Der letzte geldpolitische Kraftakt seiner Amtszeit hat dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, einiges an Kritik eingebracht. Zinserhöhungen sind in weite Ferne gerückt, und damit auch die lang ersehnte Rückkehr von Zinsen aufs Sparbuch. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann äußerte sich noch relativ verhalten: Die EZB sei mit dieser Mehrheitsentscheidung „über das Ziel hinausgeschossen“. Der Ökonom Hans-Werner Sinn hingegen warf Draghi eine Verschärfung des Handelskonflikts mit den USA vor; die Süddeutsche urteilte, Draghi habe sich „verrannt“, und die Bild verunglimpfte ihn als „Graf Draghila“, der „unsere Konten“ leersauge.
Tatsächlich ist auch die jüngste geldpolitische Lockerung eine angemessene Reaktion auf die schwächere Weltkonjunktur und die konjunkturelle Abkühlung im Euroraum. Die Federal Reserve hat die Zinsen in den vergangenen Monaten sogar zweimal gesenkt, obwohl die US-Wirtschaft konjunkturell deutlich besser dasteht.
Für den Euroraum kommt die Abschwächung zu einer Zeit, da die EZB noch mit den Folgen der zweiten Krise zu kämpfen hat, die hier nahtlos an die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 anschloss: Vertrauenskrise, wirtschaftlicher Einbruch und Austeritätspolitik hatten zur Folge, dass die EZB es seit Jahren nicht schafft, ihr Inflationsziel von knapp 2 Prozent zu erreichen. Zwar gelang es 2015, durch den negativen Einlagenzins und massive Wertpapierkäufe die Gefahr der Deflation zu bannen, aber seither verharrt die Kerninflation hartnäckig nahe 1 Prozent.
Die EZB kann das Ausgabeverhalten der privaten Haushalte und Unternehmen nur indirekt über das Zinsniveau beeinflussen. Bei hoher Unsicherheit und bereits sehr niedrigem Zinsniveau sind direkte Investitionen des Staates wirksamer. Das leuchtet nicht nur theoretisch ein, sondern wurde in den vergangenen Jahren auch durch zahlreiche empirische Studien belegt. Staatliche Investitionen hätten neben der kurzfristig stabilisierenden Wirkung auch langfristig positive Effekte, wenn dadurch der Strukturwandel hin zur Klimaneutralität und die Modernisierung der Infrastruktur vorangetrieben würden.
Auf dem Höhepunkt der Krise verkündete EZB-Präsident Draghi, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten, „and believe me, it will be enough“. Damit verhinderte er den Zusammenbruch des Euroraums und fordert seither zu Recht auch einen Beitrag der Fiskalpolitik zur Stabilisierung. Die Hauptverantwortung für die lange anhaltende Nullzinsphase liegt tatsächlich nicht bei der EZB, sondern bei der Fiskalpolitik, und speziell jener Deutschlands. Der deutsche Staat hat in guter Absicht eine Schuldenbremse eingeführt und erzielt seit 2013 Budgetüberschüsse. Das aber hat zur Folge, dass in Deutschland gegenwärtig alle Sektoren – private Haushalte, Unternehmen und der Staat – mehr sparen als ausgeben.
Defizitexportweltmeister
Zugleich exportiert Deutschland sein Nachfragedefizit ins Ausland und trägt mit einem Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2018) zu den aktuellen Handelskonflikten bei. Die EZB kann dieses Problem nicht lösen, da Zinssenkungen zwangsläufig den Euro schwächen. Es liegt in der Hand der Bundesregierung, mittels staatlicher Investitionen die Bedingungen für ein Ende der Niedrigzinspolitik zu schaffen und zugleich den Handelskonflikt zu entschärfen.
Der Euroraum insgesamt benötigt ein Budget, mit dem fiskalische Impulse gesetzt werden. Ebenso wichtig ist aber, dass der Schaden repariert wird, der durch die Einführung von staatlichen Schuldenschnitten als wirtschaftspolitischem Instrument angerichtet wurde. Will die EU auf der Weltbühne eine Rolle spielen, so muss das auch der Euro tun. Das setzt voraus, dass die Staatsanleihen im Euroraum als sichere Wertpapiere angesehen werden. Mehrere Vorschläge für diese Reparatur liegen auf dem Tisch.
Der Euroraum als Kernstück der EU ist mehr als nur eine wirtschaftliche Zweckgemeinschaft. Im Interesse aller, die im Euroraum arbeiten, investieren, konsumieren, sparen oder gerade heranwachsen, ist es höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre Hausaufgaben macht.
Kommentare 7
So, so "Das aber hat zur Folge, dass in Deutschland gegenwärtig alle Sektoren – private Haushalte, Unternehmen und der Staat – mehr sparen als ausgeben"!?
