Die Sloterdijk-Honecker-Debatte

Kult-Kontroverse Entschuldigung, was für eine Debatte? Erst ging es um Steuern, dann ums Bürgertum. Und schließlich ging es drunter und drüber: Wie ein Diskurs zerfranst

Axel Honneth ist:
Frankfurter Philosophieprofessor; aufgeregter Philosophieprofessor; glückloser Philosophieprofessor; Habermas-Schüler; Habermas-Nachfolger; letzter Sohn des letzten großen Repräsentanten der „Kritischen Theorie“; der Frankfurter; Philosophieprofessor; Institution

Sloterdijk ist:
Athlet; Prophet; Exerzitienmeister; Karlsruher Philosoph; schäumender philosophierender Harlekin; Salbadernder; Fernsehphilosoph; Medienphilosoph; Kunsthochschulrektor; philosophischer Hochstapler; Karlsruher Revolutionsprediger; deutscher Schwerdenker; Kassandra mit Kassengestell; Autor; Vordenker -eines schwarz-gelben Aufbruchs; Pitbull, der nur spielen will
Zuschreibungen, die aus der Debatte und 
ihrem Umfeld stammen (die ersten drei Bezeichnungen Honneths: Sloterdijk)
Matthias Dell


Imponiergehabe
In den 1990 Jahren besuchte ich ein philosophisches Doktorandencolloquium, in dem immer von Wenigen viel geredet wurde, dafür aber extrem ausgedehnt und gewichtig. In der Hauptsache sprachen Männer. Ich saß mit einer Freundin in der letzten Reihe – mehr weibliches Personal als uns gab es meist nicht in diesem Rahmen – und wir seufzten und wünschten uns ins Zeitalter der echten Pistolenduelle zurück. An deren Ende war wenigstens einer tot und es herrschte endlich Ruhe in der Kiste.

Die Debatte zwischen und über Sloterdijk/Honneth ist mehr als ein Colloquiumsschaukampf. Sloterdijk hatte in einem Beitrag für die FAZ behauptet, in Deutschland herrsche eine „Staatskleptokratie“, die den Reichen zugunsten der neidischen Armen die Taschen leert. Er forderte dagegen eine „Revolution der gebenden Hand“: Der Reiche solle aus Stolz heraus den Bedürftigen abgeben.

Honneth hielt das für aberwitzig. Es geht in dieser Debatte tatsächlich um Inhalte, es geht um Stile und es geht um Eitelkeiten, deren Verletzung zu wunderbaren rhetorischen Schlammschlachten führt. Honneths Impuls war aufklärerischer Natur: Er wollte kundtun, dass Sloterdijks Sermone seit langem Humbug sind. „Fataler Tiefsinn“ war der Titel der Replik (siehe Grafik), weil Honneth die Vernebelung für gefährlich hält. Cool ist dieser Gestus nicht, aber berechtigt.

Berechtigt allerdings ist auch Karl Heinz Bohrers Warnung in der FAZ: „Wenn Philosophen von ‘Wahrheit’ reden, gilt es bekanntlich auf der Hut zu sein.“ Denn hinter jedem Gigantengezänk stehen schlichte Machtfragen um die Deutungshoheit. So kochte die Debatte das alte Spiel zwischen Aufklärungsdiskurs und Postmoderne noch einmal auf. Hinzu kommt: In seinem Artikel unterstellt Honneth eine „deutungshungrige Gemeinde“, zu der Sloterdijk spreche, und man meint, dass es nicht nur darum geht, was Sloterdijk sagt, sondern auch, wem er es sagt.

Wir sind mitten in einer prächtigen Auseinandersetzung zwischen akademischer und außerakademischer Philosophie. Eigentlich ist die Debatte gar keine. Und eigentlich wollen Honneth und Sloterdijk, respektive Zeit und FAZ, auch nicht miteinander reden. Das ist weise. Je mehr Diskutanten jedoch in den Ring steigen, desto deutlicher wird, dass die „Debatte“ auch dem dient, was Soziobiologen gerne als archaischen Drang der Männer erklären: Imponieren, Claims abstecken, Raum einnehmen. Es liegt nahe zu vermuten, dass hier einige der Ursprünge der Weisheitsliebe zu suchen sind. – Ach ja, hatte sich übrigens eine Frau an dem Schlagabtausch beteiligt?

Andrea Roedig


Der Beamte in uns
Axel Honneths Antwort auf Sloterdijk hat mich deprimiert. Am Ende seiner langen Kritik in der Zeit sorgt sich Honneth über einen ihm unerträglichen „Grad an Verspieltheit, an Ernstlosigkeit und Verquatscheit“ in „unserer demokratischen Kultur“. Was hat der Mann eigentlich gegen Verspieltheit? frage ich mich. Gott sei Dank sitzt der nicht zum Beispiel in unserer Redaktion, er würde auf jede halbwegs schräge Idee mit der Fliegenklappe hauen, muss ich denken, tut mir Leid.

