Nach dem ersten Wahlgang in Ungarn werden künftig nur noch drei Parteien in der Nationalversammlung sitzen: die Sozialisten (MSZP), die Wahlkoalition aus den bisher regierenden Jungdemokraten und dem Demokratischen Forum (Fidesz/MDF) und der Bund Freier Demokraten (SZDSZ). Nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kam die Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben (MIEP). Nach dem geltenden Wahlrecht kommt es nun am 21. April zu einer Stichwahl zwischen den Direktkandidaten, die im ersten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit erhielten.
Nur über Ostern durfte es in der "heißesten Phase" des Wahlkampfes eine kurze Pause geben. Alle Parteien hatten verkündet, ihre Kampagnen über die Feiertage einzustellen, damit das Land in Würde der Auferstehung Jesu Christi gedenken könne. Anscheinend stand auch den Politikern der Sinn nach Sammlung und Ruhe, um ihr seit Anfang März einstudiertes Tagesprogramm aufzulockern und neue Kraft für die letzte Schlacht zu sammeln. 48 Stunden lang gab es weder Live-Interviews noch Wahlkampfreden. Von totaler Funkstille konnte jedoch keine Rede sein, zur gleichen Zeit flimmerten unentwegt die bezahlten Werbespots der Parteien über die Mattscheiben von 2,6 Millionen ungarischen Fernsehgeräten. Bezahlt ist bezahlt, mochten sich die Werbekunden denken, wohingegen die Bürger des Landes mit Argusaugen Nachrichten über Kosten und Fehlgriffe der Kampagne verfolgten - schließlich ging es um ihre Geldbörse. Während die Oppositionsparteien ihre Aktionen aus dem eigenen Etat finanzierten, belasteten die Mentoren des groß angelegten Werbefeldzugs der konservativen Jungdemokraten (Fidesz) den Haushalt des Landes mit der Begründung, die führende Partei vertrete die Interessen der Regierung.
Rot-weiß-grün bis zum Schluss
Die Zentrale für das Landesimage - eine Behörde, die vor wenigen Jahren von Premier Viktor Orbán (Fidesz) gegründet wurde, griff besonders tief in ihr Budget: Seit Herbst zehn Milliarden Forint für die Bewahrung des guten Rufes einer Regierung, die in der Legislaturperiode 1998-2002 das Land "hin zum Tor der EU" gesteuert hat. Zugleich strebte die "Equipe Orbán" soziale Pluspunkte an: Mit der Wiedereinführung des Kindergeldes, Steuervergünstigungen für Großfamilien, der Garantie kostenloser Ausbildung an den staatlichen Universitäten, mit günstigen Krediten für den Wohnungsbau. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs seit 1998 durchschnittlich um 4,6 Prozent pro Jahr.
Wäre es nach der "Imagezentrale" gegangen, hätte man die weniger gelungenen Aktionen der Regierung einfach wegretuschiert. Die rivalisierenden PR-Firmen aber trugen neben dem Wahlkampf eigene Diadochenkämpfe aus. Und die Linksliberalen (SZDSZ) und die Sozialisten (MSZP) - Koalitionspartner zwischen 1994 und 1998 - ließen dabei keine Gelegenheit aus, um Orbáns Schwächen bloßzulegen. So erfuhren die Wähler die "bittere Wahrheit", dass der Wahlslogan des Premiers "Die Zukunft hat bereits begonnen" vor einiger Zeit in Westeuropa zum Kauf von Black lockte. Orbáns soziale Vision "Drei Zimmer, drei Kinder, vier Räder für jede Familie" wurde von einem österreichischen Autoproduzenten entliehen, der seinen Puch-Wagen einst mit dem etwas bescheideneren Etikett "eine Frau, zwei Kinder, drei Zimmer und vier Räder" auf den Markt geworfen hatte.
Was Zukünftiges betraf, versuchte Viktor Orbán das Drehbuch einer goldenen Ära zu platzieren: 2002 - der eigene Wahlsieg, 2004 - Ungarn in der EU, 2007 - Einführung des Euro und als Sahnehäubchen: 2012 - Olympische Spiele in Budapest. Letzteres sollte die sportfreudigen Magyaren mit Stolz erfüllen, obwohl über das Schicksal des Antrags noch niemand Sicheres sagen kann.
Außerdem wurden kostspielige Aktionen lanciert, die auf den ersten Blick mit dem 7. April nichts zu tun hatten. So die feierliche Überführung der Stephanskrone aus dem Nationalmuseum ins Parlament und die Eröffnung eines Museums des Terrors, in dessen Räumen die Gräuel des Kommunismus die Verbrechen des Faschismus maßlos überrunden. Schließlich die Tausendjahrfeier des ungarischen Staates - organisiert von der Fidesz-Firma Happy End GmbH kostete sie Milliarden Forint, die Rechnung für das Feuerwerk ist bis heute nicht beglichen.