Wie geht das denn? Da "sparen" nur dann volkswirtschaftlich neutral sein kann, wenn jemand im selben umfang wie gesprat wird, schulden macht, heisst sparen, ohne dass jenmand schulden macht schlicht, dass die wirtschaft schrumpft - in genau dem umfang, in dem vermeindlich gespart wird. Das wäre nur dann anders, wenn der schuldner im ausland sitzt, und genau das siganlisieren die exportüberschüsse! D-land spart also auf kosten anderer, die sich verschulden (müssen).
Allerdings ist " mehr sparen als ausgeben" dann immer noch kvac. Mensch kann zwar mehr "einnehmen" als ausgeben, aber mehr "sparen" als ausgeben geht nicht, weil "sparen" per definition der überschuss über die einnahmen ist. Es ist also die folge von weniger ausgeben - allerdings nur für die schwäbische hausfrau, volkswirtschaften können nicht "sparen", wenn sie weniger ausgeben, sondern nur schrumpfen (s.o.).
Kennen Sie diese Nachrichten nicht? »Die Negativzinsen sind die deutsche Rentenkasse 2018 teuer zu stehen gekommen. Rund 54 Millionen Euro verlor die Rentenversicherung im vergangenen Jahr. Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler zu "Bild"-Zeitung: „Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank kostet die Rentner inzwischen also Millionen.“«
Auch andere Sozialversicherungen und staatliche Fonds sind betroffen: Der Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung fuhr 2018 einen Verlust von 9,2 Millionen Euro ein. Der Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung machte ein Minus von sechs Millionen Euro. Insgesamt zahlte der Bund auf alle Fonds und Sondervermögen seit 2014 Negativzinsen von 125,6 Mio. Euro.
85 Millionen Lebensversicherungen haben die Deutschen aktuell abgeschlossen. Auf ihre Spareinlagen erhalten sie so gut wie keine Erträge mehr, weil die EZB die Finanzmärkte mit Billionenbeträgen päppelt.
Und nicht nur das: Laut Gerichtsurteil vom 27. Juni 2018 ist es unter gewissen Umständen zulässig, dass Banken Strafzinsen auf Riester-Verträge verlangen. Entschieden hat dies das Landgericht Tübingen. In dem Verfahren ging es um den Riester-Sparplan “Vorsorge Plus” der Kreissparkasse Tübingen, der zwischen 2002 und 2015 vertrieben wurde. »Eine unangemessene Benachteiligung von Verbrauchern sah das Landgericht nicht. Zwar sei der Grundzins inzwischen negativ geworden, jedoch habe der von der Sparkasse zusätzlich gewährte Bonuszins verhindert, dass Kunden für ihre Sparverträge hätten draufzahlen müssen.«
Na wunderbar – alles paletti.
»Tatsächlich ist auch die jüngste geldpolitische Lockerung eine angemessene Reaktion auf die schwächere Weltkonjunktur und die konjunkturelle Abkühlung im Euroraum.«
Das ist Ihr Täuschungsversuch. In Wahrheit geht es darum, den giftigen Müll, die faulen Kredite der Finanzwirtschaft zu kompensieren. Dafür gibt Herr Draghi Monopoly-Geld aus, das zum größeren Teil (ganz wie gehabt) für die Zockerei verwendet wird und keinen Mehrwert erschafft.
»Die Federal Reserve hat die Zinsen in den vergangenen Monaten sogar zweimal gesenkt, obwohl die US-Wirtschaft konjunkturell deutlich besser dasteht.«
Dass die Federal Reserve ihre Null-Zins-Politik – ganz anders als die EZB – beizeiten aufgab und zu einem Zins-Niveau von 2 bis 2,5 Prozent zurückgekehrt war, kein Wort dazu von Ihnen.
Warum verschweigen Sie uns das alles?
Die sogenannte Finanzkrise, die in Wirklichkeit ein Geschäftsmodell und ein gigantisches Betrugsinstrument von Bankstern war, hat die Menschen weltweit ein gigantisches Vermögen gekostet – und vernichtet Geld in einem unvorstellbaren Ausmaß. Nach einer Studie der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) lösten sich weltweit Vermögen im Wert von 50 Billionen Dollar – 39,4 Billionen Euro – auf
"Quantitative Easing" (QE). Konkret bedeutet dies: Die Zentralbanker vermehren nochmals die Geldmenge, indem sie Banken und Großinvestoren in gigantischem Ausmaß Staatsanleihen abkaufen. Dahinter steht das Kalkül, dass die Investoren das Geld, das sie von der EZB bekommen, in riskantere Wertpapiere wie Aktien oder Unternehmensanleihen stecken. Dadurch soll der Wirtschaft frisches Kapital zufließen, was schließlich in reale Investitionen und neue Jobs münden soll.
