Giftgrüne Farbe hatten die Umweltaktivisten von Extinction Rebellion am Morgen des Ausstellungsbesuches in die Spree gekippt, um auf verschmutze Gewässer hinzuweisen. Die Bilder davon trieben anschließend durchs Internet und wirkten ein bisschen so, als wäre die Ausstellung der Künstlerin Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof, der ja direkt an der Spree liegt, ausgelaufen.
Denn auch die Künstlerin hat mit Farbe wahrlich nicht gespart, hat alles damit vollgesprüht: den Boden der weiten „Historischen Halle“, auch die riesige Styropor-Form, die sich darin auftürmt und in der Kunstkenner Caspar David Friedrichs Eismeer sehen wollen – die Farben schmelzen bis nach draußen: Grün. Viel Rot, Lila, Blau, Gelb, Orange verlaufen ü
nge verlaufen über das große Areal. In Schichten fallen sie über- und ineinander, als hätten die Sprühenden getanzt, gekämpft. Manchmal meint man im Muster materialisierte Geschwindigkeit zu sehen – oder ein Reptil, dann nur die eigenen Füße, wenn man durchs Bild läuft, also darübertrampelt und so zum Teil davon wird.Von der Halle aus malt sich Grosse in den Außenraum, über Vorplatz, Abschüsse, um Ecken, an Kanten und die Wände der Riekhalle hoch, nur die Abschlepp-Warnschilder, die Laternen, die Amseln und das Gras bleiben frei. Und so entstehen inmitten der Malerei zufällig immer mehr Bilder.Bei der international erfolgreichen Künstlerin (Biennalen, MoMA, etc. pp.) spielen zwei Dinge immer wieder eine Rolle: die Größe der „Leinwand“, die mal ein Wohnzimmer ist, ein andermal U-Bahn-Station oder Strandabschnitt, sowie die Aufgabe der Betrachter im Werk der Künstlerin. In Interviews gibt sie diesen expliziter als KollegInnen einen Anteil am Erschaffen: Durchs Anschauen transformiert das Werk – wie auch durch wahrgenommene Ereignisse in und um es herum.Was hier passiert: Während grüne Farbe die Spree entlangfließt, fährt im besprühten Außenbereich des Hamburger Bahnhofs ein fetter Mercedes über Grosses Werk. Einfach so drüber. Danach nutzt ein Jaguar ihre Kunst als Wendefläche. Ein Hund pinkelt an die Hecke, die ihrem Bild einen Rahmen gibt, Birken in der Mitte des Platzes, der zum Grosse-Werk geworden ist, wirken wie immer wie ein Mahnmal an uns Deutsche. Und in einer Pfütze auf türkisem Grund spiegelt sich das Nichts. Jemand steht im Bild und sagt: „Das ist keine klassische Malerei.“ Wenn derart einfallslos über Kunst gesprochen wird, ist das meist kein gutes Zeichen. Aber es stimmt ja. Keine klassische Malerei hier, sondern Aneignung von Raum, die das Gemälde auflöst, indem es von innen betrachtet werden muss. In dem Architektur zur Skulptur wird und der Betrachter zum Akteur, ihm also (wichtig!) Verantwortung gegeben wird, weil er der Freiheit der Farben nachspüren und Grenzen der eigenen Wahrnehmung antasten muss. It Wasn’t Us heißt die Ausstellung, an der Grosse und Team über ein Jahr arbeiteten und für die es – dank Corona – lange keine Deadline gab. Ein Titel, der so klingt, als gingen die UrheberInnen mit erhobenen Händen rückwärts aus dem Raum oder als wollten sie mit all dem nicht in Verbindung gebracht werden.Die ganze GesamtscheißeSicherlich entzieht sich Grosses Kunst einer Aussage, wie sie Extinction Rebellion trifft. Doch der Titel könnte auch ein Anprangern der Gesamtscheiße sein, die andere verursachen, als hielten die AusstellungsmacherInnen Pistolen in der Hand, um sie auf Brüste zu setzen und Verantwortliche zum Handeln zu zwingen. „Wie wollen wir zusammen leben – spirituell und materiell einander gegenseitig transformierend?“, fragt Grosse im Ausstellungskatalog. Und fragt man sie dann, hier neben den großen Farben, was die spirituelle Transformation denn um Himmels willen bedeuten soll, antwortet sie: „Keine Angst haben, vor dem was möglich ist.“ Oder: Habe Mut, selbst mitzuwirken?Auch wenn das Einnehmen der Umwelt als Leinwand in Grosses Werk vielleicht schon einmal eindrücklicher wirkte, etwa als sie ein vom Hurrikan Katrina zerstörtes Haus rot sprühte, ist ein Besuch dieser Ausstellung zu diesem Zeitpunkt eine angenehme Befreiung. Weil nach all dem Meinungs-Overload, durch ungefragte Privatvorträge über Anti-Körper, Resilienz und Wirksamkeit von Masken diese Räume eben nicht überfallen, sondern das subjektive Empfinden zwar in den Vordergrund stellen, dabei aber ständig auf die eigene Verantwortung hinweisen. Denn die Kunst von Grosse muss man sich erarbeiten, indem man selbst das Blickfeld bestimmt. Man kann sich selbst da nicht raushalten. Und man möchte dann auch gar nicht zu lange mit der bei der Presseführung anwesenden Künstlerin sprechen, aus Angst, sich die eigene Sichtweise zu versauen. Aber eine kurze Frage, Frau Grosse: Ist das die richtige Spur, dass all das hier Mündigkeit anleiern soll? „Interessant. Ja, ja, absolut.“Und so wandelt man in Farbe und denkt nach, was der Mündigkeit, der Eigenverantwortung dann folgen könnte. Fürsorge? Wer sich mit alldem grundsätzlich beschäftigt, kann man bei (sich und) den Besuchern der Ausstellung gut beobachten. Wer fragt die Ordner, ob das Werk betreten werden darf? Wer trägt eine Maske? Wer fährt mit der Karre drüber? Und wer stört sich dran? Sapere aude! und so, verpflichtet aber zur Verantwortung. Farbe macht das sichtbar.Placeholder infobox-1
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