Die Amerikaner setzen gern "Christbäume"

Im Gespräch Willy Wimmer, außenpolitischer Experte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, über eine Volkszählung im Irak, eine Kanzler-Rede in München und den Bush-Besuch in Deutschland

FREITAG: Waren die Wahlen im Irak am 21. Januar vorzugsweise eine Veranstaltung, um die Einheit des Westens wiederherzustellen?
WILLY WIMMER: Wenn man sich vor Augen hält, nach welchen Kriterien dieses Votum durchgezogen wurde, war das schon deshalb kaum möglich, weil bei dieser Abstimmung allein die Agenda der schiitischen Seite zum Tragen kam. Wenn man an die Zeit des US-Ziviladministrators Paul Bremer denkt, wollten die Amerikaner eigentlich etwas anderes ...

Was meinen Sie?
Eine Verfassunggebende Versammlung. Ein solches Gremium hätten die Amerikaner zunächst viel lieber gesehen, um eine neue Konstitution für den Irak zu haben, bevor ein Parlament gewählt wird. Wenn ich die Abstimmung im Irak mit der vor Monaten in Afghanistan vergleiche, bei der vieles an eine Volkszählung erinnert hat, kann ich kaum Unterschiede erkennen.

Mit anderen Worten, auch das gerade verkündete vorläufige Endergebnis ist mit Vorsicht zu genießen.
Dieser Wahlvorgang mag sicher eine ehrenwerte Handlung gewesen sein, aber erbracht hat er nicht mehr als eine Feststellung über die Stärkeverhältnisse zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Ich verweise nochmals auf Afghanistan, dort ist stramm entlang der ethnischen und Clan-Linien gewählt worden. Daher frage ich mich mit Blick auf die Veranstaltung am 21. Januar im Irak, was hatte sie wirklich zu bedeuten? Haben wir den Einstieg in den Ausstieg unserer amerikanischen Partner erlebt? Den Beginn einer Dreiteilung des Landes? Auf jeden Fall sind Tatsachen geschaffen worden, von denen man noch nicht endgültig weiß, wie sie zu deuten sind.

Condoleezza Rice hat zuletzt mehrfach die gemeinsamen Interessen des Westens im Irak betont. Was ist derzeit darunter zu verstehen?
Ich bin sehr skeptisch, ob in diesem Raum überhaupt noch etwas aus gemeinsamen Interessen heraus passiert. Eines jedoch steht außer Zweifel: Die Integrität des Irak sollte erhalten bleiben - das könnte und sollte ein übergreifendes Interesse des Westens sein, auch wenn dieses Ziel mit vielen Fragezeichen zu versehen ist. Gesetzt den Fall, wir haben mit ihrer Europa-Reise nicht nur die Charme-Offensive einer neuen amerikanischen Außenministerin erlebt, sondern das substantielle Bemühen, gemeinsame Interessen zu definieren, dann wäre das unbedingt zu begrüßen. Denn wir können nicht wollen, dass die Greater Middle East Initiative der USA in Blut und Tränen versinkt. Weil mit dem Irak-Krieg nachweislich die Büchse der Pandora geöffnet wurde, müssen wir uns ernsthaft fragen, wie lange noch halten die Grenzen im Mittleren Osten. Ich sage das mit Blick auf den gesamten Raum zwischen Afghanistan und Ägypten. Leider scheint es im Moment so, dass die Amerikaner kaum stabilitätsfördernde Maßnahmen ergreifen können.

Nur wer kann es dann?
Wenn wir nicht wollen, dass dieses Gebiet in Anarchie und Kriegswirren abdriftet, werden wir nicht umhin kommen, eine Politik zu artikulieren, die dort wieder zu mehr Stabilität führt, und uns an Maßnahmen zu beteiligen, die wirklich Stabilität bringen. Die große Frage lautet: was kann das alles sein?

Ja, was denn zum Beispiel? Folgt man der Schröder-Rede, die gerade auf der Münchner Sicherheitskonferenz für Debatten gesorgt hat, könnte der Eindruck entstehen, aus deutscher Sicht geht es um die Rolle der NATO.
Ich möchte jetzt diese Rede nicht interpretieren. Nur eines ist wohl klar, sie wirft die Frage auf, inwieweit können unsere Regierungen - die deutsche und die amerikanische - zusammenarbeiten, nachdem sich in jüngster Vergangenheit eine solche Kluft zwischen der kontinentaleuropäischen und der angelsächsischen Weltsicht ergeben hat. Die Kontinentaleuropäer neigen bekanntlich dazu, Konflikte durch Interessenausgleich beizulegen, das sehen Sie nicht zuletzt beim Streit um das iranische Atomprogramm. Bei den Amerikanern beobachten wir spätestens seit Mitte neunziger Jahre, dass sie bei einem Konflikt nicht fragen, wie löst man den, sondern wie setzen wir dabei unsere Interessen durch? Schröder könnte auf diesen Grundkonflikt angespielt haben, um ihn lösen zu wollen. Die Frage ist jedoch, wer ist an der Lösung interessiert? Und um welchen Preis?

