Die Intrigen des Präsidenten

BRASILIEN In Rio Grande do Sul versucht eine Regionalregierung etwas Unerhörtes - statt multinationale Konzerne zu hofieren, setzt sie auf Landreform und Umverteilung

Im Büro des Abgeordneten Ronaldo Zuhlke hängt eine leicht abgewandelte Asterix-Karikatur: "Wir befinden uns im Jahr 2000 nach Christus. Ganz Brasilien ist von den Neoliberalen besetzt. Ganz Brasilien? Nein, im äußersten Süden hört das unbeugsame Volk der PeTistas nicht auf, Widerstand zu leisten ... " - Im Parlament von Rio Grande do Sul ist Zuhlke Fraktionschef der Arbeiterpartei (PT), die seit einem Jahr in Brasiliens südlichstem Bundesstaat regiert und mit Olivio Dutra ihren ersten Gouverneur in einer wirtschaftlich recht bedeutsamen Region stellt. "Entwicklung bei Umverteilung der Einkommen und Demokratisierung der Amtsführung", diesem Ziel fühlt sich die PT-Regierung in Rio Grande do Sul verpflichtet.

Eine Departement für Landreform gab es früher gar nicht. Ein einziger Beamter war dafür zuständig", erinnert Davi Stival, Vize-Abteilungsleiter im Agrarministerium. "Aber wir brauchen diesen Sektor, denn in den vier Regierungsjahren wollen wir 10.000 landlose Familien ansiedeln." Leicht wird das nicht, dem Bundesstaat fehlt die Kompetenz, Land zu enteignen, und die Mittel für Landkauf sind knapp. Stival versucht deshalb, mit der staatlichen Landreformagentur Incra in Brasilia zu verhandeln. Incra soll brachliegenden Großgrundbesitz in Rio Grande do Sul enteignen, dafür würde das regionale Agrarministerium die Kosten für die Ansiedelung der Landlosen, für Straßen, Stromanschluss, Schulen übernehmen.

Stivals Büro ist wahrscheinlich die einzige Amtsstube Brasiliens, in der die rote Fahne der Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais sem Terra) hängt. Bevor er zum Team des Gouverneurs kam, gehörte Stival selbst zum MST, sein Chef im Agrarreformsekretariat gehört sogar zu den Gründungsmitgliedern.

Couragierter Subventionsstopp

Entgegen allen Versprechen seien bisher nur 57 landlose Familien angesiedelt worden, spottete die Wochenzeitschrift Veja Ende 1999. "Von den seinerzeit bereits geschlossenen 28 Verträgen, durch die bis Mitte Februar 1.270 Familien Land erhielten, schrieben sie natürlich nichts", moniert Stival. Doch der Veja-Report sei noch harmlos, verglichen mit dem Ton, den die Lokalpresse anschlage. So druckte die in der Hauptstadt Porto Alegre erscheinende Zero Hora kürzlich einen Kommentar, in dem der Arbeiterpartei vorgeworfen wird, sie habe sich "nicht von den aufständischen Methoden des politischen Kampfes distanziert", sie besitze einen bewaffneten Arm, eben die Landlosenbewegung, "die auf dem Land einen Krieg im Stile eines roten Faschismus" führe.

Trotz aller Anfeindungen - die PT-Regierung von Rio Grande do Sul schreckt nicht davor zurück, Entscheidungen ihrer Vorgänger zu revidieren. Zeca Moraes - Staatssekretär für Entwicklung - beschreibt die abgewählte Regierung von Gouverneur Britto so: "Auch in unserem Bundesstaat wurde die neoliberale Rezeptur des Staatspräsidenten Henrique Cardoso befolgt, allerdings noch etwas verschärft. Britto privatisierte Staatsunternehmen, darunter die Elektrizitäts- und die Telefongesellschaft. Die Einnahmen verwendete er für Steuergeschenke und Bauinvestitionen, um nationale und multinationale Konzerne zu ködern. Dem Biergiganten Brahma zum Beispiel versprach Britto eine Kürzung der Warenumsatzsteuer von 75 Prozent, bis die Baukosten für eine neue Brauerei vollständig amortisiert seien. Als die hochproduktive Anlage vollendet war, schloss Brahma zwei ältere Brauereien, Resultat: Arbeitsplatzabbau."

Mehr Aufsehen erregte der "Fall Ford", Antonio Britto hatte dem Automobilhersteller ein Leistungspaket im Wert von vier Milliarden Reais für seine erste Fabrik in der Region geboten (der Real lag während des Vertragsabschlusses bei 1.50 DM, seit Anfang 1999 bei 0,90 DM), darunter ein Darlehen von 220 Millionen Reais, fünf Jahre rückzahlungsfrei, zu einem Drittel der marktüblichen Zinsen und ohne Inflationsanpassung (je nach Inflationsrate braucht Ford deshalb nur ein Bruchteil zurückzuzahlen). Britto versprach zudem vierspurige Zufahrtsstraßen, Telefon-, Strom-, Gas- und Wasserleitungen und den Bau eines neuen Hochseehafens (exklusiv für Ford), Gesamtkosten 230 Millionen Reais. Bis zu 100.000 neue Stellen würden so geschaffen, begründete die vorherige Regierung diesen Deal. Dabei beschäftigt nicht einmal die gesamte Fahrzeugbranche Brasiliens so viele Menschen - und Ford garantierte auch gerade einmal 1.500 Jobs.

