Dynamo-Randale: Was war los in Dresden?

Fußball Rechtsradikale, Angriffe auf Journalisten, Straßenschlacht mit der Polizei – typisch Dynamo, im Osten nichts Neues? Wie so oft liegen die Dinge nicht so einfach

Als Dynamo Dresden am vergangenen Sonntag 20 Minuten vor dem Abpfiff bereits mit 3:0 führt, ist der Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga so gut wie perfekt: Während im Stadion die Vorbereitungen für eine Feier auf dem Platz unter Corona-Bedingungen laufen, beginnt vor dem Stadion eine Auseinandersetzung zwischen Fans und Polizei, die in den kommenden Stunden zur schwersten Randale bei einem Heimspiel seit 2007 werden soll. Was ist vorgefallen?

Die Polizei hat den Zugang hermetisch abgeriegelt: Vor dem Rudolf-Harbig-Stadion sind Einsatzfahrzeuge in Zweierreihen so dicht hintereinander aufgestellt, dass sie zu einer Wagenburg werden, die an den Wilden Westen aus Lucky-Luke-Comics erinnert. Nur dass es hier der wilde Osten zu sein scheint. Mehr als 1.100 Polizisten aus verschiedenen Bundesländern verhindern, dass sich die Fans im Alkohol- und Aufstiegsrausch vor dem Stadion drängeln.

Offiziell sind die Fans aufgefordert, das Spiel zu Hause zu verfolgen. Doch daran halten sich bei gutem Wetter und nach 15 Monaten Corona-Einschränkungen ca. 5.000 Menschen nicht: Sie wollen am Stadion mit ihrer Mannschaft feiern. Auch einige Vertreter der Stadt gehen nicht gerade mit gutem Beispiel voran: Peter Lames, Kämmerer und Sportbürgermeister, sowie Ralf Gabriel, Leiter der städtischen Sportstätten, verfolgen das Spiel im Stadion. Auf Anfrage erklärt Lames’ Büro, die beiden seien auf Einladung des Vereins dort gewesen.

Aufstiegsfeier außer Kontrolle

Im Vorfeld hatte es nach Recherchen des Freitag verschiedene Versuche gegeben, einen anderen Ablauf zu ermöglichen: Fanszene und Verein sollen unter anderem eine Dampferfahrt der Mannschaft vorgeschlagen haben. Das hätte den Fans die Möglichkeit gegeben, sich am weiten Elbufer zu verteilen und kilometerlang Spalier zu stehen. Doch offenbar wurde dies ebenso abgelehnt wie andere Ideen in Stadionnähe.

Auf Anfrage sagte die Stadt dazu, dass sie „keinen eigenen Regelungsspielraum“ gehabt habe. Alle Vorschläge, „die auf eine Veranstaltung, sei es im oder am Stadion zielten“, seien demnach „rechtlich nicht zulässig gewesen“. Vor dem Hintergrund von Grundrechtseinschränkungen wie dem der Versammlungsfreiheit in den vergangenen Monaten, sei es „nicht nachvollziehbar“ gewesen, für ein Fußballspiel oder für eine Meisterfeier Sonderregelungen zu erlassen.

Doch in Bezug auf die Demonstrationen der sogenannten Querdenker wurde häufig argumentiert, eine härtere Durchsetzung des Infektionsschutzes sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Eine Auflösung einer Veranstaltung mit unmittelbarem Zwang sei gegenüber den Teilnehmern nicht verhältnismäßig, würde das Infektionsrisiko durch das Zusammendrängen von Menschen noch erhöhen und sowohl die Gesundheit der Beteiligten als auch die der eingesetzten Beamten gefährden.

Auch am Sonntag wollen neben einem zweifelsohne gewaltbereiten Teil auch Tausende ganz normale Fans den Aufstieg irgendwie zelebrieren. Wie auf zahlreichen Bildern im Netz zu sehen ist, waren darunter Jugendliche, Frauen, Eltern und Kinder.

Eskalation einer Gewaltorgie

Christian Schmidt*, der als Dynamo-Fan seit Jahren sowohl Heim- als auch Auswärtsspiele besucht, sagte dem Freitag: „Die meisten wollten einfach nur den Aufstieg feiern. Aber nach dem 3:0 ist super schnell alles völlig außer Kontrolle geraten. Es waren einfach auch sehr viele Jugendliche da, die Bock auf Randale hatten. Man kann ja auch sonst nirgends hin, alle Kneipen sind zu, da ist der ganze aufgestaute Corona-Frust explodiert.“

Mehrere Szenen zeigen dabei exemplarisch die Gewaltdynamik, die der Mob entfesselte: Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe Angreifer die Polizeikette rund ums Stadion mit Pyrotechnik und Wurfgeschossen aller Art attackiert. In einem anderen sieht man ab Minute fünf, wie ein junger Mann in gelb-weißem T-Shirt ohne jeden erkennbaren Grund eine Gruppe Polizeibeamter angreift.

Bei der anschließenden Festnahme kommt es zu einem Handgemenge. Umstehende Fans, die den ursprünglichen Angriff gar nicht wahrgenommen haben, solidarisieren sich mit dem zu Boden gebrachten Angreifer und fangen ihrerseits an, auf die Beamten loszugehen. Innerhalb von Sekunden entsteht ein Szenario, in dem zahlreiche Beteiligte das Gefühl haben, sie wehrten sich gegen polizeiliche Übergriffe, in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall.

