FREITAG: Sie können nicht mehr für die Duma kandidieren, Ihre als sozialdemokratisch geltende Republikanische Partei ist aufgelöst und Direktkandidaten sind nicht zugelassen. Gehen Sie wählen?
WLADIMIR RYSCHKOW: Ich weiß es nicht. Die Wahlen sind ja nicht mehr frei: Wichtige Politiker dürfen nicht antreten, Parteien wurden aufgelöst, und der Kreml unterhält ein Dutzend Internetseiten, auf denen er Lügen über die Opposition verbreitet. Weil nur noch die Listen der Parteien gelten, wird es eine Wahl ohne Politiker. Derzeit beobachte ich, wie sich Jabloko und die Union der Rechten Kräfte im Wahlkampf halten - danach werde ich entscheiden, ob ich abstimme.
Warum gibt es Ihre Partei nicht mehr?
Wir wurden populärer und versammelten gute Leute, dann aber kam ein neues Wahlgesetz, danach muss eine Partei mindestens 50.000 Mitglieder haben. Wir zählten 63.000, aber die Behörden meinten, es wären nicht mehr als 42.000. Wir boten an, die Listen abzugleichen. Man lehnte ab. Nun klagen wir vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Gesetz hat dazu geführt, dass sich keine neue Partei mehr etablieren kann: weder eine Grüne noch eine der Soldatenmütter.
Woran liegt es, dass sich westlich orientierte Parteien in Russland so schwer tun?
Uns wird alles angelastet, was in den neunziger Jahren schlecht gelaufen ist. Und was der Kreml nicht schafft, schaffen wir selbst: Wir sind viel zu zersplittert und zerstritten. Vor allem Grigori Jawlinski, der Chef von Jabloko, legt sich quer. Der Union der Rechten Kräfte wirft er vor, korrupt zu sein, und uns streitet er das Existenzrecht ab. Bei den Duma-Wahlen vor vier Jahren traten noch 53 Parteien an - jetzt 15. Und die sind schwach oder vom Kreml gesteuert wie Gerechtes Russland.
Aber es gibt doch Parteien, die keine Geschöpfe des Kreml sind und durchaus Präsenz zeigen wie die Kommunisten oder die Liberaldemokraten.
Schirinowskis Liberaldemokraten waren dem Kreml immer hörig. Sie sind keine Opposition. Auch die Kommunisten nicht: All ihre antiwestliche Rhetorik und ihr Programm wie die Forderung nach einer Staatskontrolle über die Wirtschaft - das ist doch längst Kreml-Politik.
Weshalb lehnt Wladimir Putin ein liberaleres Gesellschaftsmodell ab?
Er hat 1996 erlebt, wie sein politischer Ziehvater Anatoli Sobtschak bei der Wahl zum Bürgermeister von Sankt Petersburg scheiterte. Putin hatte an Sobtschak geglaubt - die Bürger aber nicht. Als dann 2004 die Orange Revolution in Kiew ausbrach, entschied er, die Zivilgesellschaft strenger zu beobachten. Putin ist der Typ des klassischen Autokraten, der sich weder von Mubarak in Ägypten noch von Musharraf in Pakistan groß unterscheidet.
Der Präsident tritt nicht auf Wahlkundgebungen auf. Ist er so mächtig, dass er für seine Politik nicht kämpfen muss?
Er hat das nicht nötig, er kontrolliert das Fernsehen, die Bürokratie, das Parlament, die Gerichte und große Unternehmen.
Behindert der Kreml andere Parteien, im Fernsehen für sich zu werben?
Die Kandidaten sind doch alle Freunde des Kreml. Natürlich kann jeder im Fernsehen offen sprechen, doch selbst Jabloko-Chef Grigori Jawlinski greift Putin bei dieser Gelegenheit nicht an. Dessen Partei wohl, die Regierung aber nicht. Mit den Kommunisten ist es dasselbe: Die reiben sich an kleinen Themen, nicht aber an der großen Linie.
Rechnen Sie mit einem regulären Wahlverlauf?
Nein, schon weil Putin und seine Partei eine Wahlbeteiligung von über 60 Prozent propagieren und ein Ergebnis erwarten, das noch höher ist. Selbst wenn sie alles kontrollieren könnten, wäre das unmöglich. Also gängelt die Wahlkommission internationale Beobachter.
Sind deshalb Unruhen möglich?
Nicht dieses Mal, die Menschen bevorzugen die Stabilität. Die russische Gesellschaft ist sehr passiv, obwohl die Menschen verstehen, was passiert. Noch sagen viele, wir haben doch einen jungen Präsidenten, das reicht uns. Aber in einigen Jahren könnten die Massen protestieren gegen Korruption, soziale Ungleichheit und steigende Preise.
Sehen Sie eine Chance, dass es künftig eine starke liberale Partei in Russland gibt?
Falls Jabloko und die Union der Rechten Kräfte bei den Wahlen scheitern, hoffe ich wenigstens, dass wir uns dann zu einer Oppositionspartei vereinigen. Noch bestehen ja die Strukturen meiner Partei. Verhaftet werden wir bislang nur, wenn wir auf der Straße unsere Fahnen schwenken wollen, denn die Symbole sind bereits illegal.
Das Gespräch führte Dirk Friedrich Schneider
Wladimir Alexandrowitsch Ryschkow ist fraktionsloser Abgeordneter in der Duma und Vize-Vorsitzender der Republikanischen Partei, die als sozialdemokratisch gilt. Er studierte Geschichte in Barnaul, der Kapitale des Altai in Sibirien. Im Dezember 1993 wurde der promovierte Historiker als jüngster Abgeordneter in die Duma gewählt. 2003 erhielt Ryschkow ein neues Direktmandat. Zeitweilig unterstützte er das Oppositionsbündnis Das andere Russland von Garri Kasparow.
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