Traian Basescus Boykott-Strategie ist aufgegangen: Bei dem am 29. Juli abgehaltenen Referendum über sein politisches Schicksal wurde das nötige Quorum von 50 Prozent knapp verfehlt. Nur 46 Prozent aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimmen ab. So also darf Basescu zurück ins Amt, obwohl seine Legitimität angeschlagen ist. Immerhin wollten fast 90 Prozent der Abstimmenden nicht länger von ihm regiert werden.
Wie schon in den neunziger Jahren ist die rumänische Gesellschaft nicht nur tief, sondern unversöhnlich tief gespalten. „Millionen von Rentnern, Arbeitslosen und Zigeunern sind heute wählen gegangen“, kommentiert einer der vielen Nutzer auf der Website des Nachrichtenkanals Realitatea TV und fügt an: „Es hat nichts genutzt: Rumänien bleibt zivilisiert und europäisch. Man sollte diesen armen Schluckern das Wahlrecht aberkennen.“
Die meisten Bürger, die zu den Urnen gingen, empfanden das Votum als starkes Signal für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen die neoliberale Agenda der präsidialen Partei PDL. Für viele Anhänger Basescus jedoch gelten solche Motive als absolut illegitim. Ihr Sozialdarwinismus geht weit über das hinaus, was einige Internet-Foren präsentieren. Die Überzeugung, dass Rentner und Kranke, Sozialhilfeempfänger und Roma lediglich Schmarotzer sind, ist im heutigen Rumänien in einer Weise ausgeprägt, die in Westeuropa unvorstellbar wäre.
Der Sozialstaat wurde kassiert
„Nur 20 Jahre nach der Wende möchten viele in der neuen Mittelschicht komplett vergessen, wo sie herkommen“, meint der Publizist Costi Rogozanu. „Sie definieren sich als dynamische Klasse, ohne die es keine Modernisierung gäbe. Viele glauben ernsthaft, sie allein seien zivilisiert und europäisch, während der Rest in einem Zustand minderwertiger Barbarei verharrt und kurz vor Russland steht.“ Präsident Basescu versteht es, diese Mentalität zu bedienen, um sich zu profilieren und drastisch beschnittene Sozialleistungen zu rechtfertigen. Unter dem Vorwand, ein zweites Griechenland müsse vermieden werden, wurde der Sozialstaat kassiert.
„Rumänien ist nach Europa zurückgekehrt“, sagte Basescu nach dem Referendum. Seine Gegner denunziert er häufig als „kommunistisch“ und „nicht europäisch“. Dabei sind personelle Kontinuitäten zwischen der früheren KP und der sozialdemokratischen PSD seines Gegenspielers Victor Ponta eher vage. Der Präsident selber war vor der Wende KP-Mitglied. „Um meine Karrierechancen zu erhöhen“, wie er heute beteuert. Tatsächlich wurde Basescu in den frühen achtziger Jahren Kapitän bei Navrom, dem Staatsunternehmen, das Rumäniens Handelsflotte führte. Bis heute bestreitet er den Vorwurf, für die Geheimpolizei Securitate gearbeitet zu haben. Im Archiv wurde offiziell keine Akte gefunden, aber der Umstand, dass er kurz vor der Wende als Navrom-Büroleiter in Antwerpen, also im „kapitalistischen Ausland“ arbeiten durfte, treibt die Spekulationen an. „Letztlich stand der damalige Außenhandel als Quelle begehrter Devisen stets unter strikter Kontrolle der Securitate“, schreibt der Historiker Lucian Boia.
Bei Nacht und Nebel
Trotzdem gelang es Basescu, sich im Wahlkampf 2004 als Kämpfer gegen das Erbe des Kommunismus und gegen die Geißel der Korruption zu inszenieren. Während seiner ersten Amtszeit ließ er eine Historikerkommission das System der Vorwendezeit verurteilen und konnte neben symbolischem Kapital auch die Unterstützung früherer Dissidenten gewinnen. Dabei hat Basescu mit dem Wertkonservatismus dieser Kreise wenig im Sinn, auch wenn ihn westliche Medien gern als konservativ etikettieren.
Das verschafft ihm einen gewissen Stellenwert, besonders bei der EU-Kommission, die sich in den Konflikt zwischen Präsident Basescu und Premierminister Victor Ponta einschaltete. Brüssel kritisierte das Anti-Basescu-Lager, weil es gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen habe. Denn die linksliberale Parlamentsmehrheit hatte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion versucht, die Amtsenthebung zu vereinfachen und den politischen Gegner schnell loszuwerden. Auf Druck der EU musste Ponta diese Turbostrategie aufgeben.
Andererseits kann niemand ernsthaft behaupten, dass verfassungstechnisch fragwürdige Amtshandlungen ein Monopol der heutigen Regierung sind. In den ersten zwei Jahren nach Ausbruch der Wirtschaftskrise von 2008 hat die damalige PDL-Exekutive unter Premier Emil Boc ihre Spardekrete oft per Eilverfahren oder ohne parlamentarisches Votum durchgesetzt. Als Basescu 2010 die Renten um 15 Prozent kürzen wollte, stellte sich heraus, dass zu wenig Abgeordnete im Parlament saßen, um eine Entscheidung zu treffen. Doch fand Roberta Anastase, damals Präsidentin des Abgeordnetenhauses, eine Lösung: Vor laufenden Fernsehkameras zählte sie die Stimmen nur oberflächlich und ließ falsche Zahlen ins Protokoll nehmen. Die „mit der erforderlichen Prozedur“ gekürzten Renten rettete später das Verfassungsgericht.
Im November finden Parlamentswahlen statt. Ministerpräsident Pontas Sozialdemokraten dürften laut Umfragen als klare Gewinner daraus hervorgehen. Nützen dürfte ihnen nur ein Erdrutsch-Sieg.
Silviu Mihai hat zuletzt aus Moldawien berichtet
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