FREITAG: Die NATO will ihre afghanische Präsenz deutlich verstärken, trotz der extrem instabilen Lage im Süden und Osten des Landes. Könnte Afghanistan zum Irak der NATO werden?
WILLY WIMMER: Das will ich nicht hoffen, obwohl die momentane Lage auch in Deutschland immer mehr besorgte Stimmen hervorruft, die dazu auffordern, dieses Engagement zu überdenken.
... und zu reduzieren?
Man muss in alle Richtungen denken. Vieles spricht dafür, den dortigen NATO-Einsatz vorrangig deshalb zu überprüfen, weil er der afghanischen Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird. Im Süden geht es immer weniger um Anti-Terror-Kampf als um ein Niederkämpfen der nach Wiedervereinigung strebenden paschtunischen Stämme in einem Gebiet, das bis ins nördliche Pakistan hinein reicht.
Hieße Wiedervereinigung, die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan zu verändern?
Das ist der zentrale Punkt des Konflikts zwischen beiden Staaten seit dem schrecklichen Tod des einstigen afghanischen Präsidenten Najibullah Ende September 1996. Als seinerzeit die Taliban Kabul eroberten hatten, weigerte sich Najibullah als deren Gefangener in seinen letzten Stunden offenkundig, die fortgesetzte Gültigkeit der so genannten "Durand-Linie" aus kolonialer Vorzeit anzuerkennen, mit der einst die Teilung der Paschtunen festgeschrieben wurde. Dafür hat er mit dem Leben bezahlt - und diesem schrecklichen Beispiel mussten seither viele Afghanen folgen. Eine solche Politik der Separation haben heute auch all jene Mächte zu verantworten, die in Afghanistan militärisch oder anderweitig präsent sind.
Denn was wir dort tun, wird weder der usbekischen, noch der tadschikischen, der iranischen oder paschtunischen Komponente dieses Gemeinwesens gerecht, um die wichtigsten Ethnien aufzuzählen, denen die Politik in Afghanistan Rechnung tragen muss. Stattdessen versucht man, sich durch den Paschtunen Hamid Karsai - einen Präsidenten, der sich nur dank amerikanischer Bajonette halten kann - ein symbolträchtiges Alibi zu verschaffen. Die wirklichen Interessen der Paschtunen werden dadurch übergangen.
Hält man sich dieses Konfliktfeld vor Augen, ist um so weniger einzusehen, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr immer weniger einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Teilen Sie dieses Unbehagen?
In der Tat wächst seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 der Unmut im Bundestag über die Auslandseinsätze. Nicht zuletzt, weil deren Modalitäten zuweilen in höchstem Maße fragwürdig sind. Bezogen auf Afghanistan will ich dabei auf einen Umstand aufmerksam machen, der aus meiner Sicht, erhebliche Probleme aufwirft. Ich meine den Schutz des deutschen Feldlagers in Faisabad durch afghanische Kontraktfirmen. Wir wissen durch die Anschläge, denen deutsche Soldaten aus dem Camp Warehouse bei Kabul zum Opfer fielen, dass dabei Informationen von afghanischen Hilfskräften den Attentätern in die Hände gespielt haben. Angesichts dieser Erfahrung den Schutz von Faisabad afghanischen Dienstleistern zu überantworten, halte ich für absolut leichtfertig.
Geschieht das, weil entsprechende Ressourcen der Bundeswehr erschöpft sind?
Es gibt einen generellen Trend - und das wird auch durch Bestrebungen erkennbar, die Logistik-Komponente der Bundeswehr auf ein börsennotiertes Unternehmen zu übertragen -, der bei den Armeen der USA und Großbritanniens seit geraumer Zeit zu beobachten ist: Man nimmt zentrale militärische Dienstleistungen aus der staatlichen Verantwortung, um sie von privaten Firmen ausführen zu lassen. Für die Bundeswehr könnte das verhängnisvoll werden.
Wegen der unklaren rechtlichen Grundlagen?
Bezugspunkt kann in dieser Hinsicht nur das Völkerrecht sein. Wer das zugrunde legt, wird schnell erkennen, dass man sich mit einem solchen Outsourcing voll in einer rechtlichen Grauzone befindet. Auch das innerstaatliche Recht bietet keine Handhabe für derartige Bestrebungen, weil es laut Grundgesetz an das Völkerrecht gebunden ist.
Nun gab es am Rande des jüngsten Treffens der NATO-Verteidigungsminister die Forderung, das Soll interventionsfähiger Soldaten auf 300.000 für maximal acht Kriegseinsätze zu erhöhen. Ein qualitativer Sprung?
Das ist insofern aufschlussreich, als wir seit der im Frühjahr 1999 erfolgten Veränderung der NATO-Charta im Bündnis einen Trend feststellen, Vorfestlegungen zu treffen, die globalen Militäreinsätzen gelten. Nationale Parlamente wie etwa der Deutsche Bundestag, der die Bundeswehr als Parlamentsarmee betrachtet, werden mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. So ist kein unabhängiges Votum mehr möglich, ohne die NATO oder die EU auseinander zu treiben - Abstimmungen werden zur Farce.
Verhält es sich bei der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr während der Fußball-WM nicht ähnlich?
Man muss dazu fairer Weise angesichts bisheriger Großereignisse in Deutschland sagen, dass die Bundeswehr hier durchaus sinnvolle, von allen geteilte Einsätze ausführen kann. Man sollte auch nicht versuchen, die Streitkräfte in eine bestimmte Ecke zu drängen, um durch die Diskussion über einen derartigen Einsatz ganz andere Ziele verfolgen zu können. Weder die Bundeswehr noch ihre Soldaten verdienen das. Andererseits habe ich den Eindruck: Im Vorfeld des neuen Weißbuchs der Streitkräfte und von Überlegungen, das Grundgesetz nach der Verpflichtungslage in der NATO zu ändern, soll nachträglich legitimiert werden, was wir in den vergangenen Jahren an Bindungen eingegangen sind. Die standen rechtlich auf einer äußerst fragwürdigen Basis. Höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wie des Bundesverwaltungsgerichts haben das bestätigt. Jetzt wird versucht, eine nachträgliche Amnestie für vorheriges Tun anzustreben. Für mich trägt die Kontroverse um den Einsatz des Bundeswehr während der WM gleichfalls Züge einer nachgelagerten Debatte.
Das Gespräch führte Lutz Herden
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