Co-Worker Sie sind selbständig, arbeiten überall. Nur manchmal fehlt ihnen der Plausch unter Kollegen. Deswegen schaffen die Co-Worker neue Formen gemeinsamen Arbeitens
Martin Schmidts erster Arbeitsplatz in dieser Woche ist ein Sitz im Zug, Eurobahn 81205, Abfahrt in Hameln um 7:28 Uhr, Gleis 5. Er war am Wochenende bei seinen Eltern. Jetzt hat der 29-Jährige sein Notebook aufgeklappt. Er schreibt ein paar Mails, beantwortet Anfragen. In einigen Wochen findet ein Musikfestival statt, das er mitorganisiert. Schmidt muss einigen Teilnehmern noch das Konzept erklären.
Jedes Festival hat eigentlich einen festen Organisator, jemanden, der die Fäden in der Hand hält. Dieses hat keinen. Es wird nach dem Wiki-Prinzip funktionieren, so wie auch das Online-Lexikon Wikipedia. Jeder kann mitmachen, jeder kann sich einbringen. Wie genau, das spricht Schmidt mit Clubs und Labels ab. An diesem Montag beginnt er d
ab. An diesem Montag beginnt er damit im Zug. Die Fahrt nach Berlin wird drei Stunden dauern. Es ist ein ruhiger Arbeitsplatz, nur leises Rattern.Die Eurobahn 81205 ist noch nicht auf der Webseite hallenprojekt.de vermerkt. Aber theoretisch könnte man sie dort unter der Rubrik „On Rails“ eintragen. Da stehen schon der ICE 596 und der ICE 883, Nutzer „Sebastian“ hat sich als letztes eingetragen. Das Hallenprojekt versucht seit einigen Monaten, Leute zusammenzubringen, die flexibel und frei arbeiten, ohne Festanstellung und ohne, dass sie sich zwischen 9 und 17 Uhr in einem Büro aufhalten müssen. Es sind Webdesigner, Drehbuchautoren, Journalisten oder Werber, die überzeugt sind, dass Arbeit nicht nur das ist, was zu festgelegten Zeiten an ganz bestimmen Orten stattfindet. Sie arbeiten in Cafés, in Bibliotheken, in Bürogemeinschaften, manchmal auch zu Hause. Oder eben im Zug.Was einigen von ihnen aber fehlt, sind die Arbeitskollegen, mit denen man sich kurz unterhalten könnte, während man in der Büroküche darauf wartet, dass die Kaffemaschine das heiße Wasser durch ein Cappuccino-Pad presst. Deshalb listet hallenprojekt.de all die Plätze auf, an denen Freiberufler vor ihren Laptops sitzen. Cafés, Bibliotheken und Kantinen aus Berlin, Leipzig, Braunschweig. Kunstkommunen, Kreativzentren und Kulturhäuser. Auch ein Internetcafé im indischen Rishikesh ist verzeichnet.Dienstag, erste Mail: 8.40 Uhr, zu HauseBerlin ist das Zentrum der neuen Web-Arbeiter-Bewegung. Das zeigen die vielen Wlan-Cafés auf hallenprojekt.de. Der meistbesuchte Ort ist das Café St. Oberholz. Martin Schmidt sitzt dort früh am Morgen in einer grauen Trainingsjacke vor einem Croissant, einem Cappuccino, seinem Handy und seinem Notebook. Er erzählt, wie er zum „Co-Worker“ wurde. So nennen sie das, wenn man in wechselnden öffentlichen oder halb-öffentlichen Café-Büros Mails schreibt, Grafiken entwirft oder Präsentationen vorbereitet und dabei gern Gleichgesinnte um sich hat: Co-Working. Amerikanische Freiberufler haben den Begriff geprägt. Was genau bedeutet das für ihn? Schmidt schaut durch seine dunkle Hornbrille aus dem Fenster, streicht sich durch die braunen Haare. „Zunächst einmal ist das ’ne Arbeitsform, die ich gar nicht mit Macht gesucht habe.