Umgekehrt gibt es auch Augenzeugenberichte, die tatsächlich auf polizeiliches Fehlverhalten hindeuten. So berichtet ein Fotojournalist dem Freitag, er sei „im Vorübergehen“ von einem Beamten angegriffen worden: „Der hat mir einfach mit voller Wucht seinen Knüppel in den Bauch geschlagen.“ Nur ein Sprung nach hinten habe ihn davor bewahrt, an Ort und Stelle zusammenzubrechen. In einer anderen Szene, die für viel Wirbel in den Sozialen Medien sorgte, ist zu sehen, wie ein Fan auf der Flucht gegen einen Beamten geschubst wird und mit dem Kopf auf dem Pflaster aufschlägt.

Zudem wird nachweislich mit Granatpistolen, sogenannten MZP1-Mehrzweckpistolen, Tränengas verschossen, wie unter anderem beim MDR zu sehen ist. Laut dem Fotojournalisten werden dabei auch Beamte verletzt. Er hat die Szenerie bildlich festgehalten: Mehrere Beamte lehnen an Polizeiautos und müssen sich die Augen mit Wasserflaschen ausspülen, nachdem sie Reizgas abbekommen haben. Der Schilderung zufolge müssen Kommunikationsmanager der Polizei ihre eigenen Kollegen beruhigen.

Am Ende werden während des Einsatzes laut Polizei insgesamt 185 Beamte verletzt, 30 davon so schwer, dass sie anschließend dienstunfähig sind, elf müssen im Krankenhaus behandelt werden. Durch Eigenbeschuss verletzte Beamte, sind der Dresdner Polizei auf Nachfrage nicht bekannt, wie deren Sprecher Thomas Geithner erklärt. Über die Anzahl verletzter Fans gibt es noch keine genauen Angaben.

Journalisten als Feinde

Die entfesselte Gewalt des Dynamo-Mobs ist beachtlich: stundenlange Straßenschlachten, Barrikadenbau, Pyrotechnik- und Glasflaschenbewurf sowie mehrere dokumentierte Angriffe auf Medienvertreter. Der bekannteste davon erfolgt auf einen Nachwuchs-Fotojournalisten, der häufiger von Demonstrationen rund um Dresden berichtet. Der Angriff ist offenbar gezielt und hat möglicherweise einen rechtsextremen Hintergrund.

Ein Mitarbeiter des Dresdner Fanprojekts, Ronald Beć, der in nächster Nähe Zeuge des Überfalls wird und den Journalisten zu schützen versuchte bestätigt, dass es aus der Gruppe der Angreifer heraus mindestens zwei Übergriffe auf Pressevertreter gab. Dass auch Nazi-Parolen wie „Judenpresse“ gerufen wurden, wie der Betroffene auf Twitter schreibt, konnte er allerdings nicht hören, aber auch nicht ausschließen. Es ist zumindest plausibel, dass rechte Gewalttäter, die immer wieder im Dynamo-Schlepptau agieren, hier einen Racheakt an einem unliebsamen Fotografen verübt haben.

Auch andere Fotojournalisten werden bedroht und teilweise angegriffen, darunter auch eine Kollegin der Dresdner Neueste Nachrichten. Auf verschiedenen Videos sind Übergriffe und Drohungen dokumentiert. Dass in zahlreichen Fanszenen kursierende Feindbild Medien kommt hier zum Tragen.

Wagenburg-Mentalitäten durchbrechen

Am Ende scheinen alle Beteiligten ihre Feindbilder bestätigt zu haben: Bundesweit wird wieder über Dynamo-Hools schwadroniert und das ganze Geschehen zu einer Art rechtsextremer Gewalteskalation verklärt, was den meisten Beteiligten nicht gerecht wird. Verein und Fanszene fühlen sich daher erneut verunglimpft – und finden ihr jahrelanges Bemühen um Deeskalation nicht gewürdigt. Und: Polizei und Behörden werden gegen Fußballfans weiterhin deutlich härter vorgehen als beispielsweise gegen Querdenker.

Dabei wäre eine sorgfältige Analyse des Geschehens angebracht, denn es gibt eklatante Widersprüche: Wenn die Randale im Nachhinein derartig erwartbar war, warum glaubten Stadt und Polizei, die Lage mit einer Wand aus Polizeiautos und Beamten kontrollieren zu können? Völlig unvermeidlich scheint die Randale nämlich nicht zu sein: Am 28. Juni 2020 gab es eine Verabschiedung der Mannschaft mit den Fans am Stadion. Zwar wurden dabei auch Corona-Regeln missachtet, es blieb aber trotz Abstieg (!) friedlich.

Wie soll es daher im Vorfeld ein realistisches Szenario gegeben haben, in dem die Fans nach über einem Jahr Corona-Maßnahmen, nach Abstieg und Wiederaufstieg, bei komplett geschlossenen Alternativen nicht zu Tausenden zum Stadion strömen würden? Wieso also verzichtete man diesmal auf den Versuch einer geordneten Durchführung mit mehr Platz und deeskalierender Umgebung? Zur Beantwortung dieser Frage müssten vielleicht alle Fraktionen aus ihrer Wagenburg herauskommen.

Andrej Reisin arbeitet als freier Journalist, u. a. für das Politik-Magazin Panorama.
Edgar Lopez ist freier Journalist und Redakteur beim Leipziger Stadtmagazin kreuzer.

Info

*Name von der Redaktion geändert

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