Der Mythos des Niemandslands

FILMHAUS BERLIN Nach fast 20jähriger Planung wird diese Woche das Filmmuseum eröffnet - zwar noch an der einst geplanten Stelle und doch an einem ganz neuen Ort

»Ich habe mit 15 ›King Kong‹ gesehen und bin seither ein anderer«, schildert Ray Harryhausen sein Initiationserlebnis in das Reich des Kinos. Er wurde einer der einflussreichsten Animatoren der Filmgeschichte. Dass ein Film ein Leben verändern kann, davon wissen nicht nur Cineasten zu berichten. Für alle, die das Kino lieben oder sich auch nur dafür interessieren, gibt es nun eine neue Kultstätte: das Filmmuseum Berlin. Den Animationen des Ray Harryhausen ist hier ein eigener Raum gewidmet. In weiteren 14 Räumen der Dauerausstellung liegt der Schwerpunkt auf der deutschen Filmgeschichte. Aus Anlass der Eröffnung ein Interview mit Hans Helmut Prinzler, dem Leiter des Filmmuseums.

FREITAG: Die Pläne für ein Filmmuseum in Berlin haben sich nach fast 20 Jahren endlich erfüllt. Was war die Phase der größten Enttäuschungen während dieser Wartezeit?

PRINZLER: Merkwürdigerweise überwiegen trotz dieser unglaublich langen Zeit des Nachdenkens und Hoffens und Umplanens eigentlich die positiven Gefühle. Die enttäuschendste Phase lag wahrscheinlich zwischen 1987 und 1989, weil das Projekt, das Museum im ehemaligen Esplanade unterzubringen, nicht vorwärts ging. Das Gelände mit Resten des alten Hotels war 1983/84 noch vom damaligen Kultursenator Volker Hassemer ausgeguckt worden. Es fand ein Architektenwettbewerb statt, bei dem der sehr schöne Plan von Herman Hertzberger gewann. Dann gab es einen langen Streit über Bauträger und Finanzierung - das war ja auch damals keine paradiesisch andere Zeit für solche Einrichtungen. Das zog sich lange hin zwischen Bund und Land, es gab Störfeuer von der FDP, die damals noch einen gewissen Einfluss hatte. Als wir 1987 in Resten des Esplanade die Ausstellung Film...Stadt...Kino... Berlin einrichteten, war das auch als Zeichen der Hoffnung gedacht - sogar Billy Wilder kam damals nach Berlin. Alles war nah an der Mauer, in einer so genannten Randlage, aber für uns auch ein Ort von Zukunft. Heute kann ich aber sagen: es war vielleicht ein Glücksfall, dass doch nicht gebaut wurde. Wie sich der Potsdamer Platz jetzt entwickelt hat, wäre ein relativ flacher Bau ziemlich anachronistisch. Aus der Perspektive des Jahres 2000 ist der neue Entwurf von Helmut Jahn ein hochinteressantes neues Gebäude, noch dazu mittendrin.

Worin hätte sich ein Filmmuseum vor der Wende vom heutigen inhaltlich unterschieden?

Wir haben unsere Ausstellungen ja immer ein wenig gemacht wie Generalproben: Das Filmmuseum im Esplanade wäre eine Weiterentwicklung von Film...Stadt...Kino...Berlin geworden. Der Anteil der technischen Geräte stand damals konzeptionell sehr im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Das haben wir jetzt ganz stark reduziert, auch deswegen, weil ganz in der Nähe das Technikmuseum eine neue, sehr schöne Abteilung zur Entwicklung der Filmtechnik hat. Also setze ich doch jetzt darauf, dass das dort wahrgenommen werden kann, und es entlastet mich, weil ich das hier nicht mehr ausführlich darstellen muss.

Es wäre auch eine ganz andere Art von Inszenierung geworden, weil wird damals noch nicht mit Hans Dieter Schaal kooperierten, mit dem wir 1995 im Gropius-Bau die Ausstellung Kino*Movie*Cinema gemacht haben. Ein ganz wunderbarer Architekt, der filminteressiert und -verrückt ist und über enorme Kenntnisse verfügt. Man muss sich also nicht mit einem Ausstellungsmacher auseinandersetzen, der sich nur als Transporteur versteht. Einen solchen Partner zu haben, ist wichtig, da die Inszenierung für ein Filmmuseum ein ganz wesentlicher Bestandteil ist. Ein dritter Punkt ist die Nähe zum Filmmuseum Potsdam. Ich finde die sehr produktiv. Viele Dinge werden dort sehr kompetent ausgestellt, vor allem, was die DEFA-Geschichte und Babelsberg angeht.

