Die haben fertig!

Im Gespräch Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Bundestag, über einen gescheiterten Minister Tiefensee, notwendige Korrekturen bei Hartz IV und die Nähe ihrer Partei zur SPD

FREITAG: Die SPD-Basis forderte auf dem Parteitag in Hamburg ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern. Als Grüne müssten sie darüber jubeln - oder?
RENATE KÜNAST: Natürlich, wir sind begeistert, dass die Basis mehr Vernunft hat als die SPD-Regierungsmitglieder und vor allem der Bundesumweltminister. Und deswegen haben wir einen Antrag im Bundestag für Tempo 130 eingebracht. Ab 1. Januar 2008 könnten wir dies haben. Das spart gut zehn Prozent CO2 auf Autobahnen.

Viele Kommentatoren meinen, die SPD sei in Hamburg nach links gerückt. Teilen Sie etwa auch diesen Eindruck?
In Hamburg hat sich die SPD wieder dem Thema Soziales gewidmet. Aber eine moderne Linke verlängert nicht das ALG I für ältere Arbeitslose, sondern kümmert sich zuallererst um Kindergrundsicherung, um soziale Infrastrukturfragen und Altersvorsorgekonten. Was ist links? Die Modelle von Vorgestern sind jedenfalls nicht die, die auf die Globalisierung und den demographischen Wandel eine soziale und damit linke Antwort geben können. Zumal die alten Modelle die Schere in der Gesellschaft und die fehlende Durchlässigkeit nicht beseitigten. Wenn man sich beispielsweise die Vorstände deutscher Unternehmen anschaut, sieht man, dass wir noch eine Ständegesellschaft sind.

Hat die Linke die SPD also erfolgreich vor sich hergetrieben?
Ich glaube, das ist mit dem Hamburger Parteitag vorbei. Für Lafontaine und Gysi wird das muntere Geplauder und das Schüren von Emotionen nun schwieriger. In Hamburg hat die SPD zu sich gefunden. Bislang wusste sie weder, ob sie sich nach vorne oder hinten bewegen sollte. Allerdings hat sich auch das Feld für die CDU geändert, die sich ja so ein bisschen zur Mitte hin bewegt hat - in Abkehr von ihrer neoliberalen Wahlkampfstrategie.

Wie bewerten Sie das eindeutige Votum des Parteitages für eine verlängerte Bezugsdauer des ALG I - ist es mehr der Versuch, einen bisher eher glücklosen Parteichef zu stärken, oder das Vorspiel für weitere Korrekturen der Agenda 2010?
Mir scheint, dass die SPD das als einen Ausfallschritt gemacht hat, um sich an anderer Stelle nicht weiter entwickeln zu müssen. Für meine Partei sage ich, dass es wichtiger ist, Hartz IV zu evaluieren. Nicht überall hat es das gebracht, was es bringen sollte: Beim ALG II etwa brauchen wir eine Regelsatzerhöhung auf gut 420 Euro. Ebenso muss die Altersvorsorge überdacht werden, was auch eine Frage von Respekt und Würde ist. Und wir müssen den Kinderzuschlag erhöhen und uns auf den Weg zu einer wirklich eigenständigen Kindergrundsicherung machen.

Vor dem Parteitag wurde gemutmaßt, die SPD werde über den richtigen Afghanistan-Kurs streiten - wie es die Grünen getan haben. Hat es Sie überrascht, wie einmütig die SPD-Basis die Afghanistanpolitik abgenickt hat?
Ja, es wurde ein wenig gedeckelt. Dabei steht uns die Auseinandersetzung über die Frage, wie Außen- und Sicherheitspolitik in Zukunft gestaltet werden muss, noch bevor. Sie darf nicht nur militärisch beantwortet werden, sondern muss ebenso zivilen Wiederaufbau und das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe international verankern. Nötig ist dazu auch eine neue Politik der Welthandelsorganisation WTO. Ich denke, Europa muss sein Modell der Herrschaft des Rechts stärker international einbringen.

Die SPD-Basis forderte, dass die Bahn nun unter anderem in Form von so genannten Volksaktien privatisiert werden soll. Ist der SPD-Minister Tiefensee daher gescheitert?
Er sollte die Segel streichen und zurücktreten. Er hatte sowieso eine Nullbilanz, wenn man nett ist, und was die Bahn betrifft, steht er lächelnd da und tut so, als sei nichts gewesen. Der Mann ist grandios vor die Wand gelaufen. Ich meine, er ist handlungsunfähig. Das Beste wäre, er würde selber gehen.

Wie beurteilen Sie die Zukunft der großen Koalition. Wird sie bis 2009 regieren?
Diese Koalition ist nach zwei Jahren am Ende. Merkel hat mit riesigen Showeffekten der SPD die Butter vom Brot genommen und sich dabei selbst sozialdemokratisiert - zumindest verbal. Sie hat lebhaft und oft das Ausland besucht und bei Umweltthemen gerne internationale Reden gehalten. Sie hat eine große Show veranstaltet. Dieses Land hat aber einen massiven Reformbedarf. Allerdings erwarte ich nicht mal beim Klimaschutz - bei der Umsetzung der Vereinbarung der Kabinettsklausur in Meseberg - große Würfe. In Beratungsverfahren wird nun alles kleingekocht. Man kann mit Trapattoni sagen: Die haben fertig! Ich sehe sehnsuchtsvoll dem Tag entgegen, an dem man wählen darf.

Für Guido Westerwelle sind nach Hamburg mögliche Koalitionsabsichten mit der SPD erst einmal hinfällig - für Sie und Ihre Partei auch?
Wir haben zur SPD die größte Nähe. Aber die Abgrenzungen sind noch die gleichen, ob im Sozialen oder in der Ökologie, wo zwar aktuell viel in der großen Koalition geredet wird, aber keine konkreten Schritte folgen. Und selbst die SPD-Spitze kämpft ja in Berlin gegen das Tempolimit und in Brüssel für mehr CO2-Ausstoß bei Autos. Auch in einer Koalition mit der SPD gäbe es für uns Grüne noch viel beim ökologischen Umbau zu tun.

Das Interview führte Dirk Friedrich Schneider


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