Die Industrie macht Druck

Im Gespräch Marcia Angell über die Netzwerke der Pharma-Industrie, redaktionelle Unabhängigkeit und Wissenschaftsbetrug

FREITAG: Die Pharmabranche gilt als besonders innovativ, wenn es darum geht, ihre Sicht der Dinge über die Medien ans Publikum zu bringen. Mit welchen Strategien sind die Firmen besonders erfolgreich?
MARCIA ANGELL: Die Einflussnahme erfolgt zuweilen in sehr indirekter Weise. Nehmen wir als Beispiel die US-Pharmaorganisation Pharmaceutical Research and Manufacturers of America, kurz PhRMA. Sie investiert eine Millionen Dollar in eine "Intellectual Echo Chamber of Economists". Hinter diesem Namen verbirgt sich ein Netzwerk von Ökonomen und Führungskräften, die gegen die staatliche Preisregulierung für Medikamente wettern - sei es in ganzen Artikeln für die Medien oder mit Statements, die von den Journalisten dann in ihre Texte eingebaut werden. Zusätzlich stehen 550.000 Dollar bereit für die Platzierung von so genannten Op-Eds, also Gegen-Editorials und Artikeln von Drittpersonen in den Medien. Und mindestens weitere zwei Millionen Dollar stehen für Forscher- und Politikergruppen bereit, um, wie es heißt, "intellektuelles Kapital aufzubauen und eine größere Anzahl an Botschaften, die von glaubwürdigen Quellen stammen, zu generieren". Damit sind Statements gemeint, die die Position der Pharmabranche stützen.

Kürzlich zitierte das British Medical Journal (BMJ) den Lancet-Herausgeber Richard Horton mit der Bemerkung, dass "das Verhältnis der Medizinjournale zur Pharmabranche inzwischen parasitär" sei. Er machte diese Äußerung vor einer Untersuchungskommission des britischen Unterhauses. Ist das eine Ausnahme oder halten Sie diese Praxis für normal?
Horton wies lediglich darauf hin, dass die Pharmaunternehmen massiv Druck ausüben auf die Fachmagazine, um eine der Firma passende Studie gedruckt zu bekommen. Die Firma sagt: "Wenn Ihr die oder die Untersuchung veröffentlicht, werden wir viele Exemplare - Reprints - des Artikels kaufen, in dem das Produkt in günstigem Licht erscheint." Richard Horton meinte diese Praxis, die schon fast einer Schmiergeldpraxis gleichkommt. Solche Hinweise überraschen mich nicht. Der Verkauf von Reprints an die Pharmafirmen, die dann die Publikation für ihr Marketing einsetzen und zum Beispiel an Ärzte verteilen, bedeutet eine wichtige Einnahmequelle für die Journale. Und die Pharmakonzerne machen Druck. Herausgeber wie Horton bekommen regelmäßig Anrufe von Autoren, die nachfragen, ob das Blatt an einem bestimmten Paper interessiert sei - mit dem Hinweis, dass die Firma gewillt sei, dann auch Zehntausende Reprints zu kaufen. Viele Wissenschaftsjournale sind wenig mehr als Vehikel für den Transport der Werbebotschaften.

Sagen Sie dies aus eigener Erfahrung?
Während meiner 20-jährigen Tätigkeit als Chefin des New England Journal of Medicine (NEJM) ist mir das, was Horton schildert, nicht passiert. Wir waren weltweit vermutlich die Einzigen, die auch ohne Anzeigen überlebensfähig waren.