Die Verpflichtung gegenüber dem Land Berlin, ein Filmhaus zu errichten, wird dem Hausherrn Sony doch zunächst als ein Oktroy erschienen sein. Sieht er nun den Prestigegewinn?

Das wissen die vielleicht noch gar nicht so genau, weil sie noch nicht abschätzen können, was für eine Ausstrahlung das Filmhaus für den Sony-Komplex haben wird. Sie wissen im Prinzip, was wir machen werden. Zwischendurch haben wir immer wieder Pläne unterbreitet, die selbstverständlich mit international bekannten Namen transportiert werden müssen. Der Erwerb des Marlene-Dietrich-Nachlasses 1992/93 ist ein Faustpfand von ganz enormem Wert für die Präsentation.

Investor Sony konnte das Haus als geldwerte Leistung errichten und deshalb den Kaufpreis für das Areal um diese Leistung vermindern. Zugleich war auch klar: Das Haus ist vermietet, hier müssen sie sich nicht um künftige Nutzung kümmern. Es ist ja gar nicht so einfach, große Gebäude an potente Konzerne zu vermieten. Insofern waren wir hier wohl von Anfang an gut gelitten. Einige von uns erhoffte Leistungen sind nicht erfolgt, weil es zwischen Berlin und Sony gewisse Reibungspunkte gab. Das hat z.B. mit der Verkehrsanbindung zu tun, weshalb Sony auf das Land mit Recht sauer ist, weil sich die Zeitabläufe verzögert haben.

Was macht diesen Platz, der die eigene Geschichte zudeckt und vor allem in die Zukunft drängt - dies auch in seiner Architektur und seinen Angeboten darstellen will-, interessant für ein Museum, das Filmgeschichte vergegenwärtigt?

Ich finde es spannend, im Hinblick auf die Zukunft an die Geschichte zu erinnern, klar zu machen, dass hier in dieser Stadt, an diesem Ort im 20. Jahrhundert viel im Film passiert ist. Dafür haben wir eine ganze Menge an Spuren gesichert, die wir weitgehend in politisch-historische Zusammenhänge stellen. Wir versuchen, die Filmgeschichte vor diesem Hintergrund zu ordnen, denn dadurch entstehen Kontexte, die uns sensibilisieren für Gegenwart und Zukunft.

Für mich persönlich sind noch weitere Aspekte wichtig. Erst einmal hat der Potsdamer Platz als Mythos ja durchaus einen Klang. Es gibt zwar keine reale historische Präsenz mehr, die ist flachgebügelt worden. Außer dem Esplanade, das zur Zeit in einer Vitrine ausgestellt wird - man muss sehen, ob das noch belebt wird -, wurde nichts rekonstruiert. Aber er hat historische Bedeutung, denn er war ein Niemandsland zwischen Ost und West, weil das hier aufeinandergeprallt ist. Innerhalb Berlins ist er ein Bereich, in dem der Neubeginn richtig zum Ausdruck kommt.

Anderswo operiert man am Mythos Friedrichstrasse oder Prenzlauer Berg, man fragt sich, ob Westbezirke wie Charlottenburg, Spandau oder Tiergarten nicht an Bedeutung verlieren. Interessant ist, dass dieser Platz zwischen Ost und West nicht wirklich besetzt ist, er lässt sich nicht so unmittelbar mit der jeweiligen Geschichte der letzten 40 Jahre verknüpfen. Um zu begreifen, dass das, was hier entsteht, Ausdruck von Kapitalismus ist, muss man allerdings nur aus dem Fenster blicken.

Gleichzeitig ist der Film nun in die Nachbarschaft der traditionellen Künste gerückt: Philharmonie, Nationalgalerie, Gropius-Bau liegen gleich nebenan. Steckt darin auch eine Aufwertung des Kinos?

Das gehört zum geographischen Vorteil, dass es neben dem Kommerz schon eine starke kulturelle Präsenz gibt. Wie konkret sich das in Projekten auswirken wird, muss man noch sehen. Ein zusätzlich wichtiger Aspekt ist natürlich, dass der Platz stark durch Tourismus geprägt ist, also auch ein internationales Terrain geworden ist. Dadurch, dass Sony eine solche Dominanz hat, zieht er neben Touristen auch Geschäftsleute an. Darauf reagieren wir, in dem wir das Museum zweisprachig ausgestattet haben.

In der Ausstellung sind die klassischen Themen der »Stiftung Deutsche Kinemathek« vertreten: Filmexil, Architektur. Was für ein Publikum erhoffen Sie sich im Filmmuseum Berlin?

