Dr. Wladimir Wladimirowitsch Putin

Universität Hamburg Heftiger Streit um die Verleihung einer Ehrendoktorwürde

Michael Greven, Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, wundert sich ein bisschen über das Medienecho, das er selbst ausgelöst hat. Dass die lokale Presse sich für seine Protestaktion interessieren würde, das hat er gehofft. Dass aber auch überregionale Zeitungen, Funk und Fernsehen von ihm wissen wollen, warum er in einem Aufruf gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an Wladimir Putin protestiert, das hat er nicht vorhergesehen, obwohl er es hätte ahnen können. Denn der universitäre Akt soll Anfang September im Rahmen eines deutsch-russischen Regierungstreffens vollzogen werden. Gerhard Schröder wird also auch dabei sein.

"Ich möchte noch einmal betonen", sagt Greven, Mitbegründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie und seit 30 Jahren Mitglied der Humanistischen Union, "dass es mir darauf ankam, innerhalb der Universität und besonders gegenüber den Studierenden, deutlich zu machen, dass im Kollegium keine kritiklose Hinnahme einer solchen Ehrendoktorverleihung besteht."

In dem Aufruf, der seit Anfang des Monats in der Universität zirkuliert und bisher von 53 Professoren unterzeichnet wurde, verweist Greven auf die Promotionsordnung des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, die eine Außerordentliche Promotion nur "in Anerkennung hervorragender wirtschaftswissenschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Leistungen" vorsieht. Die habe der Präsident nicht vorzuweisen.

Aber auch als Persönlichkeit könne Wladimir Putin nicht akademisch geehrt werden, da er "den entsprechenden Maßstäben" nicht genüge. Er sei für den Krieg in Tschetschenien verantwortlich, "der täglich Opfer fordert". Unter seiner Führung nehme die junge russische Demokratie "zunehmend autoritäre Züge" an und sei dabei, sich in einem "schleichenden Regimewechsel" in ein "plebiszitär nur scheinbar legitimiertes persönliches Regiment des Präsidenten" zu verwandeln. Die Presse werde unterdrückt, die Justiz instrumentalisiert. Deshalb sei eine akademische Würdigung dieses Mannes "unangebracht".

Dieser Meinung war auch die Hamburger Presse, die der geplanten Ehrung schon aus Solidarität mit den eingeschüchterten russischen Kollegen nicht applaudieren mochte und den "Ehrendoktortitel mit Beigeschmack", so das Hamburger Abendblatt, ebenfalls zur Frage von Moral und Anstand beförderte.

Damit war ein "Putin-Streit" entbrannt, der um so peinlicher ist, als Hamburg seit fast 50 Jahren eine enge Städtepartnerschaft mit Leningrad/St. Petersburg unterhält, wo Russlands Staatschef 1952 geboren wurde. Der Streit eskalierte, als zwei ehemalige Erste Bürgermeister sich in einer Art einmischten, die hanseatischem Habitus nicht entspricht. So nannte Klaus von Dohnanyi (SPD) die Kritiker der Ehrung "Moralhüter" und warf ihnen vor, einen "Hamburger Skandal" inszeniert zu haben, während Henning Voscherau (SPD) die Diskussion als "provinzielles Sommertheater" bezeichnete und forderte, die Kritiker sollten lieber "das Maul halten".

Aufgebracht sprach auch Gerhard Weber, Vorsitzender der Deutsch-Russischen Gesellschaft, von einem "kleinkarierten Streit auf dem Rücken des Präsidenten und der bewährten Städtepartnerschaft", die nicht gefährdet werden dürfe. Und auch Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, mahnte im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung Russlands für die Hansestadt ein Ende des Streits an.

Eine Idee lag in der Luft

Ihren Ursprung finden die Hamburger Aufgeregtheiten im April 2003, als Kanzler Schröder den Dr. iur. h.c. der Juristischen Fakultät der Staatsuniversität St. Petersburg erhielt. Im Senatssaal auf der Wassilij-Insel folgte auch Schröders Duzfreund Putin der Zeremonie, die ihm keineswegs fremd war. Bevor er zum KGB ging, hatte er selbst an dieser Fakultät studiert. Auch war er hier bald nach Beginn seiner Präsidentschaft zum Dr. iur. h.c. gekürt worden. Mittlerweile besitzt er sechs Doktorhüte. Unter den Gästen der vorjährigen Aprilfeier war auch Universitätspräsident Jürgen Lüthje, der wohl schon an der Newa die Idee hatte, eine ähnliche Würdigung Putins an der Elbe vorzunehmen. "Die Idee lag", so sagt jedenfalls Vizepräsident Karl-Werner Hansmann, "in der Luft."

Allerdings trug Lüthje die Idee dann nicht etwa den Juristen vor, was naheliegend gewesen wäre, sondern den Wirtschaftswissenschaftlern, die sich vor Jahren nicht in der Lage gesehen hatten, Helmut Schmidt zu ehren. Überhaupt nimmt die Universität Hamburg notorisch ungern Ehrenpromotionen vor. Den Vorschlag, Wladimir Putin den Dr. rer. pol. h. c. anzutragen, griffen die Ökonomen hingegen gern auf. "Einige dachten wohl, dadurch zeichne sich der Fachbereich aus", meint der Volkswirtschaftstheoretiker Manfred Holler, der aus dem Fachbereichsrat austrat, weil er eine Entscheidung für Putin nicht mittragen wollte. "So was geht doch nicht, man hört zum ersten Mal davon und soll sofort abstimmen." Die erforderliche Drei-Viertel-Mehrheit kam nicht zustande.

