Die absurdeste Erklärung für das Attentat auf den libanesischen Industrieminister Gemayel verbreiten die Forces Libanaises, die größte christliche Partei in der Regierung Siniora: Syrien stehe hinter dem Anschlag, weil es den von der UNO geplanten Internationalen Gerichtshof über den Tod von Ex-Premier Hariri verhindern wolle. Eine These, die auch hierzulande mit Hingabe kolportiert wird. Als ob nicht ein weiterer politischer Mord nach dem Hariri-Muster die Vereinten Nationen nur darin bestärken muss, auf ihrem Tribunal zu bestehen. Zuweilen aber gelten Verschwörungstheorien per se als "richtig", wenn sie den richtigen Feindbildern dienen und weniger der Logik.
Davon abgesehen gehört schon viel Perfidie dazu, Syrien quasi im gedanklichen Handstreich als notorischen Wiederholungstäter und Urheber des libanesischen Dramas auszurufen. Als wäre in diesem Sommer nicht Israel, sondern Syrien im Libanon einmarschiert. Als hätte nicht die israelische, sondern die syrische Luftwaffe über Wochen Beirut bombardiert. Als wären dabei nicht Tausende von Toten und Hunderttausende von Flüchtlingen zu beklagen gewesen. In hiesigen Medien verkümmert offenbar zusehends die Fähigkeit, unvoreingenommen zu urteilen. Stattdessen grassiert die Neigung, internationale Vorgänge, zumal solche im Nahen Osten, durch das Raster eines apodiktisch aufgeladenen Freund-Feind-Denkens und einer unangenehm auftrumpfenden Moralität zu pressen, auf dass eigene Welt-Bilder gleisnerische Beschönigung erfahren. Der Abstand zu George Bushs missionarischem Gehabe ist dabei nicht so groß wie oft aus Prestigegründen behauptet.
Warum sollte sich Syrien ausgerechnet jetzt vor aller Welt als "Schurke" zu erkennen geben, wenn sogar der US-Präsident, dem das Land dieses Stigma zu verdanken hat, nicht mehr ausschließen kann, sich auch dank syrischer und iranischer Handreichung aus dem irakischen Sumpf zu ziehen? Syrien und Iran gewinnen als Nachbarn absolut nichts, verfällt der Irak einem Amoklauf der Gewalt. Warum also daraus kein politisches Kapital schlagen? Für die Bush-Regierung mag das dem Sprung über den eigenen Schatten gleichkommen. Sich mit Damaskus und Teheran zu arrangieren, hieße den Totalbankrott des Greater Middle East eingestehen, der sowohl mit Blick auf die syrische wie die iranische Führung auf "regime change" plädierte. Doch dank einer regionalen Verständigung einen irakischen Bürgerkrieg zu verhindern, erscheint allemal sinnvoller, als auf ein stärkeres Engagement des Westens zu setzen, der in Bagdad nur als Konkursvollstrecker der Amerikaner empfunden und vermutlich scheitern würde.
Freilich wird es diesen Ausweg nur geben, wenn dabei auch an die Interessen Syriens und Irans bedacht werden: Ein gerechter Frieden mit Israel und die Rückgabe der Golan-Höhen allemal, die Akzeptanz eines zivilen Gebrauchs der Kernenergie durch den Iran ebenso, dessen Sicherheitsbedürfnisse als legitim respektiert werden. Gewiss für die Amerikaner ein extrem hoher Preis. Zu hoch, wie anzunehmen ist, auch wenn außer Frage steht: Er dürfte kaum fallen, solange der Irak am Rande der Selbstzerstörung wandelt.
Wie die "Entente der Schurken" Gestalt annimmt, haben am 21. November Syriens Außenminister al-Muallim und sein irakischer Amtskollege Hoshiar Zebari mit der Wiederaufnahme ihres diplomatischen Verkehrs zu erkennen gegeben. In dieser Woche gab es quasi als Fortschreibung den iranisch-irakischen Gipfel zwischen den Präsidenten Achmadinedschad und Talabani in Teheran, wozu ursprünglich auch Syriens Staatschef Bashar al-Assad stoßen sollte, der jedoch mit den USA direkt verhandeln will. Und wohl damit spekuliert, dass eine Zeit heranreift, in der die Amerikaner den Golan als Gegenleistung für syrische Hilfe im Irak anbieten und Israel dem zustimmen muss, will es seine strategische Allianz mit Washington nicht über Gebühr belasten. Al-Assad wird hoffen, darauf nicht so lange warten zu müssen, wie das seinem Vater beschieden war, der deshalb nach Umwegen suchte. Sie führten ihn nicht zuletzt in den Libanon.
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