Ein anstrengendes Maschinenleben

Literatur Gonçalo M. Tavares hat mit „Joseph Walser“ einen Antihelden geschaffen, der die Leser ganz wunderbar verstört
Ausgabe 20/2014

Fast jedem Schriftsteller, der irgendwie als begabt durchgehen kann, wird irgendwann der Literaturnobelpreis prophezeit. Und fast jedes Verlagsmarketing überliefert die Prophezeiung in prahlerischem Fettdruck, vor allem wenn der Prophet selbst mit der Autorität eines Literaturnobelpreisträgers daherkommt. So auch im Fall des portugiesischen Newcomers Gonçalo M. Tavares, dem José Saramago die höchste literarische Ehre vorausgesagt hat. Saramago, der verstorbene Grandseigneur der portugiesischen Literatur, hat in einer Laudatio auf Tavares ein wahrhaft originelles Lob ausgesprochen, das man in Anbetracht seiner legendären Streitlust beinahe wörtlich nehmen musste: „Gonçalo M. Tavares hat kein Recht, im Alter von 35 Jahren so gut zu schreiben. Man hätte Lust, ihn zu schlagen.“ Das war 2005. Zwei Jahre vorher war das Buch erschienen, das nun endlich auch in seiner deutschen Übersetzung vorliegt und hierzulande Joseph Walsers Maschine heißt.

Joseph Walser ist ein Antiheld, ein, so kündigt uns schon die erste Zeile an, seltsamer Mann, der in einer namenlosen Stadt wohnt, tagtäglich in eine Fabrik marschiert, am Wochenende mit den Kollegen würfelt und eine eigenartige Sammlung von gefundenen Metallteilen pflegt. Er lebt mit seiner Frau Margha zusammen, aber vor allem lebt er mit seiner Maschine. Klingt kafkaesk. Und ist es auch.

Die Maschine ist Walsers rationale Lust, Monotonie, Ordnung, Planbarkeit. Sie ist sein Leben, und zwar so sehr, dass er seinen Herzschlag mitunter mit dem Geräusch ihres Motors verwechselt. Walser weiß aber auch um die Gefährlichkeit jener Maschine: Sein Vorgänger ist an ihr gestorben, und er weiß, dass sie, der potenziell feindliche Freund, nur auf einen Fehler seinerseits wartet. In Friedenszeiten befindet er sich im Krieg mit ihr.

Ohnehin, der Krieg: Eine Besatzungsarmee marschiert in Walsers Stadt ein. Für den Protagonisten ist das ein nahezu belangloses Ereignis. Seine Ordnung bleibt gewahrt, wenn er an seiner Maschine bleiben kann. Walsers Mitmenschen sind eher fasziniert vom Spektakel als beängstigt, weil ihnen endlich mal Weltgeschichte passiert. Doch allmählich bekommt auch Walsers Ordnung erste Risse. Seine Würfelrunde wird zur konspirativen Versammlung von Attentätern, seine Frau betrügt ihn mit seinem Vorarbeiter Klober. Und eines Tages macht er den Fehler, auf den seine Maschine gewartet hat. Sie reißt ihm den Zeigefinger der rechten Hand ab.

Dieser Joseph Walser ist also ein merkwürdiger Mensch, und Tavares beschreibt ihn in einem merkwürdigen Stil. Der ist erstens seiner Paraphrasierkunst geschuldet – Robert Walser ist nicht umsonst ein Namensvetter der Hauptfigur – und zweitens seinem Brotberuf. Tavares, der 1970 im angolanischen Luanda geboren wurde, unterrichtet Erkenntnistheorie in Lissabon. Der Dichterphilosoph verfolgt in seinen literarischen Texten ein romantisches Programm: Logik und Poesie sind nicht unvereinbar, sondern zusammengehörig. Das ist manchmal so anstrengend, dass man ihn tatsächlich schlagen möchte, wie José Saramago vorschlug.

Aber manchmal ist es eben auch schön. Vor allem, wenn Tavares seine eigene Disziplin karikiert wie im pseudophilosophischen Geschwafel von Walsers Vorgesetztem Klober. Da geht es um einen neuen Übermenschen, der alle anderen hasst, alle anderen töten will, um allein auf der Welt zu sein. Das will Walser nicht. Er will nur Verdrängung und Routine. Aber er erkennt, dass auch er ein Individuum und eine Art Übermensch ist. Jede Annäherung hat bei ihm lediglich das Ziel, nicht zu lieben.

Oh ja, man hätte Lust, auch die Figur zu schlagen. Ob das für den Nobelpreis reichen wird, wird man eines Tages sehen.

"Joseph Walsers Maschine", Gonçalo M. Tavares Deutsche Verlags-Anstalt 2014, 176 S., 19,99 €

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