Der Gratismut der Blogger

Medienkritik Es tönt immer gut, wenn kritische Journalisten "Schweigen" einfordern, vielleicht zu gut. Eine Nachbetrachtung zum Selbstmord von Robert Enke

Immer wieder ist es so: Zuerst regen sich alle auf, um sich gleich darauf darüber aufzuregen, dass sich alle so aufgeregt haben. Im Fall von Robert Enke lagen diese Reflexe einmal mehr besonders nah zusammen. Als sein Selbstmord bekannt wurde, war die Betroffenheit groß. Dann breitete sie sich sogar noch aus, ergriff nicht nur die Fußballfans, denen er ein vertrauter Charakter war, sondern auch Menschen, die zuvor kaum seinen Namen gekannt hatten, selbst solche, die sich gar nicht für Fußball interessieren. Ist die Trauer der letztgenannten nun weniger wert als die der Fans? Ist die der Fans weniger authentisch als die der Angehörigen?

Im großen Maßstab spielte sich ab, was bei vielen Beerdigungen alltäglich ist: es wird taxiert. Wer trauert richtig – waren die Tränen von Bierhoff auf der Pressekonferenz wirklich echt? Wie ­trauert man richtig – hätte sich Löw nicht früher äußern müssen? Und wo trauert man richtig – in der Kirche, auf der Straße, im Stadion oder doch besser allein vorm Fernseher? Und wie paradox ist es, dass einer, der seine Krankheit vor der Öffentlichkeit verbergen zu ­müssen glaubte, nun von Millionen ­betrauert wird?

Erstaunlicherweise wird in den üblichen Stufenmodellen der Trauerforschung diese Phase nie erwähnt: Die ­Beschäftigung mit der Trauer der anderen. Eine angenehm entlastende Tätigkeit: Man ist dem eigenen Gefühl nicht mehr so ausgeliefert und gewinnt ein Stück Kontrolle zurück über eine Situa­tion, die den einzelnen doch irgendwie überfordert. Man weiß selbst kaum, ­warum ­einen der Selbstmord eines ­Fußballers so erschüttert. Wissen es die anderen?

Überfülle an klugen Gedanken

Wer Antworten auf all diese Fragen in den Blogs sucht, dem idealen Medium des Reagierens, trifft dort interessanterweise immer wieder auf eine Geste: die der Ablehnung. Abgelehnt wird meist pauschal alles, was „in den Medien“ geschrieben und gesendet wurde, es wird für ungenügend und überflüssig erklärt, während man anmahnt, über was eigentlich hätte geschrieben werden müssen. Oder auch Schweigen einfordert. Das Schweigen der anderen?

Sicher, die Berichterstattung über ein Ereignis wie dieses lässt sich nicht vorausplanen und sorgfältig abwägen, weshalb sich die Schwachstellen des Medienbetriebs deutlich offenbaren. Wie dünn bestimmte Redaktionen besetzt sind, das wirkt sich durchaus auf die geistige „Dünnheit“ dessen aus, was da in aller Eile produziert wurde. Aber über alle Fehlleistungen und Schnellschüsse hinweg zeigte sich in der Berichterstattung über Robert Enke auch etwas Neues und Positives: Wo andere „Glamour-Tote“ meist zu tragischen Einzelfällen, zu hysterischen Schicksalen erklärt werden, die man als solche leichter ein- und wegordnen kann, setzte sich hier der erkennbare Wille durch, den Fall als Anstoß zum Innehalten und Nachdenken zu nehmen, nicht über einen Einzelnen und seine Verstrickungen, sondern über, ja, „uns alle“, das Drumherum und das große Ganze.

Man kann es nämlich auch so sehen: Es sind in der Folge von Robert Enkes Tod eine Menge, geradezu eine Überfülle an klugen Gedanken geäußert worden – über den modernen Fußballbetrieb und seine Unmenschlichkeiten, über die Leistungsgesellschaft und ihre krankmachenden Mechanismen, über das Phänomen der Depression und den schwierigen Umgang damit. Das Internet bewährt sich hier einmal nicht nur als das Medium mit der schnellsten Nachricht, sondern als das mit dem am besten zugänglichen Archiv: Es lohnt sich, der Aufregung weiter nachzugehen und mit Abstand noch mal nachzulesen, was sich die Leute da von der Seele geschrieben haben. Allemal besser, als sich mit der Schweinegrippe zu beschäftigen.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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