Aber wieso konnte sich das NEJM diese Unabhängigkeit leisten und andere nicht?
Erstens hat das NEJM sehr viele Abonnements - so viele, dass wir die Einzigen waren, die den Betrieb allein mit den Abo-Erlösen tragen konnten. Zweitens war das Prestige des NEJM so hoch, dass die Pharmafirmen Anzeigen schalten wollten, auch wenn sie auf die redaktionellen Entscheidungen keinen Einfluss nehmen konnten. Und drittens: Während die Redakteure der meisten Medizinjournale ihren Verlegern Bericht erstatten und somit zwangsläufig von wirtschaftlichen Erwägungen beeinflusst werden, respektierte der Eigentümer des NEJM die uneingeschränkte Autonomie des Chefredakteurs. In meiner Zeit beim NEJM wurden keine Entscheidungen auf Grund von kommerziellen Interessen getroffen.

Lancet-Chef Horton berichtete auch, dass man versuche, das so genannte "Ghost Writing" abzustellen. So habe ein Autor behauptet, ein bestimmter Artikel über ein Medikament sei von ihm geschrieben worden - bis zufällig herauskam, dass der komplette Text mit der Hilfe der das Präparat herstellenden Pharmafirma verfasst worden war. Wie können sich die Magazine gegen diese Unterwanderung schützen?
Dies ist alles andere als leicht. Ich habe kein Patentrezept gegen diese Art von Betrug parat.

Der Wissenschaftshistoriker Horace Judson schreibt in seinem neuen Buc,h Betrug in der Wissenschaft sei eben nicht - wie noch weithin angenommen - die Ausnahme. Vielmehr sei "die Forschung durchsetzt mit Betrug". Würden Sie dem zustimmen?
Ja.

Ein Rezensent schrieb über Judson, er male "ein dunkles Bild, doch wir werden noch weit dunklere Tage sehen, wenn Beweis und Profit untrennbar vermengt werden."
Sicherlich bedeutet die Heirat von Wissenschaft und Kommerz eine große Bedrohung. Doch die Tatsache, dass die Naturwissenschaften auf Beweisführungen angewiesen sind, bietet einen gewissen Schutz gegen die totale Korrumpierung - ein Schutz, den andere Bereiche der Gesellschaft nicht haben. Obwohl ich nicht optimistisch bin, sehe ich nicht ganz so schwarz wie Judson.

Viele so genannte Beweisführungen gelten als höchst problematisch, weil die Studien methodisch fragwürdig sind. Bei den Medikamenten Lipobay und Vioxx: beispielsweise stellte sich erst viel später heraus, dass die Präparate nichts taugen, dass sie sogar schädlich sind. Sollten Studien nicht erst dann publiziert werden, wenn die Wirkstoffe an einer neutralen Placebo-Gruppe getestet wurden, um sicher zu stellen, dass sie unschädlich sind?
Meine Hauptsorge gilt dem schier grenzenlosen Vertrauen in die Aussagekraft der klinischen Studien. Diese können auf befangener Forschung beruhen oder sie können unvollständig sein - denn die Pharmafirmen haben mittlerweile einen enormen Einfluss auf das Zustandekommen und die Datenbasis der Arbeiten. Doch ich bin nicht der Meinung, dass Placebo-kontrollierte Studien notwendig sind. Manchmal mögen sie das sein, doch wichtig ist herauszufinden, ob ein neuer Wirkstoff besser ist als der alte. Wenn Unsicherheit herrscht über die Zulassung eines Medikaments, dann sollten höhere Research-Standards eingeführt werden, nicht aber Placebo-Kontrollen.

Wie gut funktioniert denn die Kontrolle durch das so genannte Editorial Peer Reviewing - auch Refereeing genannt -, bei dem Wissenschaftler des betreffenden Fachgebietes den eingereichten Beitrag begutachten und darüber befinden, ob er veröffentlicht wird?
Mittlerweile gibt es rund 50.000 Zeitschriften, bei denen anonym gehaltene Experten gutachten. Und ich denke, dass die besten Forscher und besten Wissenschaftsmagazine nach wie vor sehr gut sind.

