Der Wagen, in den der Telekom-Manager Harald Winter (Rainer Knepperges) eines Morgens steigt, sieht nicht wie eine Limousine aus, und die Blondine, die ihn zum Flughafen bringen will, auch nicht wie eine Chauffeuse. Wenig später steigt eine Freundin zu und stellt sich als Kopilotin vor. Die beiden sitzen vorn und tuscheln, kurz darauf fliegt Winters Handy aus dem Fenster, der Wagen fährt auch gar nicht in Richtung Flughafen, sondern zu einem Ferienhäuschen im Grünen, an dessen Einrichtung seit den siebziger Jahren kein Detail verändert worden zu sein scheint. Dass der Protest des phlegmatischen Winter irgendwie immer noch pro forma wirkt, liegt wohl daran, dass er in den Verhaltensregeln, die bei einer Entführung gelten, ebenso ungeübt ist wie seine beiden Kidnapperinnen.
Wenig später sitzen Katja (Claudia Basrawi), Barbara (Nina Proll) und ein dazugestoßener Typ namens Stefan (Mario Mentup) am Tisch und formulieren ein Entführerschreiben. Welche Anrede soll man benutzen? Sehr geehrte Telekom? Liebe Telekom? Oder knapper: Telekom! Schweine! Aber warum nicht nur ein Ausrufezeichen? Da kann man beim Ausschneiden der Buchstaben etwas Zeit sparen. Einig sind sich die drei nur bei ihrer Hauptforderung: die alten gelben Telefonzellen sollen wieder bundesweit aufgestellt werden. Und überhaupt: etwas mehr Besonnenheit bitte beim Vorpreschen in eine ungewisse Zukunft. Warum sich nicht ein Beispiel an Uruguay nehmen? Dort, so Katja, hätten sich die Bürger dazu entschlossen, technologisch in den sechziger Jahren zu verharren, und würden seitdem ihre Autos reparieren statt neue zu kaufen und ihre Tage in Cafés verbringen.
Bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit verfahren viele Filmemacher wie Entführer: Die Botschaft soll deutlich sein, die Rollen klar verteilt, das Ende absehbar. Rainer Knepperges und Christian Mrasek halten es aber mit ihren Figuren und gewähren ihnen eine im deutschen Kino ungewöhnliche Freiheit, ihre Sätze und Rollen im improvisiert wirkenden Spiel erst zu finden. Das mag auf den ersten Blick so unzeitgenössisch wirken wie die Utopie, die die drei Entführungs-Debütanten entwickeln, hat aber, um mit Katja zu sprechen, nichts mit Nostalgie und viel mit Besonnenheit zu tun. Am ehesten ließe sich diese Haltung vielleicht als ein Innewerden der Schönheit der Dinge und der Sprache jenseits ihrer Zweckmäßigkeit und professionellen Verwendbarkeit beschreiben.
Der den Figuren und Film innewohnende dilettantische Charme ist nicht das Ergebnis von Unvermögen, sondern einer sorgfältig konstruierten Form, angefangen beim wunderbar pointierten Drehbuch, das Sprechen nicht als motivierte Mitteilung, sondern als frohe Tätigkeit auffasst, über die Kleider der Kostümbildnerin Elena Wegner bis zur Ausstattung des Ferienhäuschens durch Claudia Stock, jedes Detail dieses Films hat seinen ihm gebührenden Platz inne und wirkt doch nie einem narrativen Zweck unterworfen. Die Dinge sind da, weil sie schön sind, der Korkenzieher mit Wurzelgriff ebenso wie Stevensons Die Schatzinsel und Barbaras sexy Klamotten.
Überhaupt sind es die Frauen, die die Freiheit verkörpern, um die es bei allem Spiel ganz ernsthaft doch auch immer geht. Während sich Harald und Stefan an die Rollen des Managers respektive professionellen Entführers klammern, entfalten Nina Proll und Katja Basrawi in ihren Rollen einen anarchisch-erotischen Charme, dem die seriösen Herren der Schöpfung nichts entgegenzusetzen haben. Es wird viel getanzt und rumgealbert, wie in den besten Filmen von Klaus Lemke, deren sexy Girls immer ganz bei sich und niemals dem männlichen Blick unterworfen scheinen. Lemke selbst hat einen Kurzauftritt als sinistrer Undercover-Agent mit Sonnenbrille und Schiebermütze, der die beiden "Wunderstuten" davor warnt, ihr Spiel nicht zu weit zu treiben.
Schließlich taucht im Dorf eine gelbe Telefonzelle auf, die jedoch nicht angeschlossen ist. Das wird noch ein bisschen dauern, erklärt der Techniker. Ist das vielleicht nur ein Trick? Da es im Häuschen weder Telefon noch Fernseher gibt, lässt sich nicht feststellen, was im Rest Deutschlands passiert. Dafür gibt es einen alten Plattenspieler und ein Fläschchen Eierlikör, und man feiert eine Party. Wenig später stolziert Harald, nur mit einem um die Hüfte geschlungenen Handtuch bekleidet, durch die gute Stube. Etwas Rasierschaum im Gesicht, dreht und wendet er sich vor den Damen und erprobt das Leben ohne Anzug. Eine größere Freiheit lässt sich im Laufe eines Wochenendes wohl nicht erlangen.
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