"Wir hatten im Wahlkampf versprochen, die Privatisierungen aufzuhalten", sagt Zeca Moraes, "weil uns klar war, die Kosten stehen in keinem Verhältnis zum kalkulierbaren Nutzen. Daher holten wir die Multis zurück an den Verhandlungstisch." Doch die Regierung in Brasilia torpedierte die Gespräche, indem sie ein 1997 beendetes Sonderprogramm zur Förderung der Automobilindustrie im Nordosten Brasiliens reaktivierte: Sollte Ford die Fabrik im Staat Bahia bauen, erhielte der Konzern nicht nur Vergünstigungen im Umfang des Pakets von Rio Grande do Sul, sondern zudem weitere Steuererleichterungen und verbilligte Kredite. Ford zögerte nicht lange. Zeca Moraes: "Das Ganze war eine Intrige von Präsident Cardoso. Er wollte ein Klima des Misstrauens gegenüber der Regierung von Rio Grande do Sul schaffen und Olivio Dutra als vertragsbrüchig hinstellen."

In anderen Fällen waren die Verhandlungen erfolgreich. Der US-amerikanische Automulti General Motors akzeptierte ein Agreement und zahlte bereits erhaltene Kredite vorzeitig zurück. Das Unternehmen baut nun einen Teil der Infrastruktur auf eigene Rechnung. "Tatsächlich gibt unsere Regierung für diese Fabrik kein Geld mehr aus", so Moraes. "Die Bauprojekte, die wir noch zu Ende bringen müssen, finanzieren wir mit zurückfließenden Darlehen."

Eine solch eigenständige Haltung hat in der Hauptstadt Porto Alegre, wo die PT seit drei Amtsperioden ununterbrochen den Bürgermeister stellt, bereits Tradition. Bevor die französischen Handelskette Carrefour die Erlaubnis zum Bau eines großen Supermarktes erhielt, musste sie der Gemeindeverwaltung ein Sozialprogramm vorlegen: Danach wird Carrefour innerhalb des Gebäudes 40 Geschäfte für Händler der Region errichten und ein Ausbildungsprogramm im Quartier unterstützen.

Die Multis stehen indes nicht im Zentrum der Entwicklungsstrategie der PT-Regierung. 80 Prozent der Produktion des Bundestaates stammen aus Klein- und Mittelbetrieben, 90 Prozent der Arbeitsplätze sind dort zu finden - statt industrieller Großprojekte werden vor allem diese Firmen gefördert und damit traditionelle Branchen wie Nahrungsmittelverarbeitung, Leder- und Schuhproduktion, Textilien und die dazu gehörenden Maschinenindustrien.

Gentechfreier Bundesstaat

"Für einen ernsten Konflikt im Parlament sorgte während unseres ersten Amtsjahres ein zuvor völlig unbekanntes Thema: die Verwendung von genveränderten Pflanzen in der Landwirtschaft", erinnert sich Fraktionschef Zuhlke. Anfang 1999 brachte der PT einen Gesetzentwurf im Regionalparlament ein, dessen Kernaussage aus einem einzigen Satz bestand: "Der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen im Bundesstaat Rio Grande do Sul ist verboten." Für eine solche Vorlage gab und gibt es handfeste ökonomische Gründe. Brasilien, die USA und Argentinien produzieren heute 90 Prozent der weltweiten Sojaernte. Nur in Brasilien hat sich der Anbau von Gen-Soja noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Könnte garantiert werden, dass die Soja-Produktion von Rio Grande do Sul frei von gentechnisch veränderten Pflanzen ist, dann wäre der Absatz auf dem gentech-kritischen europäischen Markt gesichert.

Eigentlich ist der Anbau von genveränderten Pflanzen in Brasilien nach einem Gerichtsentscheid auf Bundesebene noch nicht freigegeben. Trotzdem wird beispielsweise das Gen-Soja des Saatgutmultis Monsanto verwendet. Ein Drittel der Anbaufläche in Rio Grande do Sul sei mit aus Argentinien geschmuggelten genverändertem Saatgut bepflanzt, spekulieren Zeitungen in Porto Alegre. Vermutlich deutlich zu hoch gegriffen - dass geschmuggeltes Saatgut angebaut wird, steht indes aber außer Zweifel. Die PT-Regierung versuchte dennoch, das Verbot durchzusetzen, was in Brasilien fast einer Revolution gleichkam. Sie kontrollierte Farmen, beschlagnahmte Gen-Samen und Pflanzungen. Dabei legte sie sich nicht nur mit den Landwirten an, sie nahm auch die Genmultis unter die Lupe und forderte die Bundesbehörden erfolgreich auf, illegale Versuche der Konzerne in Rio Grande do Sul zu stoppen. Trotzdem bleibt der gentechfreie Bundesstaat ein Zukunftsprojekt, denn die rechte Opposition hält im Parlament von Rio Grande do Sul die Mehrheit - und sie blockiert das Gesetz.

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