Das deprimierende Bild vom kleinen Häufchen Besorgter beim fruchtlosen Protest gegen die jüngste Hinrichtung muss korrigiert werden: Eine klare Mehrheit der Amerikaner ist noch immer für Beibehaltung dieser Institution der staatlichen Macht, aber die Zweifel und Proteste mehren sich, vor allem, weil so viele Unschuldige zum Tod verurteilt werden. Deren Horror-Stories verändern die politische Diskussion. Es geht jetzt weniger um Todesstrafe Ja oder Nein, und mehr um die praktische Frage: Funktioniert das System, kann es funktionieren?
Seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 sind in den USA 643 Menschen hingerichtet und 87 Todeshäftlinge als unschuldig freigelassen worden. Nach einer neuen Untersuchung von Forschern der Columbia Universität (New York) ist das gesamte amerikanische Todesstrafenwesen von Fehlern durchsetzt. Bei etwa zwei Dritteln der 4.578 Todesurteile, die zwischen 1973 und 1995 verhängt und von Berufungsgerichten geprüft worden seien, hätten die Richter schwerwiegende Rechtsfehler gefunden. Die Männer und Frauen in Schwarz seien aber wohl nicht auf alle gestoßen (siehe www.thejusticeproject.org).
Laut Meinungsforschungsinstitut Gallup sind jetzt 66 Prozent der Amerikaner für die Todesstrafe - 80 Prozent waren es noch 1994. Die neue Skepsis schafft Freiraum für die Gouverneure, die über die Urteilsvollstreckung entscheiden und Gnade walten lassen können. Clinton hatte 1992 - damals Gouverneur von Arkansas - während des Präsidentschaftswahlkampfes Hinrichtungsbefehle unterschrieben, um seine Härte zu beweisen. Der texanische Gouverneur und Präsidentschaftskandidat George W. Bush schob dagegen die Hinrichtung eines wegen Sexualmordes Verurteilten um 30 Tage auf, um die Schuldfrage durch einen neuen DNS-Test klären zu lassen, und um (als "Konservativer mit Mitgefühl") sein "Mitgefühl" unter Beweis zu stellen.
Parris Glendening - Gouverneur von Maryland und Demokrat mit nationalen Ambitionen - hat Anfang Juni einen mutmaßlichen Raubmörder zu lebenslänglich begnadigt. Er glaube, dass Eugene Corbin-el den ihm zur Last gelegten Mord begangen habe, erklärte Glendening. Aber er sei sich nicht absolut sicher, und bei der Todesstrafe gälten besondere Maßstäbe. Der Gouverneur von Virginia hat eine neue DNS-Untersuchung für den angeblichen Sexualmörder Earl Washington angeordnet. Das Todesurteil war bereits 1994 in lebenslänglich umgewandelt worden. Washingtons Unschuldsbeteuerungen veranlassten ihn aber, Tests anzuordnen, erklärte Gouverneur Jim Gilmore. In New Hampshire beschloss die Legislative vor kurzem, die Todesstrafe abzuschaffen. Gouverneurin Jeanne Shaheen hat die Vorlage jedoch per Veto zu Fall gebracht.
Illinois verhängte im Januar ein Hinrichtungsmoratorium, weil im Bundesstaat 13 Unschuldige zum Tod verurteilt worden waren. Eine Spritze in den Arm für Journalisten mit beruflichen Selbstzweifeln: Das Moratorium ist auch dank einer detaillierten Enthüllungsserie der Tageszeitung Chicago Tribune zustande gekommen, dass die Verteidiger bei Todesstrafenfällen oft katastrophal schlecht seien, und Staatsanwalt und Polizei nicht immer die reine Wahrheit suchten.
Am Pfingstwochenende hat die Tribune
über die Todesmaschine in Texas geschrieben: Dutzende Todeshäftlinge seien dort in den vergangenen Jahren trotz vieler Verfahrensfehler, Unregelmäßigkeiten und möglicher Irrtümer hingerichtet worden. Verteidiger vom einem Drittel der 131 unter Bush Hingerichteten seien vor oder nach dem Todesstrafenprozess vom Anwaltsverband suspendiert, ausgestoßen oder getadelt worden. In 22 Fällen habe der Verteidiger bei der Verhandlung über das Strafmaß keine Zeugen oder Gutachter gerufen. 23 Angeklagte seien mit Hilfe der fragwürdigen Aussagen von Mithäftlingen zum Tod verurteilt worden. So bleibt es in "mehreren Fällen" nach wie vor ungeklärt, ob die Hingerichteten wirklich schuldig gewesen sind.
Noch lässt sich nicht beweisen, dass manche der in den USA Vergifteten, Vergasten, Gehenkten und mit Strom Getöteten unschuldig waren. Und die Justizbehörden hoffen wohl, dass das so bleibt: In Virginia hat die Justiz vor mehreren Wochen das DNS-Material zum Fall des 1997 hingerichteten Joseph O'Dell vernichtet. Für O'Dell hatten sich seinerzeit Aktivisten auf der ganzen Welt eingesetzt. Die DNS-Analyse hätte vielleicht seine Unschuld bewiesen.
Im Februar hob ein Gericht in Tennessee das Todesurteil gegen den Afro-Amerikaner Ed Johnson auf - 94 Jahre zu spät. Johnson war wegen Vergewaltigung einer Weißen verurteilt worden. Das Oberste US-Gericht wollte sich dann mit dem Fall befassen: Die weißen Bürger von Tennessee aber hatten keine Geduld. Sie lynchten Johnson im Beisein des Sheriffs.
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