Elizabeth Knoll, ehemals Science Editor der University of California Press, schreibt, dass sich das Peer Reviewing zu einem "mächtigen sozialen System gemausert" habe. Sie hat ein "bemerkenswert unkritisches Vertrauen in Peer Review" festgestellt. Deren Effektivität sei nie bewiesen worden, sagen auch andere Kritiker. Zudem sei es durch Korruption bedroht. Denn oft ist die Person, die den Wert eines Forschungsantrages oder den Vorzug eines eingereichten Artikels beurteilen soll, zugleich der ärgste Konkurrent desjenigen, dessen Arbeit er beurteilen soll. Es ist, wie wenn ein neuer BMW kurz vor der Markteinführung von DaimlerChrysler genehmigt werden müsste. Wie begegnen die Wissenschaftsmagazine diesem Problem?
Es herrscht reichlich Konfusion darüber, was die Redakteure und Gutachter tun können und was nicht. Wenn ein Betrug geschickt kaschiert wird und den Anschein der Konsistenz erweckt, ist es schwer, ihn aufzudecken. Das Peer Review wurde nicht geschaffen, um vor Betrug zu schützen, sondern vielmehr, um schlechte Wissenschaft auszusondern - was etwas entscheidend anderes ist.

Und die Methoden- und Plausibilitätskontrolle?
Der Editor oder Reviewer befindet sich nicht im Labor, um dem Forscher über die Schulter zu schauen und zu sehen, ob die Daten auf ehrliche Weise aufgezeichnet werden. In der Welt der Wissenschaft müssen sich die Reviewer wie auch die redaktionell Verantwortlichen darauf verlassen, dass die Autoren ehrlich darüber berichten, was sie gefunden haben und was nicht. Aber sie können nachschauen, ob das Design und die Methode der Studie in Bezug auf die Fragestellung angemessen und ob die Analyse und die Interpretation stichhaltig sind. Und wenn Befangenheit vorliegt, so können sie diese oft erkennen.

Im spektakulären Fall des Nobelpreisträgers David Baltimore, dessen 1986 in Cell - neben Science und nature das Magazin mit dem größten Einfluss - abgedruckte Studie zum Immunsystem sich später als Betrug entpuppte. Einer der Referees, der renommierte Immunologe Klaus Rajewsky, setzte während der Begutachtung den Finger auf die wunde Stelle der Studie, ohne einen Betrugsverdacht zu haben. Doch seine Bedenken wurden von den Editors schlicht weggedrückt. Und auch der Kardiologe Darsee konnte unbemerkt gefälschte Daten veröffentlichen.
Beim Darsee-Fall waren andere Sicherungssysteme von größerer Bedeutung. Damals wurde noch nicht verlangt, dass die Autoren bezeugen, dass sie die unter ihrem Namen eingereichten Studien tatsächlich verfasst haben. Die Medizinwissenschaft ist in der Tat sehr konkurrenzbetont. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass sie wie ein Kollegium funktioniert - und es dort womöglich zu ehrerbietig zugeht. Ich fand Reviewers häufiger zu nett als zu kritisch.

Richard Smith, bis Juli 2004 Chefredakteur des "Britisch Medical Journal", sagte über das "Peer Reviewing", es sei "langsam, teuer, zur Befangenheit neigend, leicht missbrauchbar, wenig wirksam bei der Aufdeckung grober Defekte und fast nutzlos bei der Aufdeckung von Betrug". Er installierte im Sommer 2002 das einzigartige Online-Diskussionsforum "Rapid Responses". Den Statuten zufolge kann dort jeder zu Artikeln Stellung beziehen. Auch haben die Autoren Zugang zu den Gutachten der mit Namen genannten Referees. Ab Anfang 2006 sollen die Referee-Berichte für die Öffentlichkeit einsehbar online gestellt werden.
Auch für das Peer Reviewing gilt, was Winston Churchill über die Demokratie gesagt hat: Es ist ein schreckliches System, aber besser als jedes andere, das wir kennen.

Das Gespräch führte Torsten Engelbrecht

Das komplette Interview mit Begleittext findet sich in der aktuellen Ausgabe von Message (www.message-online.de).


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