“ Es hat sich halt so ergeben.Schmidt nennt sich in seinem Hallenprojekt-Profil „Kulturwissenschaftler, Veranstaltungsmanager, Philosoph, Universaldilettant“. Er hat in Tübingen, Leipzig und Prag studiert. Zwischendurch kam er nach Berlin und hat dort ein Praktikum im New Thinking Store gemacht. Das Ganze sei eine Art „Think Tank im medialen Zeitalter“, sagt Schmidt. Er ist dort mittlerweile regelmäßiger freier Mitarbeiter. Im Herbst 2007 ist er nach Berlin gezogen. Der New Thinking Store richtet die Blogger-Konferenz re:publica aus und hat das all2gethernow-Festival angestoßen, als Ersatz für die ausgefallene Popkomm-Musikmesse. Zudem gibt es die Veranstaltungsreihe „Webmontag“, den Schmidt moderiert. Da stellen Internet-Bastler neue Ideen vor.Er selbst befasst sich zurzeit mit einem „E-Health-Projekt“. Es gehe darum, alles zu nutzen, „was das Web 2.0 hergibt, um hoffentlich eine bessere Gesundheitsversorgung herzustellen.“ Er hat während des Studiums zu Hause in Hameln als Rettungssanitäter gejobbt. Die Stränge seiner Biografie nimmt er und verknotet sie da, wo sie ihm zusammenzupassen scheinen. Zurzeit stimmt er mit seinem Professor auch das Konzept für seine Promotion ab. Es geht um Kulturkritik und digitale Medien, darum dass jedes Mal sehr viel gemeckert wird, wenn ein neues Medium sich durchsetzt. Die Argumente hätten sich seit Jahrhunderten kaum geändert, sagt er.Mittwoch, erste Mail: 9.01 Uhr, Studio 70Seine verschiedenen Aufgaben und Jobs ergeben ein recht buntes Patchwork. Das Co-Worken passt dazu. Flexibilität ist eine der wenigen Konstanten in der Welt der Co-Worker. Wenn eine Woche in der Eurobahn beginnt, weiß er selten genau, wo und wie sie enden wird.Das alles hat etwas Instabiles, manche würden wohl sagen: Prekäres. „Irgendwie finde ich das Wort komisch“, sagt Schmidt. Die Assoziation mit Armut liegt vielleicht zu nahe, mit lausigen Praktikumstaschengeldern, mit Hartz IV. Im Augenblick, sagt er, kann er sich sein Arbeitsleben nicht optimaler vorstellen. Nur, schiebt er hinterher, etwas mehr Sicherheit würde nicht schaden, vielleicht auch ein bisschen mehr Einkommen: „Wahrscheinlich wäre das, was ich so kriege, für viele viel zu wenig Geld – aber mein Gott. Ich gönne mir den Luxus, nichts nur zum Geldverdienen zu machen.“ Andere Co-Worker kellnern im Nebenjob für die Miete. Wieder andere leben von ihren Projekten sehr ordentlich.Meist fangen Martin Schmidts Arbeitstage mit ein, zwei E-Mails an, die er von zu Hause schreibt. Zurzeit geht er häufig ins Studio 70, einen Ort, den sich die Leute vom Hallenprojekt an der Grenze zwischen den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln eingerichtet haben. In den vergangenen Monaten sind mehrere solcher Räume in der Hauptstadt entstanden. Ein anderes Co-Worker-Domizil heißt Betahaus, eines nennt sich Selfhub.Schmidt zahlt 150 Euro pro Monat, dafür kann er sich im Studio 70 zum Arbeiten an einen der großen Tische setzen, den Konferenzraum nutzen, die Bar mit dem Kristallleuchter an der Decke, den Videoschnittplatz und vor allem das Internet. Wenn er ein paar Tage nicht kommt, räumt er seine Sachen vom Tisch. Wirklich feste Plätze gibt es hier nicht. Mit ihm würden sechs bis zehn andere Leute den Raum „bespielen“, sagt er. Da sitzen dann eine Modede- signerin, ein Jugendbuch-Illustrator, ein Programmierer, ein Webdesigner und eine Studentin, die ihre Magisterarbeit in Literaturwissenschaften schreibt. Gelegentlich kommen Tagesgäste, manche aus anderen Städten, sie zahlen 10 Euro. Das ist der flexible Teil, der die Zentren von gewöhnlichen Bürogemeinschaften unterscheidet. „Car-Sharing für Arbeitsplätze“ nennt es der Hallenprojekt-Gründer Sebastian Sooth. Wer gerade wo ist und wo wie gearbeitet werden kann – all das steht auf hallenprojekt.de. Zu „On Rails“ lautet die Beschreibung etwa: „Mobiler Arbeitsplatz mit abreißender Internetverbindung zum Selbstmitbringen.