Nun ja, dass der Spieltrieb unter der deutschen Linken nicht gerade ausgeprägt ist, gehört zu den bitteren Erkenntnisse nicht erst seit dieser seltsamen Debatte. Gerne erinnert man sich da an einen Heinrich Heine, aber der war ja Dichter, und nicht Denker, das will die deutsche Beamtenseele dann doch vermerkt haben. Notfalls greift unsereins halt zu Slavoj Zizek, ja, ja, auch so einer „der nur spielen will“, ich höre schon und mache deswegen lieber einen Vorschlag. Da die Selbstkritik einmal zu den großen Tugenden der Linken gehörte, möchte ich freundlich bitten, sich mal ganz ernsthaft mit den folgenden Fragen auseinanderzusetzen, wenigstens mir brennen sie unter den Nägeln:

– Es betrifft ja nicht nur Sloterdijk, sondern auch einen Norbert Bolz, der über Adorno promoviert und eines der intelligentesten Bücher über die zwanziger Jahre geschrieben hat (Auszug aus der verwalteten Welt), von Hans Magnus Enzensberger ganz zu schweigen: Wie kommt es eigentlich, dass Denker dieses Kalibers regelmäßig nach rechts oder wenigstens in die Mitte ausscheren? Für mich die Kardinalfrage.
– Wie kommt es, dass manche selbstberufenen Verteidiger der Sozialphilosophie so laut Gefahr! Gefahr! schreien müssen? Ist das Ausdruck einer intellektuellen Selbstüberschätzung oder vielmehr gerade das Gegenteil?
– Und warum sind die Abwehrreflexe so sehr an die Stelle der Denklust getreten? Warum ist die linksliberale Intelligenz so defensiv geworden, dass man sich bei ihren Texte außer an den stereotypen Vorwurf des „Neoliberalismus“ oft an nichts erinnern kann? Oder anders gefragt, warum lese ich Sloterdijk mit all seinen Fehlern und Verstiegenheiten immer noch lieber als die meisten seiner Kritiker?

Michael Angele


Im Mainstream
„Die Kritische Theorie ist gestorben“, meinte Peter Sloterdijk – aber nicht etwa in der aktuellen Debatte mit Axel Honneth. Bereits im September 1999 wollte der Karlsruher Totengräber in spe den Spaten schwingen und Erde auf das Grab des Verblichenen häufeln. Hiesige – und gerade Frankfurter Konservative – bekommen heute noch Tollwut, wenn sie den Namen Adorno nur hören; und in Frankreich tönt Präsident Sarkozy, er wolle jetzt endgültig den Geist der 68er beerdigen. Das muss eine seltsame und aufwändige Beerdigung sein, die so lange währt und so viel Personal bindet.

Wie munter allerdings die Kritische Theorie sein kann, ist leicht am Beispiel Sloterdijks zu illustrieren. Dieser möchte den Steuerstaat durch freiwillige Abgaben ersetzen. Natürlich will er das nicht wirklich – denn wer bezahlt dann zukünftig seine Pension, damit er auch im Alter rüstig denken kann? Aber Großthesen-Muftis seines Schlages werden gegenwärtig dringend benötigt – denn solch einen Vorschlag zu lancieren, in einer Zeit, in der es gerade auf die Besteuerung der Reichen und Superreichen ankäme, die seit drei Jahrzehnten den Steuerstaat schröpfen und plündern, ist schon ein starkes Stück.

Hier nun tritt der Kollege Adorno auf den Plan. Die Stärke der Kritischen Theorie lag für den Frankfurter Soziologen Heinz Steinert immer in ihrem selbstreflexiven Potential und in der Herrschaftskritik, die jenes ermögliche. Im Gegensatz zur projektemachenden angelsächsischen wie zur revolutionären französischen sei die deutsche Aufklärung, bedingt durch die Machtlosigkeit der Intellektuellen seit ihrem Hofmeisterdasein im 18. Jahrhundert, auf Reflexivität und Analyse der Herrschaft, ihrer Mechanismen und der aus ihnen folgenden Abhängigkeiten verwiesen.
Tatsächlich haben die Begründer der Kritischen Theorie dies auf hohem Niveau und mit viel Sensitivität kultiviert.

Statt Pessimismus und Verzweiflung domi-nierte bei ihnen das Bemühen um Orientierung auf einem Gelände, das keine -sicheren Unterstände bietet. Wenn also jetzt die neoliberale Ideologie erledigt ist, anderseits eine sich allmählich auf-rappelnde Linke noch ihre Themen und Projekte sucht, verbleibt den Großthesenmuftis, die Mainstream und Herrschaft verpflichtet sind, wenig anderes, als sich mit aufgedonnertem Nonsens zu profilieren und Verwirrung zu stiften.