Selbst den Nationalfeiertag am 15. März, an dem der Märzrevolution von 1848 gedacht wird, verschonte man nicht mit Wahlgetöse. Ein regierungsnaher Bürgerverein rief dazu auf, die rot-weiß-grüne Kokarde, die man gewöhnlich nur an diesem Tag ansteckt, als Zeichen der Sympathie für die Nationalkonservativen bis zum Wahltag zu tragen - eigentlich eine Verhöhnung des Prinzips der geheimen Abstimmung. Eifrige Anhänger der Regierung steckten die Kokarde auch an die Halsbänder ihrer Hunde, während jene Fußgänger ohne nationale Farben gleich in Verdacht gerieten, "rot" zu sein.
Teil der Fidesz-Werbung war auch ein bombastischer Spielfilm mit einem bombastischen Budget von 1,8 Milliarden Forint. Der Brückenmensch erzählt vom konservativen Reformpolitiker des ungarischen Vormärz Stephan Graf von Széchenyi. Eine zweifellos charismatische Persönlichkeit - er nahm sich aus Verbitterung über die Niederlage der von ihm nicht herbeigewünschten Revolution das Leben. Der Hauptdarsteller des Films weigerte sich, den Freitod zu spielen und konnte sich damit gegenüber Drehbuch und historischen Fakten durchsetzen.
Schleunigst aufhängen
Manch Politiker war nicht so feinfühlig und predigte geradezu den Suizid - für den Gegner. So der Fidesz-Vizechef László Kövér, der Ende März in der Provinzstadt Nagykörös kundgetan hatte: "Diejenigen Bürger, die keine Visionen haben und nur herummeckern, sollen sich lieber aufhängen, da es für sie eine noch größere Strafe wäre, am Leben zu bleiben, denn dann werden sie gezwungen mitzuerleben, wie die Regierung ihre Visionen in Taten umsetzt." Das war beileibe kein Ausrutscher, denn Kövér fuhr fort: "Es existieren zwei Typen in Ungarn. Da sind die Vaterlandsverräter, die den Untergang der Nation wünschen, und jene, die auf der richtigen Seite für die Auferstehung des Landes kämpfen. So verkünde ich denen meine Botschaft, die für den Tod des Landes sind: Ihr solltet mit gutem Beispiel vorangehen und euch schleunigst aufhängen."
Wohlgemerkt wird Kövérs Partei nicht als rechtsradikal eingestuft. Die als solche unbestritten identifizierte wiederum, die loyal-oppositionelle MIÈP (Partei für Ungarische Gerechtigkeit und Leben) setzte auf "konstruktive" Slogans wie: "Weder rechts noch links, sondern christlich und ungarisch". Solche Aufkleber schmückten wochenlang die Rolltreppen der Budapester U-Bahn. Darüber sprach Parteichef Csurka an besagtem Nationalfeiertag auf dem Heldenplatz. Ungefähr 100.000 jubelten nach den donnernden Worten: "Zunächst gilt als erstrebenswert, aus der Rumpfheimat Großungarn wiederherzustellen, den ungarischen Boden in ungarische Hände zurückzugeben, damit die ungarischen Familien sich darauf vermehren und entfalten können."
Nach alledem tat es gut, am 7. April kurz vor Mitternacht das mit heiserer Stimme vorgetragene Eingeständnis der Wahlniederlage aus dem Munde des rechtsradikalen Parteichefs zu hören - die Mehrheit der Wähler stimmte gegen seine antisemitischen, ausländer- und EU-feindlichen Parolen.
Eindeutig sei, so der MSZP-Vorsitzende László Kovács, dass eine potentielle Mehrheit für die Ablösung der jetzigen Regierung sei. Wenn nun die kleinen liberalen oder linken Parteien - auch die unter fünf Prozent gebliebenen (Zentrumspartei und kommunistische Arbeiterpartei) - in der zweiten Runde ihren Wählern die Unterstützung der stärkeren linken Partei empfehlen, ist der Sieg der MSZP so gut wie sicher. Allerdings werden sie dies nicht aus reinem Altruismus tun - zähe Verhandlungen über die Zusammensetzung der Regierung stehen an. Das Programm der Sozialisten soll sich von dem des bisherigen Kabinetts vor allem durch Verzicht auf einen autoritären Stil und durch mehr Verteilungsgerechtigkeit unterscheiden.
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