Besteht der Preis möglicherweise im Einverständnis mit einem US-Militärschlag gegen den Iran?
Ich möchte da nicht spekulieren. Wenn ich mir den Raum zwischen Kairo und Kabul ansehe, dann gibt es nicht mehr viele Staaten, die stabil sind - und der Iran ist stabil. Auch was den schiitischen Machtfaktor im Irak angeht, setzt Teheran nicht auf Konfrontation, weil die Interdependenz gesehen wird. Man weiß sehr wohl, Iran bleibt nur stabil, wenn der Irak nicht noch instabiler wird. Mit anderen Worten, der Iran könnte Partner der Vereinigten Staaten sein, wollten die im Irak wirklich für Stabilität sorgen.

Wenn George Bush im Mittleren Osten demokratische Standards etablieren will, ist der Iran genau genommen das demokratischste Land, das wir in diesem Raum haben. Man mag dort mit vielem nicht einverstanden sein, aber im Iran kann gewählt werden. Was die Saudis als enge Verbündete der USA gerade mit ihren Kommunalwahlen versucht haben, ist im Iran Praxis.

Allerdings hat Condoleezza Rice bei ihrem Berlin-Besuch die Ayatollahs "undemokratische Tyrannen" genannt. Das klang nicht sehr versöhnlich.
Es ist offensichtlich so, dass die Amerikaner gern "Christbäume" setzen, um wie bei einem Luftangriff ein Ziel anzuleuchten - sei es in Gestalt einer Person oder eines Übels, das andere auch als Übel empfinden.

Irans Atomprogramm.
Dieses Programm und die uns fremden Ayatollahs. Seit Saddam Hussein nicht mehr verfügbar ist, hat man das Problem, dem Gegner wieder ein Gesicht zu geben. Das Entscheidende jedoch ist, welchen Ansatz haben die Amerikaner, um den Konflikt mit dem Iran zu lösen. Und da habe ich beim Besuch von Frau Rice kaum anderes gesehen als die alten Verhaltensmuster, die uns bisher keine Fortschritte gebracht haben und das auch im Fall Iran nicht tun werden.

Welche Hoffnung bleibt den Europäern, um mit ihrer Verhandlungsgruppe aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland gegenüber dem Iran doch noch Erfolg zu haben?
Man muss zunächst sehr genau unterscheiden, was ist der iranischen Führung durch den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen erlaubt, und was will man ihr nach Kriterien verwehren, die nicht immer genau definiert sind. Das sind Ermessensfragen, die den drei europäischen Staaten einen Ritt über den Bodensee abverlangen. Es wäre zu überlegen, ob nicht der Iran und die USA direkt miteinander verhandeln sollten.

Und weshalb geschieht das bislang nicht?
Weil der Iran nicht den Weg wie Ghaddafi in Libyen einschlagen will, der sein - in Anführungszeichen - Nuklearprogramm direkt mit der US-Regierung verhandelt hat und an der Atomenergieagentur in Wien vorbei marschiert ist. Dahinter steht allerdings eine ganze andere Frage und die tangiert maßgeblich die Entscheidung der Europäer, ob sie mit Teheran sprechen oder nicht. Und die lautet: Unterstütze ich den amerikanischen Unilateralismus oder unterstütze ich die Agentur in Wien als Vehikel der Interessen kleinerer und mittlerer Staaten? Will ich multilateralen Prinzipien folgen, auch wenn ich weiß, falls die Amerikaner nicht mit dem Iran verhandeln, wird es keine oder nur sehr schwer eine Lösung geben? Wenn wir eine multilaterale Welt wollen, müssen wir verhandeln. Vielleicht sorgen ja die Briten dafür, dass die USA in der einen oder anderen Weise involviert sein werden. Vieles hängt leider davon ab, was auf den Straßen von Bagdad geschieht.

Wie ist das zu verstehen? Mehr Unterstützung der Europäer für die Amerikaner im Irak, wenn die sich beim Iran zurückhalten?
Man muss doch den Eindruck haben, dass die freundlichen Töne von Frau Rice oder Herrn Rumsfeld dem alten Europa gegenüber etwas damit zu tun haben, dass die Dinge in Bagdad und ringsherum so laufen, wie sie laufen - nicht sehr gut. Wäre das anders, würde Frau Rice nicht den Eindruck erwecken, als ob sie gewisse Gepflogenheiten in Berlin oder Paris durchaus zu schätzen wisse.

Hat Kanzler Schröder mit seiner Münchner Rede darauf indirekt reagieren wollen?
Er hat nach meinem Eindruck zunächst einmal verdeutlichen wollen, dass die Dinge, die NATO heißen, im Empfinden Westeuropas und Nordamerikas weit auseinander laufen. Es gibt bei uns Nostalgiker, für die heißt NATO noch immer Wertegemeinschaft, obwohl sie durch das tägliche Handeln der Amerikaner eines Besseren belehrt sein müssten. Die geben zu verstehen, dass die NATO für sie nur ein Instrument ist und zwar eines unter vielen. Kann genommen werden - kann weg gelegt werden. Also hat Schröder in München nicht mehr und nicht weniger gesagt, als: Wir werden noch weiter auseinander driften, wenn wir die Realitäten im transatlantischen Verhältnis nicht zur Kenntnis nehmen. Den Amerikanern ist zu sagen, wir wollen Partner und keine Sonderzone sein.

Wie und wo wollen Sie ihnen das sagen?
In einem dringend benötigten Dialogforum zwischen der Europäischen Union und den USA - die NATO kann das nicht abdecken.

Was erwarten Sie unter diesen Umständen vom Bush-Besuch in Deutschland?
Dass es ein Besuch in der Wirklichkeit wird.

Das Gespräch führte Lutz Herden


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