Ein "deutsches Leben" gewählt

Aktuell Der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner über die NPD als "Lebensweise-Betrieb" und "Kulturpartei", die den gesamten Alltag prägt

FREITAG: Nach Sachsen zieht die NPD jetzt in Mecklenburg-Vorpommern in das Landesparlament ein. In Schleswig-Holstein ist sie 2005 gescheitert. Sind die Leute im Osten empfänglicher für rechte Parolen als im Westen?
BERND WAGNER: Es mag in Schleswig-Holstein auch erklecklich viele geben, die den rechtsextremen Parolen etwas ablauschen können, aber dort ist die Tabuisierung von NPD und NPD-Ideologie wahrscheinlich noch stärker ausgeprägt als in den neuen Bundesländern. Zwar gab es in der DDR Antifaschismus von Staats wegen, aber nach der Wende meinte man in weiten Teilen der Bevölkerung, dass jetzt alles möglich sei. Mit diesen Formen der Tabuisierung, wie es sie über Jahre in der alten Bundesrepublik gegenüber der NPD gegeben hat, gab es im Osten keine Erfahrung. Dazu kommt die unterschiedliche sozial-ökonomische Lebenslage in beiden Bundesländern.

Gibt es dort in Mecklenburg-Vorpommern in bestimmten Regionen eine ähnliche Verankerung der NPD im bürgerlichen Spektrum wie zum Beispiel in der Sächsischen Schweiz?
Die NPD-Strategie, über Jahre Parteileute dort anzusiedeln, war erfolgreich. In der Anfangsphase standen die Funktionäre aus dem Westen eher allein, doch dann haben sie mit "Landeskindern" zusammengearbeitet, das hat das Projekt befeuert. Die NPD konnte in Mecklenburg-Vorpommern auf bestimmten, völkisch aufgeladenen Stimmungen aufbauen, sie traf zum Beispiel auf eine breite Zustimmung zu Slogans wie "Arbeit zuerst für Deutsche", "Wir sind das Volk" und einen Volkstumsbegriff, der national-kulturalistisch bis rassistisch unterlegt ist. Die NPD-Kader konnten sich auf regionale Strukturen der rechtsextremen Jugendkultur stützen und auf eine gewisse Schwäche der Demokratie, nicht formal, sondern vor allem was die Wertorientierung und die Stimmungslagen betrifft.

Kann man bei diesem Wahlverhalten noch von Protest sprechen oder gelingt es der NPD, eine Stammwählerschaft aufzubauen?
Eine Stammwählerschaft aufzubauen, ist schon ziemlich weitgehend gelungen. Die Statistik zeigt strukturelle Merkmale: viele Wähler sind junge Männer bis etwa 30 mit mittleren Bildungshorizonten - keineswegs unterdurchschnittlich Gebildete. Leute Mitte 20, die schon mit 13 oder 14 Jahren in der Szene waren, sind natürlich als Stammwähler zu bezeichnen. Was den Begriff "Protest" betrifft - den Leuten, die NPD wählen, geht es um mehr als nur darum, diese oder jene Partei abzustrafen. Protest ist für sie Systemprotest.

Trifft die NPD in den ländlichen Gegenden auf ein bereits rechtsorientiertes Klima oder produziert sie bestimmte Stimmungen in einem Klima der Orientierungslosigkeit?
Beides. Die NPD-Kader nutzen das Vorhandene, strukturieren es und stärken dieses Potenzial durch eigene Parolen, Propaganda, Musik, Mode, eine eigene rechtsextreme Jugendkultur. Vom volkstümlichen Bierabend bis hin zu Gewaltaktionen gegen politische Feinde ist für das feindbildorientierte Herz alles dabei, es muss nur zur Sache gehen und den Hauch des Nationalen Widerstands haben. Die NPD ist kein reiner Parteibetrieb, sondern ein "Lebensweise-Betrieb", sie produziert eine Lebensweise, die den gesamten Alltag prägt. Es geht ihr um mehr als eine politische Parteipräferenz. Ihr Ziel ist es, dass Deutsche wählen, ein "deutsches Leben" zu entwickeln. Die NPD ist gleichzeitig eine politische und eine "Kulturpartei". Sie fußt nicht nur auf dem weitläufigen Flickenteppisch der rechtsextrem orientierten Jugendkulturen, sondern auch auf der NS-Kameradschaftsszenerie, mit der sie personell eng verflochten ist.

Ihr Verhältnis zur Gewalt versucht die NPD im Zaum zu halten. Gibt es Verbindungen zu gewaltbereiten Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern?
Ja, natürlich, das kann man überhaupt nicht voneinander trennen. Selbstverständlich schickt die NPD nicht aus ihrer Zentrale heraus jemanden los. Sie machen friedliche Mimikry, sind aber der Gewalt gegen Andersdenkende ganz und gar nicht abhold. Die Funktionäre klatschen heimlich Beifall. Gewalt gehört unbedingt dazu, sonst könnten sie auch Teile ihrer Truppen gar nicht bei der Stange halten. Dieses Milieu lebt ja von diesem Impetus der Feindbekämpfung, sie definieren sich über den Umweg von Ausgrenzung und Gewalt.

Was muss getan werden?
Was eigentlich fehlt, sind Wertperspektiven, das darf aber keine Phrase sein, demokratische Werte müssen lebbar sein und materielle Voraussetzungen haben. Wir müssen versuchen, eine Bürgergesellschaft zu entwickeln, das Klima in den Ortschaften sollten Leute prägen, die jenseits von Rechtsextremismus eigene Angebote unterbreiten, Orientierung geben und vor allem die Selbstorganisationskraft von Bürgerinnen und Bürgern stärken. Alles, was kommunales Leben im emanzipatorischen Sinne stärkt, wirtschaftlich, sozial und geistig-kulturell, muss im Mittelpunkt stehen. Die ökonomischen Bedingungen sind nicht blitzschnell zu verändern, aber kleinteilig lässt sich doch viel, viel mehr machen in Richtung Partizipation und Engagement der Menschen. Da müsste Politik die Voraussetzungen schaffen; sie versäumt es aber immer wieder.

Die Bundesfamilienministerin setzt nun ihre Hoffnungen in ein neues Programm. Ist das der richtige Weg?
Nein, nicht der Ansatz ist entscheidend, sondern das Personal mit entsprechendem Know-How und Erfahrung. Das Programm aus dem Hause von der Leyen soll erst 2007 anlaufen, bis dahin sind vermutlich die meisten bestehenden Projekte eingegangen, noch ist jedenfalls unklar, wie viele durch die jetzt zugestandene Zwischenfinanzierung gerettet werden und wie lange. Viel Kompetenz wird auf diese Weise verloren gehen. Man muss die Programme, die jetzt über Jahre experimentiert haben, danach überprüfen, welche Teile sich bewährt haben, und diese weiterführen. Wir brauchen außerdem ein Analyse- und Kompetenzzentrum - es existiert eigentlich schon, man müsste es nur ausstatten, ausrüsten und arbeiten lassen. Aber die Politik will alles umsonst haben. Was von Bund und Ländern angeboten wird, ist karg angesichts der Probleme, die ja seit 1990 nicht zurückgegangen, sondern gewachsen sind.

Das Gespräch führte Connie Uschtrin.

Bernd Wagner ist Geschäftsführer des Zentrums Demokratische Kultur in Berlin.


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