Neugierige Menschen, die ein bisschen aufgeschlossen sind. Sicher werden sehr viele Besucher ganz voraussetzungslos kommen, ohne Geschichtskenntnisse. Auf die wollen wir durch die Art der Präsentation reagieren, durch eine Inszenierung, die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Dauerausstellung ist keine traditionelle Vitrinenausstellung, es gibt immer wieder optische Überraschungen, auch für diejenigen, die an inhaltlichen Dokumenten nicht so interessiert sind. Bei dem Gang durch die Geschichte soll deren Interesse wachgehalten werden. Es wird zehn Multimedia-Stationen geben, denn die heutigen, computergenierten Spezialeffekte lassen sich nicht mehr als Requisit darstellen, die muss man interaktiv am Bildschirm nachvollziehen. Gleichzeitig wollten wir nicht unendlich viele solcher Stationen, denn es wäre gefährlich, eine Spielwiese zu machen.

Das ist ein heikler Balanceakt, denn auf der anderen Seite wollen wir auch denen etwas bieten, die filmhistorisch interessiert sind. Die können in der Ausstellung, nicht nur in unseren Sammlungen, noch eine Menge entdecken: kleine, wunderschöne, vertiefende Dinge. Für die Anderen muss es genügend Opulenz und Überraschung geben. Deshalb auch die Unterteilung in zwei Bereiche. Einmal gibt es den Komplex Berlin- Hollywood-Deutschland. Vom Kino der Weimarer Republik, das weitgehend Berliner Filmgeschichte ist, gibt es Blicke und Gänge nach Hollywood, zunächst in den zwanziger Jahren, dann ins Exil. Dann gibt es ein Kapitel geteilter deutscher Filmgeschichte. Dies letztere ist sehr verknappt, das wird sicher einer der umstrittenen Räume, weil wir hier 50 Jahre sehr konzentrieren. Das war notwendig, damit ein zweiter Ausstellungsteil, die Künstlichen Welten, wo sich der Film für die Mythen und die Technik öffnet, genug Platz findet.

Im Vorwort des Katalogs verweisen Sie zum Nachkriegsfilm etwas defensiv auf spätere Sonderausstellungen.

Das ist in der Tat defensiv formuliert, denn ich bin Autor just dieses problematischen Raums, den ich mit Felix Moeller konzipiert und entwickelt habe. Das war eine schwierige Geschichte: wie verknappt man das, wo man doch für die anderen 50 Jahre viel mehr Raum in Anspruch genommen hat? Die letzten 50 Jahre sind so heterogen, so kompliziert verlaufen. Selbst wenn wir keinen zweiten Schwerpunkt hätten, wäre manches halt auch ärmlich ausgefallen. Selbstverständlich ist der Autorenfilm wichtig gewesen, aber was ist davon zu vermitteln? Natürlich spielen Fassbinder, Wenders und Schlöndorff eine Rolle, aber die Regisseure der letzten 50 Jahre kommen immer nur im Zusammenhang mit den Schauspielern vor. Die Sonderausstellungen werden eine andere Art der Präsentation sein. Wir planen, punktuell die Produktionsgeschichte der Stadt aufzuarbeiten, anhand von bestimmten Personen und Firmen. Zur Geschichte von Basis-Film ist viel Material da. Das ist schwer auszustellen, ist spröde Zielgruppenarbeit.

Wird der Dokumentarfilm in der Dauerausstellung repräsentiert sein?

Nein, leider nicht. Ich fühle mich dem Dokumentarfilm sehr nahe. Aber in einer solchen Ausstellung ist er sehr schwer zu vermitteln, denn unser Konzept basiert ganz stark auf dem Zusammenspiel zwischen Schauspielern und Regisseuren, den Mythen also, die auch die Popularität des Films ausmachen. Das Experimentelle und Dokumentarische wäre innerhalb dieses Kontextes ein Fremdkörper, hätte es genauso schwer, wie es der Dokumentarfilm ja auch im Markt hat. Da müsste man ganz anders ansetzen. Wie kann man beispielsweise den technischen und ästhetischen Sprung vermitteln, den der Dokumentarfilm zwischen 1950 und 1970 gemacht hat? Natürlich könnte man das dokumentieren, in dem man eine alte 35mm-Kamera neben eine handliche 16mm-Ausrüstung stellt. Aber um das in einer bestimmten Didaktik zu vermitteln, brauchte man einen eigenen Raum - und das ist das Knappeste, was man überhaupt hat. Die Ausstellung erzählt nichts über den italienischen oder französischen Film, nichts über Kurosawa. Leider. Da wird man Sonderausstellungen machen. Aber wir müssen von unseren Sammlungen ausgehen. Und von dem, was man dann darstellen kann.

Das Gespräch führte Gerhard Midding

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