den Geistlichen ihrer Gemeinden, die sich weigerten, den Eid auf die Republik zu schwören.
"Für de Villiers gibt es sie immer noch, die 'Blauen' und die 'Weißen', also die Revolutionäre und die Getreuen des Königshauses der Bourbonen", meint Jean Burneleau, der Sozialist in La Roche-sur-Yon, der Hauptstadt der Vendée. Zwar wird auch in den kleinen Gemeinden mittlerweile der 14. Juli - der Sturm auf die Bastille - als Nationalfeiertag begangen, und über dem Eingang der meisten Rathäuser hängt neben der französischen Fahne und dem neuen stilisierten Wappen der Vendée - zwei Herzen als Sinnbild der Eintracht zwischen Bauern und Adel - die blaue Fahne der EU, doch der Graf aus der Vendée insistiert: "Es gibt keine europäische Nation und kein europäisches Volk, das Europa des Euro ist eine totalitäre Verrücktheit" - und die Verurteilung Frankreichs durch den Europarat wegen der Verhörmethoden seiner Polizei sei eine "kosmische Unverschämtheit". De Villiers ist ein emotionaler Politiker: "Wir lieben das Frankreich der Familie, der Ordnung, der Sicherheit und des bürgerlichen Friedens." - Sein "Souveränismus", dieses Ideen-Konglomerat, das die absolute Unabhängigkeit Frankreichs von EU-Vorschriften, Einwanderungsströmen und US-gesteuerter Globalisierung beschwört, beschränkt sich in Wirklichkeit auf das Département.
Er sei einfach gegen alles, was sich außerhalb der lokalen Geschichte und seines Machtbereichs abspiele, erklärt Bernard Violain, Sekretär der Kommunistischen Partei in der Vendée. Er findet dafür eine brillante Formel: "Für de Villiers sagt der Boden die Wahrheit" - "Pour de Villiers la terre ne ment pas". Ein Revisionist sei er, sagen die Kritiker des Grafen, einer, der die Geschichte der Region wenn nicht umgeschrieben, dann doch verkürzt hat auf ihren antirepublikanischen Gehalt. Die Suggestion scheint zu gelingen. An jedem Wochenende während des Sommers treten an die 2.000 Vendée-Bewohner in historischen Kostümen an und spielen nach einer Idee von de Villiers in einem Musik- und Feuerwerkspektakel vor der Ruine des Schlosses Puy du Fou: die Vendée kämpft gegen ausländische Invasoren und die staatliche Obrigkeit. Seit nunmehr 20 Jahren schwingen dabei ganze Familien zum Vergnügen der Touristen Mistgabeln und stürmen feindliche Stellungen. "Für Gott und König" heißt die Losung, und alles Schlechte kommt von außen. Die Statisten bewegen sich zur Musik vom Band und ahmen Gesten nach, die ihnen der de Villiersche Text vorgibt. Alle dilettieren ehrenamtlich, und der Graf streicht die Tantiemen für sein Stück ein. "Die Menschen hier können nicht allein zu ihrer Geschichte finden", erklärt Jean-Marie Delahaye, der hemdsärmelige Manager des eingetragenen Vereins von Puy-du-Fou, den alle nur Jean-Marie nennen, denn jeder darf die Mächtigen in der Vendée duzen. "Jemand muss da sein, um sie zu erhöhen."
