Peter Urban ist nicht schwul. Das ist keine Nachricht? Für diesen Text schon, ausnahmsweise. Denn es soll hier um Schwule gehen und um die Frage, warum sie so große Fans des Eurovision Song Contests (ESC) sind. Ist ja schließlich auch ein Gender-Thema. Und Peter Urban, der seit 1997 mit nur einer Unterbrechung alle Übertragungen der Veranstaltung für den NDR kommentiert hat, ist ein großer ESC-Fan. Doch zu ihm später. Der ESC, für die Nicht-Fans kurz zur Erinnerung, ist dieses Spektakel, bei dem Europa und Umgebung einmal im Jahr in den Gesangs-Wettstreit treten, mit Ethno-Trommeln, Glitzer-Kostümen und viel Brimborium.
Na, da haben wir’s schon, ist ja logisch, dass Schwule auf so was abfahren. Für Hetero-Männer ist das Glamour-Trara eher eine fremde Welt, mit Ausnahme von Peter Urban: Ausgerechnet dieser Live-Reporter mit den originellen Kommentaren zu den ESC-Ländern und -Sängern, der sofort weiß, wer 1963 den 4. Platz machte und wann Belgien gewann, ausgerechnet dieser ESC-Experte hat Frau und Kinder. Aber vielleicht sind seine Kommentare ja deshalb so ironisch und manchmal bissig – womöglich hat er als Hetero eben eine innere Distanz zu dem Spektakel?
"I'm free" oder so was
Warum haben Schwule die nicht? Weil es um Show und Glamour geht? Glänzende Oberflächen-Phänomene faszinieren Schwule doch, weil sie auch oft eine Show spielen müssen in einem diskriminierenden Umfeld. Oder weil der ESC eine Bühne ist für Außenseiter, die sich durchsetzen? Hier dürfen Andere anders sein – eine perfekte Identifikationsfolie. Oder weil Schwule sich nach befreienden Gesten sehnen wie die der Diva? Diese ist vielleicht etwas fülliger und hat sich als Teenager gegen Hänseleien behaupten müssen. Nun steht sie selbstbewusst auf der Bühne, reißt die Arme hoch und ruft der Welt den entscheidenden Refrain zu: „I‘m free“ oder so was.
Es gibt zahlreiche Erklärungsansätze für die ESC-Begeisterung von Schwulen. Das tiefenpsychologische Kausal-Futter dafür ist mitunter so üppig wie manch aufgeplusterte ESC-Garderobe. Nur ist das alles Unsinn. Die Schwulen, die sich überhaupt nicht für den ESC inte-ressieren und die nicht zur Party mit ESC-Karaoke gehen, gibt es natürlich auch. Sie sind gegenüber dem schwulen ESC-Block wahrscheinlich sogar in der großen Mehrheit, wie bei den Heteros eben auch. Nur der Unterschied ist: Diese Schwulen nimmt man nicht wahr. Weil sie eben nicht zur Party mit ESC-Karaoke gehen und weil sie kein Wort über den ESC verlieren.
Pathos kann auch anderen gefallen
Man nennt das selektive Wahrnehmung. Unabhängig davon, dass Schwule tatsächlich diskriminiert werden und es in der Welt viele unterdrückte Schwule gibt, die sich nach Freiheit sehnen. Aber Refrains mit Pathos auf glitzernden Bühnen können Lesben und Heteros genauso gefallen, unabhängig vom Unterdrückungsgrad. Und es gibt etliche Schwule, die am 18. Mai lieber Freunde treffen oder einen Film sehen oder ins Restaurant gehen, als den ESC zu schauen.
Im Fokus sind aber die, die in unsere sorgfältig beschrifteten Schubladen passen oder die unsere Weltbilder zumindest nicht groß stören. Weltbilder, die wir Schwulen genauso pflegen wie unsere Hetero-Mitmenschen. Schwule hören oft von Heteros Sätze wie: Ach, der ist schwul?! Genauso hört man aber auch umgekehrt von Schwulen: Ach, Peter Urban ist nicht schwul?! Solche Aussagen sagen wenig aus über Peter Urban oder über Schwule, aber viel über die Klischees in den Köpfen von Homos und Heteros.
Giuseppe Pitronaci arbeitet als freier Journalist in Berlin und legt dort als DJ Peppino auch gern italienische Schlager auf.
Kommentare 10
Der ESC [...] ist dieses Spektakel, bei dem Europa und Umgebung einmal im Jahr in den Gesangs-Wettstreit treten
Die ... Darbietungen beim ESC als "Gesang" aufzufassen, das hat schon was ... Selbstzerstörerisches^^ Von daher glaube ich, dass der "schwule Block" unter den ESC-Fans sich genau so wie der Hetero-Block unter den ESC-Fans aus Personen generiert, die außerstande sind, zu hören, was sie da eigentlich hören und auf das Bass-Gewummere einfach mit Zappelei reagieren. Mit anderen Worten: Die Frage der sexuellen Disposition ist für diese Art von "Genuß" irrelevant, es reicht völlig, musikalisch geschmack- und/oder ahnungslos zu sein^^
"(...) Warum fahren ausgerechnet Schwule so auf den Eurovision Song Contest ab? Oder ist das nur selektive Wahrnehmung? ..."