Erst am 21. Dezember 2003, genau zwei Wochen nach den Wahlen zur Staatsduma, die vom Europarat als "frei, aber nicht fair" bezeichnet wurden, der Kreml-Partei aber eine willige Zweidrittelmehrheit im Parlament bescherten, beschloss der Fachbereichsrat Wirtschaftswissenschaften dann doch die Ehrung, handhabte seinen Beschluss aber so diskret, dass die Öffentlichkeit davon erst Ende Februar erfuhr.

"Ich dachte, das kann doch wohl nicht ernst gemeint sein", erinnert sich Uwe Giffei von der kirchlichen Flüchtlingsberatungsstelle Fluchtpunkt, die auch Tschetschenen betreut. Doch der "Aufschrei" auf dem Campus, den Giffei erwartete, kam nicht, so dass er selbst begann, Kommilitonen und Professoren zu informieren, "die das alle nicht wussten".

Hamburgs Unternehmer schätzen Putin

Erst im Mai erfuhren die Dekane informell von der geplanten Ehrung - und seither ist die Universitätsleitung in Erklärungsnot. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde setzt, so erläutert Vizepräsident Hansmann, "wissenschaftlich überdurchschnittliche Leistungen" oder "praktische Leistungen" voraus, die "einer wissenschaftlichen Leistung ebenbürtig sind". Hiervon ist in der Promotionsordnung des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, dem Hansmann angehört, aber nicht die Rede.

Und was Wladimir Putins "praktische Leistungen" angeht, so wurde er nach fünfjährigem Dienst in Dresden und der Rückkehr in die UdSSR im Sommer 1991 von Professor Anatolij Sobtschak, dem ersten frei gewählten Bürgermeister der Newa-Metropole, mit der Leitung des "Komitees für auswärtige Beziehungen" betraut. Als Leiter dieses Komitees begleitete Putin seinen Chef auf vielen Auslandsreisen und stieg 1994 zu einem seiner drei Ersten Stellvertreter auf.

Dennoch hatte er zwei Jahre später offenbar Zeit genug, um mit einer Arbeit über Die Strategische Planung der Reproduktion der mineralischen Rohstoffbasis einer Region unter den Bedingungen der Herausbildung marktwirtschaftlicher Beziehungen den akademischen Grad eines Kandidaten der Wirtschaftswissenschaften der Petersburger Bergakademie zu erwerben, der etwa einem deutschen Dr. rer. pol. entspricht. Allerdings habe niemand, so erinnert sich ein Petersburger Journalist, den zu jener Zeit auch in diversen Wahlkämpfen engagierten Ersten Stellvertretenden Bürgermeister an der Bergakademie studieren oder forschen sehen.

Worin bestehen also die "praktischen Leistungen", die eine akademische Ehrung rechtfertigen? Als Mitarbeiter von Bürgermeister Sobtschak habe Putin, so erläutert Professor Hansmann, "die Transformation dieses sozialistischen Blocks der alten kommunistischen Sowjetunion in eine Marktwirtschaft für den kleinen Bereich Petersburg plus Umland, wir sagen da Nord-West-Russland, geplant und selbst umgesetzt. Das hat nicht der Bürgermeister gemacht, weil der kein Fachmann war, sondern das hat Putin gemacht." Und eben diese Leistung sei "sehr hoch anzurechnen, weil es keine Modelle im Westen gab, wie man so was macht".

Doch Wladimir Putins entscheidende Rolle bei der "Einführung der Marktwirtschaft in St. Petersburg" ist nirgends belegt. Für Wirtschaft und Finanzen waren die beiden anderen Ersten Stellvertreter Sobtschaks zuständig. Wohl aber hat Putin sich um die Außenhandelsbeziehungen von St. Petersburg gekümmert, und das ist es, woran Hamburger Unternehmer sich gern erinnern. "Herr Putin war ein Ansprechpartner", sagt Hans-Jörg Schmidt-Trenz, "der für Hamburger Interessen ein Ohr hatte und mit dafür gesorgt hat, dass ein vernünftiges Geschäftsgebaren im Wirtschaftsverkehr zwischen Hamburg und St. Petersburg möglich war."

Kurzum: die Hamburger Wirtschaftswissenschaftler, unter ihnen kein einziger Russland-Experte, wollen Wladimir Putin nicht als Gesamtpersönlichkeit würdigen, sondern für seine Bemühungen um die Marktwirtschaft in St. Petersburg. Alles andere ignorieren sie, den zunehmenden Staatsdirigismus in der Wirtschaft oder den sozialen Absturz eines Drittels der Bevölkerung oder den Personenkult um den Präsidenten. "Das ist moralisch sehr anfechtbar", sagt Michael Greven, der seine Unterschriftensammlung fortsetzt.

Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Wladimir Putin soll am 10. September um 15.00 Uhr im Ostflügel des Universitätshauptgebäudes stattfinden, übrigens ohne entsprechendes Fachsymposium als Resonanzboden der Ehrung. Amnesty international, Pro Asyl und andere haben mit dem AStA Gegenveranstaltungen angekündigt. "Es geht um den Ruf unserer Universität", sagt AStA-Vorsitzender Nikolai von Podlewski, "der Ehrendoktor für Putin ist ein politisches Geschenk, das wir uns nicht leisten können."


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