"Guten Abend, ich heiße Philippe de Villiers", sagt Philippe de Villiers, "und jetzt hauen Sie hier ab!" Der Vicomte ist nicht amüsiert. "Ich kann die Presse nicht ausstehen, ich kann die ganze Politik nicht ausstehen." - De Villiers ist ein kleiner Mann mit Hornbrille, die er bei seinen Reden nie trägt, und einer ausgebeulten Windjacke. Und jetzt wird er wirklich wütend. Marschiert im Kreis vor dem Eingang zur Tribüne seines Spektakels, droht wie ein trotziger Junge, dass er nun sofort wieder nach Hause gehe, weil der Abend verdorben sei, lässt sich beruhigen und lädt zum Champagner nach dem Schauspiel ein, schimpft nochmals auf die "linke Presse", die sich jenseits der Realität bewege, und macht schließlich ein großes Kruzifix-Zeichen mit seiner rechten Hand: "Das ist es doch, was Sie sehen wollen, nicht wahr?" Eine Anspielung auf die tägliche Politsatire eines Fernsehkanals. De Villiers tritt dort seit Jahren als Puppe auf mit seiner hohen nasalierenden Stimme, einen enormen kardinalroten Ringer am Finger und einer Narrenkappe auf dem Kopf. Der "Souveränist" ist ein zutiefst gekränkter Autokrat - und Puy du Fou das Innerste, die Essenz seines politischen Denkens. "Das Spektakel ersetzt die Politik", wirft die Opposition dem Grafen vor, und tatsächlich ist das Spektakel Politik in der Vendée. De Villiers lehnt jede Liaison zwischen dem Historienspektakel und seinem Feldzug gegen das "föderalistische Europa" ab, gleichzeitig aber weist er stolz auf die jährlich mittlerweile eine Million Besucher hin, die zum Puy du Fou pilgern. Sie haben seine Botschaft verstanden.
Der Graf weiß eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Es gibt keine politische Ecke in Frankreichs rechtem Lager, die der heute 56jährige ausgelassen hätte: weder die rechtsextreme katholische Intelligenzia während der Studienzeit, noch die Bürgerlich-Liberalen während der Präsidentschaft von Giscard d'Estaing (**), noch die "jungen Wilden" der Gaullisten in den Achtzigern. Er war Staatssekretär im Kulturministerium und ging im Streit, er trat als einsamer Ritter bei den Präsidentschaftswahlen an und ging mit fliegenden Fahnen unter. In früheren Zeiten, als er leidlicher war, kamen auch schon einmal Yves Montand und André Glucksmann, der Philosoph, zum Dîner auf das Gut de Villiers.
Heute habe "der Graf" die Vendée zu einem Laboratorium für allerlei rechtsextreme Gruppen gemacht, behauptet der Sozialist Burneleau und deutet aus dem Fenster. Auf der anderen Seite der Straße liegt das Büro der Scouts de France, der katholisch-rechtsextremen Pfadfinderorganisation, die bevorzugt in der Vendée ihre Camps unterhält.
Parteiamt und öffentliches Mandat sind in der Vendée des Philippe de Villiers nicht getrennt. Wer versucht, Kontakt mit seiner Partei aufzunehmen, landet immer irgendwo beim Département-Rat, einen Parteisitz gibt es nicht. "Das ist nicht nötig bei uns", wird dem Besucher erklärt, "Philippe de Villiers ist eben sehr populär hier". Dafür sorgen nicht zuletzt auch seine Brüder: Emanuel leitet Musikschauspiel und angrenzenden "Erlebnispark" von Puy-du-Fou, Bertrand das meistgehörte Privatradio der Region - Radio Alouette, vor Jahren ein katholischer Moralsender des Grafen, heute ein kommerzielles Musikradio. Bertrand de Villiers ist zugleich Ratsmitglied im Département, wo sein Bruder die Abgeordneten nicht wie üblich nach politischen Fraktionen sitzen lässt, sondern nach den Wahlkreisen des Départements. Auch dies Ausdruck des feudalen Herrschaftsstils in der Vendée.
Ein Mitarbeiter der Handelskammer im Département, der vor einigen Jahren auf de Villiers Druck hin auf die Veröffentlichung einer Biografie des Grafen verzichten musste, ist nun wieder kontaktiert worden. Der Autokrat wittert seine große Stunde.
(*) Rassemblement pour la France (**) Amtszeit 1974-1981.
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