Ich bin schwul, stehe überhaupt nicht auf "Euro-Pop" und "ESC", lasse "solche Musik" niemals in meinen CD-Player und akzeptiere aber völlig, wenn Schwule, Lesben, Heteros usw. ihre Party anläßlich des "ESC" feiern.
Ob ironisch, bierernst oder irgend etwas dazwischen, es kümmert mich nicht, weil ich die Musik so "schrottig" finde, dass ich darüber noch nicht einmal lachen kann. Ich stehe auf schwarze US-Musik, Jazz und Klassik.
Bin ich, in der schwul-lesbischen Community, mit meiner Songcontest-Abstinenz, eine Ausnahme? Ich glaube nicht, nur werden die etwas hysterisch-euphorischeren "Jünger des schlechten Musikgeschmacks" :-) wohl einfach stärker wahrgenommen, siehe auch hier:
https://www.freitag.de/autoren/kallewirsch/und-jaehrlich-gruesst-die-schreckensparade-1
https://www.freitag.de/autoren/kallewirsch/und-jaehrlich-gruesst-die-schreckensparade-2
https://www.freitag.de/autoren/kallewirsch/und-jaehrlich-gruesst-die-schreckensparade-3
https://www.freitag.de/autoren/frank-r/wo-man-singt
Ich wünsche allen Euro-Pop-Anhängern, genug Alkohol, Koks oder sonstige Drogen, um sich die Musik schrecklich-schön zu saufen, zu schnupfen oder zu rauchen ... :-)))
Gruß
Knüppel
|| Nur der Unterschied ist: Diese Schwulen nimmt man nicht wahr. (...) Man nennt das selektive Wahrnehmung. ||
So is dat. Vielen Dank für die Klarstellung.
. Menschen, die keine starken Emotionen haben, behelfen sich u.U. mit Selbstironie ,Klamauk und viel,viel Sentimentalität. Deshalb mögen sie Schlager, Royals ,Euro Songcontests usw. Es handelt sich um die Kompensation einer emotionalen NICHT-Differenziertheit, die sich ja nicht nur auf die geschl. Identität bezieht. Auch der Unterschied zwischen Beliebigkeit und Freiheit oder zwischen Hauptsachen und (schönsten) Nebensachen u.Ä. ist für die Beteffenden nicht klar.
Nach dem 12. "Sängju-vor-de-grät-schouw", mit oder ohne Hut, mit oder ohne Schminke... war mir auch übel.
Wer ist denn eigentlich die vielbeschworene und zitierte schwullesbische Community. Bin ich automatisch ein Bestandteil diesee Community wenn ich homosexuell bin. Nein. Und bei Peter Urban interessiert mich auch nicht mit wem er wieviele Kinder hat und wie er sexuell empfindet, sondern dass er herrlich ironische Kommentare vom Stapel lässt.
Spannend ist das Psychogramm, dass ich gratis bekomme. Basierend auf ser Tatsache, dass ich viel Freude am ESC habe wird mir Hysterie und emotionale Undiffereziertheit attestiert. Herrlich. Und alles Schwulen sind Tunten und alles Heteromänner Vergewaltiger. Ich nehme das mal so ernst wie den ESC.
Beim Niggemeier las ich das letztes Jahr irgendwie anders: Der ESC gehöre zur schwulen Leitkultur oder so. Der ist ja ein paar Mal mit seinem jungen Freund Heinser extra dorthin gefahren und hat witzige Video-Drehs ins Internet gestellt.
Dieses Jahr ließ er uns mit seiner ESC-Manie in Ruhe, weil sein Heinser für den NDR jobbte.
Dafür beglückt er uns ab Juni mit Texten für die neue Sendung Tagestraum von und mit Friedrich Küppersbusch auf WDR und Youtube. Der Spiegel hat sich zu Ende Mai von ihm getrennt.
Schwule Leitkultur? Macht euer Ding unter Euch, aber lasst euch nicht als politische Opferanoden gebrauchen! Minderheiten haben kein recht auf Leitkultur auch wenn die Mehrheit schweigt.
Niemand hat ein Recht auf Leitkultur. Leitkultur an sich ist zutiefst undemokratisch und dazu noch unsinnig.
Und irgendwo in seinem Leben ist jeder Mensch Anghöriger einer Minderheit.
Sicher, dass er Leitkultur geschrieben hat?