“Donnerstag, erste Mail: 10.05 Uhr, Studio 70Zu Café-Besprechungen verabredet sich Martin Schmidt oft via Chat. Im New Thinking Store arbeitet er nicht mehr so gerne, wenn gerade keine Veranstaltung ist oder nichts vor Ort geregelt werden muss. Es war ihm zu unruhig – und er mag Ordnung auf seinem Schreibtisch. Die Atmosphäre im St. Oberholz dagegen gefällt ihm gut, obwohl ständig Leute rein- und rausgehen.Während Schmidt vom Co-Worken erzählt, haben sich an den Tischen neben ihm andere Digitale Bohèmiens gesetzt, silbern glänzen ihre Macbooks, daneben steht der obligatorische Latte Macchiato. Neben Schmidt sitzt zufällig Grafiker Kosmar, mit dem wird er gleich noch mal etwas für das Musikfestival besprechen. Das finde er am Oberholz so angenehm, sagt Schmidt, dass immer einer da sei, den man kenne.Die größte Hürde in seinem Arbeitsleben war für ihn anfangs die Selbstorganisation. Dieses tägliche Sich-Aufraffen ohne äußeren Rahmen, der einem vorgegeben wird. „Du bist völlig frei: Jetzt mach‘ aber bitteschön was draus.“ Andererseits bereite ein Magisterstudium ganz gut darauf vor, sagt er. Vielleicht ist das Co-Worken auch einfach nur die Fortsetzung des Studiums mit anderen Mitteln.Schmidt zahlt jeden Monat fünf Euro für eine Software, die ihm hilft, seine Zeit zu managen. Wenn er für ein bestimmtes Projekt arbeitet, lässt er die Stoppuhr des Programms laufen, damit er später weiß, wie viel er abrechnen kann. Er versucht, ein vernünftiges Gleichgewicht hinzubekommen zwischen Arbeiten und Freihaben. Manchmal steht er nachmittags – während Festangestellte noch in ihren Büros festsitzen – in seinem Lieblingsplattenladen und fachsimpelt mit den Leuten da, bevor er ins Oberholz geht oder in den „New Thinking Store“, um dann abends noch am Rechner zu arbeiten. Ein anderes Mal steht er abends im Studio 70, zupft die Saiten seines Basses und macht mit Bekannten Musik. Es fließt alles. Es ist nicht immer klar, ob er gerade arbeitet oder sich einfach nur unterhält, ob er gerade beruflich oder privat chattet.Freitag, erste und einzige Mail: 17.55 Uhr, zu HauseVieles ergibt sich in Martin Schmidts Leben irgendwie, so wie sich diese Arbeitsform mit wechselnden Auftraggebern und Orten, mit dezentralen und arbeitsteiligen Projekten für ihn ergeben hat. „Ich glaube, dass diese Haltung, die es erfordert, um so zu arbeiten, einen unglaublich sicheren Background braucht“, sagt Schmidt. Er meint damit seine Eltern, die feste Jobs haben und ein Haus. Sein Vater ist Lehrer.Da ist ein Auffangnetz, das die ältere Generation gespannt hat, vielleicht auch, weil sie selbst in die Unsicherheit eines zerstörten Nachkriegsdeutschlands hinein geboren wurde. Leute wie Schmidt sind in der totalen Stabilität aufgewachsen. Das prägt. Er mache sich zwischen Eurobahn, Studio 70, St. Oberholz und dem New Thinking Store gar nicht so viele Sorgen, sagt er. Jedenfalls meistens nicht.
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