Die Knallharte

Porträt Cecilia Malmström soll als EU-Kommissarin den Freihandel mit den USA vorantreiben. Ihre Ideale hat sie verraten, sie steht für eine kalte und bürgerferne EU-Politik
Ausgabe 44/2014
Von der liberalen Bürgerrechtlerin zur Kommissarin, die gerne hart durchgreift: Cecilia Malmström
Von der liberalen Bürgerrechtlerin zur Kommissarin, die gerne hart durchgreift: Cecilia Malmström

Foto: Emmanuel Dunand / AFP / Getty Images

Bevor sie nach Brüssel kam, genoss Cecilia Malmström einen hervorragenden Ruf. Überzeugte Europäerin, engagierte Frauenrechtlerin, aktive Antirassistin – das waren die Attribute, mit denen die liberale Schwedin im Jahr 2010 am Sitz der EU-Kommission empfangen wurde. Malmström würde frischen Wind in die Brüsseler Behörde bringen und der Europäischen Union ein menschlicheres Gesicht geben, das hofften viele. Sie sollten sich täuschen, sehr sogar.

Vielleicht lag es an ihrem neuen Job als Innenkommissarin, vielleicht am Druck, dem sie schon beim Start ausgesetzt war: Innerhalb kürzester Zeit schwenkte Malmström auf einen antiliberalen Kurs ein. Die Frau, die in Frankreich aufgewachsen war und später in Barcelona und Stuttgart lebte, wurde von der Hoffnungsträgerin zur Symbolfigur der kalten und fernen Brüsseler Bürokratie. Sie wollte ein offenes Europa – und verriet ihre Ideale.

Bauen an der Festung Europa

Das ging schon mit ihrer ersten Amtshandlung los: Der ehemaligen Europaabgeordneten fiel die undankbare Aufgabe zu, das im Geheimen, am EU-Parlament vorbei ausgehandelte SWIFT-Abkommen zur Weiterleitung privater Bankdaten an die USA durchzupauken. Gegen den erbitterten Widerstand ihrer ehemaligen liberalen Abgeordneten-Kollegen, aber auch gegen den Widerstand der deutschen Bundesregierung, die Datenschutz-Bedenken geltend machte.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Malmström sollte mit allen bürokratischen Mitteln die Migranten abblocken, die aus Nordafrika über Italien nach Europa kamen. Und das tat sie auch, ziemlich effektiv sogar. Sie habe sich „nicht vor den Karren der italienischen Regierung spannen lassen“, lobte die FAZ die „Flüchtlingskommissarin“, unter deren Ägide Tausende Menschen elendig im Mittelmeer verreckten. Malmström rüstete die Grenzschutzagentur Frontex auf und schuf die Festung Europa, wie wir sie heute kennen.

Malmström sieht das allerdings etwas anders. Die EU befinde sich „in der Mitte eines langen Prozesses“, an dessen Ende ein liberales Asylsystem stehen werde, beteuert sie in ihrem Blog auf der Kommissionswebsite. Dort präsentiert sie sich immer noch als die weltoffene Politikerin, als die sie einmal angetreten war. Nicht die EU-Kommission sei an dem Flüchtlingselend schuld, sondern die Mitgliedstaaten, die das EU-Recht nicht umsetzten. „Migration ist kein Problem“, redet sich die Politikerin ihre Bilanz schön.

Kein Problem ist offenbar auch die systematische Überwachung, mit der der US-Geheimdienst NSA die Europäer und die EU-Institutionen überzieht. Ausgerechnet Malmström war es, die sich allen Forderungen des Europaparlaments nach Aufklärung widersetzte. Die ehemals liberale Schwedin blockte nicht nur alle Versuche ab, die USA für ihre Spähaktionen zu bestrafen, wie dies eine Zeitlang eine Koalition aus Linken, Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten forderte. Nach Informationen von Internet-Aktivisten der Brüsseler Initiative „Access“ hat Malmström sogar versucht, gemeinsam mit den USA die geplanten neuen Datenschutzregeln für die EU zu verwässern. Dabei habe sie sich offen gegen ihre Kommissarskollegin Viviane Reding gestellt. Der Coup kam erst kürzlich ans Tageslicht – pünktlich zu Malmströms Nominierung für eine zweite Amtszeit, nun soll die 46-Jährige EU-Handelskommissarin werden.

Unsichtbare Hand am Computer

Einen Moment schien es sogar, als könne diese peinliche Enthüllung Malmström zu Fall bringen. Doch die Datenschutz-Affäre wurde durch einen neuen Vorfall in den Hintergrund gedrängt. Kurz vor ihrer Anhörung im Europaparlament anlässlich der Wahl der neuen Kommission spielten sich nämlich wundersame Dinge auf Malmströms PC ab. Gleich zweimal, so berichten Insider, wurde Malmströms Entwurf für die schriftliche Antwort auf Fragen der Europaabgeordneten geändert.

Die erste Änderung schlug wie eine Bombe ein: Malmström habe sich gegen die umstrittenen privaten Schiedsgerichte im geplanten Freihandelsabkommen mit den USA ausgesprochen, meldeten Agenturen und Nachrichtenportale. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, der SPD-Politiker Bernd Lange, zeigte sich hocherfreut: Der Widerstand der Sozialdemokraten zeige Wirkung, Malmström werde die Schiedsgerichte zum Investorenschutz streichen.

Doch schon am selben Abend kam die kalte Dusche: Die Textänderung stamme gar nicht von ihr, gab Malmström über Twitter kund. Kurz danach tauchte das Manuskript mit den Korrekturen auf, und siehe da: Ein gewisser Martin Selmayr, der Spindoktor von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (oder einer seiner Mitarbeiter), hatte den Text bearbeitet. Offenbar wollte er die Schwedin auf Linie bringen, Juncker hatte sich im Parlament gegen die Schiedsgerichte ausgesprochen.

Doch das merkwürdige Manöver ging nach hinten los. Der Text wurde erneut geändert, bei ihrer Anhörung wich Malmström auf Fragen nach den Schiedsgerichten aus. Sie wisse nicht, ob der Investorenschutz im TTIP-Abkommen bleiben wird. „Es ist zu früh, das zu sagen.“ Eine klare Festlegung sieht anders aus. Und dann kam wieder die alte Malmström zum Vorschein: Die Verhandlungen mit den USA bräuchten mehr Transparenz, TTIP müsse neu gestartet werden, und natürlich wolle sie auch die Bürger stärker beteiligen.

Da war sie wieder, die engagierte Politikerin, die das Beste für alle will – und am Ende doch Gefahr läuft, europäische Interessen und Werte zu verkaufen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen meilenweit auseinander. Damit steht Malmström in Brüssel nicht allein, im Gegenteil. Bei ihr ist alles nur eine Nummer härter.

Holger Bersing ist Korrespondent in Brüssel

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