Gerne tarnen sie sich dabei als Tabubrecher, aber auch das ist mittlerweile nicht mehr als ein running gag.
Wer in diesen Unwegsamkeiten den Durchblick bewahren, die Manöver des Gegners durchschauen und sich nicht den Kopf vernebeln lassen will, ist nach wie vor bei der Kritischen Theorie an der richtigen Adresse. Keine andere Theorie hat es sich in dieser akribischen Weise zur Aufgabe gemacht, dem Konformismus – gerade der Intellektuellen – auf die Schliche zu kommen. Dass sie dafür gehasst wird und die Totengräber immer mal wieder ihr Ableben annoncieren, ist nicht einmal erstaunlich.

Mario Scalla


Wellenreiter
Peter Sloterdijk ist kein Fall, der politisches Lagerdenken auf die Agenda setzte und bei dem ein missverstandener Sozialdemokrat gegen die schrille FDP-Sackpfeife in Schutz zu nehmen wäre. Er ist zunächst ein lernfähiger Sozialdemokrat in der Weise, als dass er das Schrödersche „Fordern“ metaphysisch verabsolutiert hat in ein Zeit und Welt umspannendes Übungsprogramm, das das Individuum in selbstüberfordernder Vertikalspannung halten soll.

Dass er den neoliberalen Stürmern des Sozialstaats damit Brücken baut und den „libertär-fiskalischen Semi-Sozialismus“ desavouiert, ist im Trainingstraktat schon nachzulesen und der Streikaufruf an die zahlungsunwillige Mittelschicht lediglich das Fanal des Provokateurs, der sich um die Folgen nie schert. Wie explosiv die Gemengelage aus Abstiegsangst, Affekt gegen „unproduktive“ Massen und elitärem Dünkel ist, weiß der einst luzide Diagnostiker der Weimarer Republik nur zu gut: Gar nicht mehr „sozialdemokratisch“ hallt da eine rechte Kulturkritik unseligen Angedenkens nach.

Sloterdijk allerdings nur als unernsten Apologeten abgabemüder Kulturpfründner zu erledigen, verkennt, was auf dem Spiel steht. Sloterdijk bezweifelt ja keineswegs nur die Kreditwürdigkeit des „kleptokratischen“ Staates und hetzt seine Gläubiger gegen ihn auf; er beschränkt sich auch nicht darauf, die aus der sozialstaatlichen Alimentation hervorgegangene Mediokrität zu geißeln, der er mit einer „Dschungelpädagogik“ aufhelfen will. Die von ihm als überlegen vorgestellten Techniken der Selbstoptimierung, der ethische Imperativ, nicht nur das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen, sondern sich in Spannung zur Realität zu „überheben“ und durch eiserne Disziplin zur Freiheit zu gelangen, setzt eine mentale Verfasstheit voraus, die sich immun macht gegen die genuin anthropologische Bedürftigkeit des Menschen.

Die Aufwertung, die Sloterdijk in einer Fußnote der (positiven) Eugenik zuteil werden lässt; die Nonchalance, mit der er der Selbstabschaffung durch Sterbehilfe die Rede führt; die Chuzpe, mit der er das Schicksal der „Überflüssigen“ in die Willkür der Zahlungsfähigen stellt: Trainiert wird hier ein antitherapeutisch gestimmter Habitus, „Wellenreiter im harten Zeitgeist“, die er selbst einmal in seiner Kritik der zynischen Vernunft besichtigt hatte. Akrobatisch ist an dieser Ethik vor allem der Zynismus, der von der Unterlassung lebt. Und von einem Steuerstaat, der ihn alimentiert.

Ulrike Baureithel


Das denkt Amerika
Inzwischen ist so gut wie jeder lebende Philosoph, der mir etwas bedeutet – oder zumindest früher einmal etwas bedeutet hat – in dieses bizarre Scheingefecht 
verwickelt. Ich selbst halte mich da raus, will friendly fire vermeiden, denn egal, 
um wen es sich handelt: Ich stehe auf der anderen Seite. Sie fragen, wie das möglich ist? Nun, der Streit wird unaufrichtig 
geführt, man verfolgt jeweils ganz andere und zudem vollends disparate Anliegen. Und wer sich nicht verstehen will, sollte auch nicht miteinander streiten. So erklärt eine Nachricht die Schieflage in der 
Diskussion am treffendsten, die mich kürzlich erreichte. Ein geschätzter Kollege, der sich derzeit in den USA aufhält, wurde dort verschiedentlich gefragt: „Gibt’s 
etwas Neues in der Sloterdijk-Honecker-
Debatte?“
Arnd Pollmann
Er lehrt Philosophie in Magdeburg

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