Der Maler mit der Kamera

Ausstellung Der 150. Geburtstag steht bevor und den "Schrei" kennt sowieso jeder: Die Frankfurter Schirn zeigt das Schaffen des Malers Edvard Munch unter dem Einfluss moderner Medien

Edvard Munchs Werke waren zuletzt in Paris im Centre Pompidou zu sehen (fast 500.000 Besucher) jetzt sind sie in Frankfurt und danach in London (Tate Modern) ausgestellt. Munchs 150. Geburtstag naht. Da beschleicht einen leicht das Gefühl eines Déjà-vu. Gibt es etwas Neues zu entdecken beim Maler der Schrei, des Kuss und anderer weltberühmter Darstellungen von Seelen, die am Abgrund taumeln?

Die Frankfurter Ausstellung belegt, dass es immerhin eine andere Seite von Munch zu entdecken gibt. Die chronologisch aufgebaute Ausstellung konfrontiert Munch nicht mit den anderen Heroen der klassischen Moderne, sie zeigt den Künstler Munch mit dem anderen Blick.

Dieser Blick hat zu tun mit seiner frühen Beschäftigung mit modernen Medien wie Fotografie, Film und Theater. Viele von Munchs Bildern zehren vom perspektivischen Blick des Fotografen, von Blickachsen also, die sich im Weiten verlieren. Ob bei den Mädchen auf der Brücke (1902) oder der Allee im Schneegestöber (1925) – die Straßen enden im Ungefähren, während die Figuren im Vordergrund so nah erscheinen wie mit dem Weitwinkelobjektiv aufgenommen.

Max Reinhardts Theater

Eine dem Verfahren der Fotografie nahestehende Eigenart von Munchs Werk ist die Wiederholung. Viele Motive hat er immer wieder gemalt – etwa Das kranke Kind oder Eifersucht. Die Gründe dafür waren oft trivialer, kommerzieller Natur: Es gab einen Markt dafür. Bei einem Motiv wie dem kranken Kind war es Munchs eigene Erinnerung an den qualvollen Tod seiner Schwester, die den zeitlebens mit sich selbst beschäftigten Maler sozusagen unter Wiederholungszwang setzte.

Munch beschäftigte sich nicht nur mit Fotografie und Film, sondern auch mit dem modernen Theater sowie mit der Theaterarbeit Max Reinhardts in Berlin. Von dieser Auseinandersetzung mit der Intimität von Kammerspielen beeinflusst sind Bilder von beklemmend-theatralischen Interieurs wie Die Mörderin (1907) oder Zum Süßen Mädel (1907), wo Figuren aus der Perspektive des Theaterbesuchers dargestellt werden.

Mit der technisch ziemlich anspruchslosen Amateurkamera der Firma Eastman (Bull’s Eye Kodak Nr. 2) fotografierte Munch zunächst fast nur seinen eigenen Kopf mit ausgestreckten Armen aus allen möglichen Winkeln – etwa so, wie sich heute viele Menschen mit dem Handy selbst fotografieren. In der Ausstellung sind rund 50 Originalabzüge mit diesen Selbstporträts zu sehen, aber auch Fotos von Modellen und von Munchs Ateliers. Viele Fotos von unterschiedlicher Schärfe sind erstmals zu besichtigen. Munch bediente sich der Fotos nicht als direkte Vorlagen für seine Bilder, sondern vielmehr zur Schärfung seines Blicks – also als „experimentelle Werkzeuge“, wie Angela Lampe und Clément Chéroux, die Kuratoren der Ausstellung – im Katalog darlegen.

Im Gegensatz zu den Fotos, die einen in sich gekehrten, aber vitalen Mann darstellen, dokumentieren die herausragenden Selbstporträts, die Munch nach 1908 malte und zeichnete (insgesamt über 100) eine rigorose Auseinandersetzung mit sich selbst, seinem Altern und seiner Vergänglichkeit, ja Morbidität. Ein halbes Dutzend dieser Selbstporträts, die so etwas wie eine „visuelle Autobiografie“ (Angela Lampe) repräsentieren, krönt die die gelungene Ausstellung.

Edvard Munch. Der moderne Blick Schirn Frankfurt/M. Bis 13. Mai., Katalog 39.80

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