Darüber hinaus hat die EZB im Juni 2016 begonnen, auch Unternehmensanleihen aufzukaufen, d. h. sie hilft Großunternehmen, deren Schuldner nicht zahlen können, die fehlenden Gelder aufzustocken und animiert sie auf diese Weise, zusätzliche Risiken einzugehen oder ihr Geld für Aktienrückkäufe zu verwenden, um so die Manager-Boni noch weiter in die Höhe zu treiben. Zudem verfälscht sie auf diese Weise die ohnehin exzessiv manipulierten Aktien- und Anleihenmärkte noch weiter.
Die Finanzelite, die das Geld zum größten Teil nicht etwa investiert, sondern in die Spekulation an den Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkten steckt, zahlt für das ihr zur Verfügung gestellte Geld keinen Cent Zinsen mehr.
Und es handelt sich in Wahrheit um Monopolygeld, dem kein realer Wert gegenübersteht, der u. a. aber erneut zu Immobilienblasen und zu Mietwucherpreisen führt.
In wessen Diensten stehen Sie eigentlich.
Soeben lese ich:
»Vierter deutscher Rücktritt in der EZB. Der verschärfte Krisenmodus der Zentralbank dürfte auch die Kritik von Sabine Lautenschläger im Direktorium verschärft haben, die nun den Hut nimmt…
Sabine Lautenschläger war eine erklärte Gegnerin der Draghi-Geldpolitik, der offensichtlich weiter versuchen will, mit der Notenpresse Probleme zu lösen. Statt die Geldschwemme zurückzufahren, wird der Krisenmodus von der EZB nun sogar wieder verschärft, wo doch angeblich gar keine Krise herrscht und nach ihrer Ansicht nicht einmal eine Rezession im Euroraum drohe.
Über die genauen Gründe für den Rücktritt aus dem sechsköpfigen Direktorium von Lautenschläger wird wild spekuliert. Mit der 55-jährigen verliert das EZB-Direktorium jedenfalls die einzige Frau und das einzige deutsche Mitglied. Wahrlich sind diese Rücktritte nicht neu in der Draghi-Ära. Zunächst trat Axel Weber ab, dessen Kritik an der Draghi-Politik ebenfalls bekannt war. Noch im gleichen Jahr trat auch Jürgen Stark angesichts der Geldpolitik ab und 2014 nahm auch Jörg Asmussen vorzeitig seinen Hut, allerdings war der Mann der SPD eher ein Verfechter der Draghi-Politik.«
Nur gut, dass wenigstens Italien nicht unter Draghi zu leiden hat.
Allerdings täte ich die Person Draghi nicht so in den Vordergrund stellen. Die EU ist ein Zusammenschluss von kapitalistischen Staaten zum Zwecke profitabler Kapitalverwertung. Personelle Besetzung von Hierarchiespitzen entspricht dem: es ist völlig logisch, dass der EZB-Häuptling von einer Investmentbank kommt und nicht etwa jemand ist, der sich mit "Gemeinwohlökonomie" beschäftigt.
Die Sicht auf die Geldpolitik der EZB scheint mir hier doch sehr einseitig zu sein. Immerhin profitieren private Kreditnehmer von niedrigen Kreditzinsen. Und auch der deutsche Staat profitierte davon in den vergangenen Jahren kn Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages, der umgelegt auf die Bevölkerung ein recht erkleckliches Sümmchen ausmacht. Und Herr Draghi hat immer wieder gefordert, dass die Politik ihren Beitrag in Form von höheren Ausgaben und Investitionen leisten müsse, um die Niedrigzinsphase beenden zu können. Doch dieser Beitrag blieb bisher aus. Stattdessen wird die "schwarze Null" angebetet. Die Staaten sollen "sparen", die Verbraucher sparen und die Nettoinvestitionen der Unternehmen sind äußerst sparsam. Nun sollte aber jedes Kind wissen, dass Sparzinsen nur dann gezahlt werden können, wenn entsprechende Kredite aufgenommen und im besten Fall durch realwirtschaftliche Einkünfte abbezahlt werden.
Leidergottes glauben immer noch zu viele, dass Sparzinsen dadurch entstehen, dass gespartes Geld die Schüppe in die Hand nimmt und für den Sparer arbeitet. Die gleichen Gläubigen sind auch fest davon überzeugt, dass, wenn alle Länder nur fleißig und sparsam genug sind, alle Länder auch Exportüberschüsse erzielen können!
"Über die genauen Gründe für den Rücktritt aus dem sechsköpfigen Direktorium von Lautenschläger wird wild spekuliert."
ja, und sie wurde in den medien als kämpferin für "die enteigneten deutschen sparer" aufgebaut. daher spekuliere ich persönlich mal wild, dass sie für eine volksnahe finanzpolitische oppositionsrolle vorgesehen ist, um der quantitive-easing-politik einen anschein von demokratischer debatte an die seite zu stellen.